Es heißt, jede*r Durchschnittseuropäer*in besitze im Schnitt 10.000 Dinge. Dass das ziemlich viel ist, weiß jeder, der all seinen Kram schon mal in Umzugskisten packen und Treppen hoch und runter tragen musste. Spätestens dann stellen sich viele die Frage: Brauche ich das alles überhaupt? Besitz belastet – und zwar nicht nur den Rücken beim Umzug. Man investiert Lebenszeit, um arbeiten zu gehen, um Geld zu verdienen, um sich einen Gegenstand kaufen zu können. Dann muss man ihn unterbringen und pflegen. Und im Zweifel irgendwann entsorgen. Das alles kostet Zeit, Geld und Energie, die man auch anders – vielleicht besser – hätte investieren können.

So sehen es Minimalist*innen. Und ziehen einen konsequenten Schluss: Sie verabschieden sich von den Dingen, die sie nicht brauchen. Manche besitzen nur noch 100 Dinge. Andere halten ihren Kleiderschrank so minimal wie möglich. Sie alle berichten davon, wie befreiend es sich anfühlt, wenn man sich von unnützem Ballast getrennt und dem Trott aus Arbeit und Konsum entkommen ist.

Dieser große Schritt namens Ausmisten will aber erst mal gegangen sein. Und das ist gar nicht so leicht – irgendetwas verbindet einen mit seinem Besitz, macht es schwer, ihn loszulassen. Deswegen sollte man sich zuerst ein paar Dinge bewusst machen.

Schritt eins: Die Schranken im Kopf

Es gibt verschiedene Arten von Sachen: Die Dinge, die wir täglich benutzen, wie die Zahnbürste; die, die wir regelmäßig aber selten nutzen, wie das Festival-Zelt; und die Sachen, die wir nie anrühren.

Vor allem bei der letzten Kategorie ist die Frage wichtig: Warum heben wir die Sachen überhaupt auf?

Meistens gibt es dafür sentimentale Gründe: Es hängen Erinnerungen daran oder es war ein Geschenk und man hätte ein schlechtes Gewissen, würde man es wegwerfen. Oder man grämt sich, weil man einmal viel Geld für den Gegenstand gezahlt hat. Und – wahrscheinlich der Klassiker – man meint, es irgendwann, in naher Zukunft, ganz sicher doch noch einmal gebrauchen zu können.

Das Ausmisten fällt leichter, wenn man sich Folgendes bewusst macht: Erinnerungen verschwinden nicht mit einem Gegenstand. Das Geld ist sowieso weg. Statt das Gewissen mit dem Gedanken zu belasten, dass man es unnötigerweise ausgegeben hat, sollte man sich einfach von dem Ding und den damit verbundenen negativen Gefühlen trennen.

Sprich: Wenn die Nähmaschine euch immer daran erinnert, dass ihr euch seit fünf Jahren das Nähen beibringen wolltet und es nicht getan habt, solltet ihr ernsthaft darüber nachdenken, sie abzugeben. Denn Dinge sind das, was man aus ihnen macht und auch nur genau das wert.

Und: Ihr seid nicht, was ihr besitzt.

Bei der mittleren Kategorie mit den Dingen, die man regelmäßig, aber selten benutzt, fällt die Entscheidung meist etwas schwerer. Immerhin nutzt man das Zelt ja, wenn auch nur sehr selten. Hier ist Abwägen angesagt. Das Zelt beispielsweise liegt drei Saisons herum. Nur einmal wird es genutzt. Mag man es dafür aufheben? Oder würde es reichen, sich ein Zelt für das entsprechende Wochenende zu leihen? Dafür gibt es mittlerweile ja neben Freunden auch genug Gruppen bei Facebook oder Leihläden, sowie Online-Leihshops.

Und auch die Dinge, die täglich genutzt werden, kann man reduzieren. Drei Sorten Shampoo oder dreizehn Müslischalen müssen nicht sein.

