Seit Monaten protestieren Pol*innen: in zahlreichen polnischen Städten, vor dem Parlament in Warschau, auf Facebook, mit Plakaten, Sprechchören und Kleiderbügeln. Letztere sind zum Symbol dafür geworden, was verzweifelte Frauen bereit sind zu tun, um eine Schwangerschaft zu beenden – wenn ihnen keine andere Möglichkeit zum Abbruch bleibt.

Seit Donnerstag berät sich das polnische Parlament. Zwei der Gesetzesvorschläge, die zur Diskussion stehen, fordern ein Totalverbot, einem dritten (liberalen) Vorschlag, werden keine Chancen eingeräumt. Die Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) spricht sich seit Monaten für eine Verschärfung des Abtreibungsgesetzes aus.

Legale Abtreibungen nur noch bei Lebensgefahr für die Mutter

Sie verfügt über die absolute Mehrheit im Parlament. Der radikalste Vorschlag, eingebracht von einem Zusammenschluss mehrerer "Pro life"-Organisationen, fordert Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren für Frauen, die illegal abtreiben. Bisher machen sich nur Helfer*innen und behandelnde Ärzt*innen strafbar. Legale Abtreibungen wären nur noch in einem Fall möglich: Wenn Lebensgefahr für die werdende Mutter besteht. Der andere Vorschlag sieht ebenfalls ein Totalverbot für Abtreibungen vor, aber keine Strafen für Frauen, die illegal abtreiben.

Schon jetzt ist das polnische Abtreibungsgesetz eines der restriktivsten in ganz Europa. Dabei war Polen in den 1950ern eines der ersten Länder, das Abtreibung legalisierte. Seit 1993 aber gilt: Ein Abbruch ist nur erlaubt, wenn das Leben der werdenden Mutter in Gefahr ist, der Fötus schwer krank oder behindert ist oder die Zeugung durch Vergewaltigung oder Inzest zustande gekommen ist. Offiziellen Angaben zufolge finden in Polen jedes Jahr rund 2000 legale Abtreibungen statt.

Oft wird Frauen selbst dann eine Abtreibung verweigert, wenn diese unter das bestehende Gesetz fallen würde. So können Ärzte es zum Beispiel aus "Gewissengründen" ablehnen, eine Abtreibung vorzunehmen. Die Zahl der illegalen Abbrüche ist dementsprechend hoch und liegt schätzungsweise bei 100.000 pro Jahr. Viele Polinnen fahren für ihren Abbruch in die Slowakei oder nach Tschechien. Billig ist das nicht, ungefährlich auch nicht. Trotzdem blüht der Abtreibungstourismus.

Freifahrtschein für Vergewaltigungen?

"Eine Freundin von mir hat gerade einen Abtreibungstrip ins Ausland hinter sich, das war sicher keine Erholungsfahrt", sagt Katarzyna Piasecka, genannt Pia. "Viele polnische Ärzt*innen, die in öffentlichen Krankenhäusern arbeiten und dort offiziell gegen Abtreibung sind, bieten trotzdem teure Abtreibungen in ihren Privatpraxen an". Die 28-Jährige lebt als Journalistin und Künstlerin in Paris und kann nicht glauben, was in ihrer Heimat passiert.

Der 25-jährige Fotografin Dominika Adamska geht es genauso. Sie lebt in Warschau und nimmt dort regelmäßig an Demonstrationen vor dem Parlament teil. So auch am Donnerstagabend. "Die Proteste sind für mich wirklich traurige Momente. Nicht nur, weil ich denke: "Warum müssen wir wieder gegen diesen Mist demonstrieren?" Sondern wegen der Häufigkeit. Du siehst ständig die gleichen Gesichter. Die meisten Leute haben keine Ahnung, was im Parlament passiert oder sie glauben, dass sich eh nichts ändern wird."

Das Abtreibungsverbot ist nur der Anfang, glaubt Dominika. Sie macht sich Sorgen, was danach kommt: "Für polnische Frauen bedeutet das: Zeig eine Vergewaltigung nicht an, wenn du danach nicht einem Schwangerschaftstest unterzogen werden willst. Das ist quasi ein Freifahrtschein für Vergewaltigungen. Es bedeutet auch tote Mütter und Kinder, denn Ärzte werden Angst haben einzugreifen, wenn das Leben der Mutter oder des Kindes bedroht ist. Sie könnten dafür ins Gefängnis gehen."

Letztendlich, so Dominika, leidet darunter auch das Sexualleben. Unfälle passieren – aber in Polen, wo es weder die rezeptfreie Pille danach noch problemlosen Zugang zu Abtreibungen gebe, hätten diese Unfälle ein viel größeres Gewicht. Aus einem gerissenen Kondom würde so ganz schnell eine Verpflichtung fürs Leben werden.

Abtreibungsgegner*innen sprechen vom "Recht auf Leben"

Für Agnieszka Kleczyk, 28 und freiberufliche Produzentin und PR-Managerin in Warschau, fühlt es sich gerade so an "als würde alles schief gehen". Und das nicht nur im Zusammenhang mit Abtreibung: Die Regierung hat darüber hinaus einige umstrittene Entscheidungen durchgesetzt, darunter eine Justizreform und ein Mediengesetz. Das Problem, so Agnieszka, ist aber nicht allein die Regierung: Gerade, wenn es um Geschlechtergerechtigkeit ginge, müsse sich auch etwas "in unserer Mentalität und Bildung ändern."

Polen ist ein katholisches Land. Viele hier sind davon überzeugt, jedes Leben sei heilig und nur Gott habe das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden. Unter der seit Herbst 2015 regierenden PiS hat sich das politische und gesellschaftliche Klima polarisiert, religiöse Organisationen und Abtreibungsgegner*innen erfahren mehr Unterstützung als in den Jahren zuvor:

Der nun zur Debatte stehende Gesetzesentwurf geht auf eine Bürgerinitiative zurück, die in den letzten Monaten über 450.000 Unterschriften sammelte – 100.000 hätten gereicht, um die Petition ins Parlament einzubringen. Die Abtreibungsgegner*innen selbst sehen sich allerdings nicht als solche: Sie sprechen lieber vom "Recht auf Leben", vom "Schutz des ungeborenen Kindes".

Nicht nur auf den Straßen, auch im Internet formierte sich schnell Protest gegen die Bürgerinitiative und ihr Gesetzesvorhaben. In der Facebookgruppe Dziewuchy Dziewuchom (Mädchen für Mädchen) tauschen sich mehr als 100.000 Mitglieder über anstehende Demonstrationen aus, diskutieren, planen Aktionen. Das Motto: "Wir sind alle unterschiedlich, aber wir sind alle Mädchen." Unter dem Hashtag #CzarnyProtest (Schwarzer Protest) teilen Pol*innen in den sozialen Medien Fotos, auf denen sie ganz in schwarz gekleidet sind.

Auch Pia hat ein solches Foto geteilt. Für sie steht fest: Sie wird vorerst nicht in ihre Heimat zurückkehren. "Ich wollte irgendwann zurückgehen und dort zur nationalen Kulturszene beitragen." Das kann sie sich im Augenblick nicht mehr vorstellen. Viele ihrer polnischen Freund*innen würden nun ebenfalls überlegen, das Land zu verlassen. Auch Dominika blickt mit gemischten Gefühlen in die Zukunft: "Unser Land möchte unser Leben kontrollieren", sagt sie. "Frauen haben hier keine Stimme."