Bei all diesem Abwägen gilt: Der Ausmistende selbst bestimmt, was und wie viel weg kann. Es soll befreien und nicht quälen.

Schritt zwei: Ran an die Schränke

Die Blockade im Kopf ist weg und die Lust, das Chaos anzugehen geweckt. Also los!

Fangt mit kleinen Schritten an. Nehmt euch im ersten Monat zum Beispiel vor, den Kleiderschrank auszumisten, im nächsten dann das erste Regal. Nicht alles auf einmal. Die Dinge wollen ja auch noch weggegeben werden – und das braucht auch seine Zeit. Auch die magische Regel der 100 Dinge ist für den Start vielleicht etwas zu krass. Lasst das Ausmisten gerne zu einem regelmäßigen Ritual werden und mistet beispielsweise einmal im Monat eine Woche lang aus, statt eine Hau-Ruck-Aktion starten.

Frage dich bei jedem Gegenstand dabei folgendes, orientiert euch an dem Blogger Joshua Becker: Brauche ich das, um mein Leben nach meinen Vorstellungen zu verwirklichen? Warum besitze ich das? Und: Würde es mir fehlen, wenn es weg wäre?

Bei manchen Gegenständen kann man alle Fragen ganz klar mit "Nein!", bei anderen mit "Ja!" beantworten. Erstere werden weitergegeben, die anderen werden wieder einsortiert. Alles, was dazwischen liegt, kommt in eine Box. Und diese Box kommt für eine Weile, sagen wir drei Monate, in den Keller oder in eine Ecke. So, dass man sie nicht sehen kann. Markiert euch den Ablauf dieser Zeit im Kalender. Habt ihr bis dahin nicht in die Box geschaut, kann der Inhalt getrost abgegeben werden.

Für eine schnellere Entscheidung hilft vielen auch ein Gedankenspiel: Würde ich dieses Kleid mit auf eine Weltreise nehmen, wenn ich es lange Zeit tragen müsste?

Und zu guter Letzt gilt: Freut euch. Über alles, was ihr schon losgeworden seid. Aber auch an dem, was ihr behalten habt. Das Ziel soll nicht sein, gezwungenermaßen alles wegzuwerfen. Sondern nur so viel, wie es euch tut. Wenn euch die Büchersammlung ein gutes Gefühl gibt, obwohl ihr die meisten Bücher nicht noch einmal lesen werdet, dann behaltet sie. Gleiches gilt für Erinnerungsstücke. Für die könnte man eine schöne Box anlegen. Alles, was rein passt, bleibt, alles andere wird weitergegeben.

Schritt drei: Hört auf, Quatsch zu kaufen

Schränke und Regale sind deutlich leerer. Jetzt aber nicht in alte Verhaltensmuster verfallen und den gewonnenen Platz mit neuem Ballast füllen. Sondern fangt an, bewusster einzukaufen. Nicht möglichst viel und möglichst billiges Zeug, sondern lieber etwas Wertigeres, das länger hält. Das schont Ressourcen.

Fragt euch außerdem bei jedem Kauf, ob ihr das wirklich braucht. Oder ob ihr es nicht in einem Jahr spätestens doch wieder aussortieren würdet. Ist es die Lebenszeit, die ihr hinein gesteckt habt, um das nötige Geld zu verdienen, wirklich wert? Hat man nicht vielleicht schon ein Hemd mit dem Muster?

Nehmt euch außerdem vor, für jeden neu erworbenen Gegenstand einen alten wegzuwerfen. Fällt einem vor dem Kauf nichts ein, worauf man dafür verzichten würde, geht man damit nicht zur Kasse.

Weiht auch eure Freunde und Familie ein und bittet sie, euch nichts mehr zu schenken. So kommt ihr nicht in die Situation, dass ihr etwas bekommt, was euch nicht gefällt und es trotzdem nicht wegwerfen mögt – und spart euch so die nächste Runde Ausmisten.