die neueste Aktion von Jan Böhmermann: #verafake. Ihm und seinem Team ist es gelungen, die Schauspieler Simon Steinhorst, 30, und Andreas Schneiders, 55, als Protagonisten bei "Schwiegertochter gesucht" einzuschleusen und zu zeigen, wie RTL scriptet, übertreibt, diese Menschen manipuliert und verheizt.

"Das hat man doch gewusst", werden viele nun sagen. Ja, hat man. Irgendwie. Aber haben wir es auch wahrhaben wollen?

Wir konnten uns denken, dass die Teilnehmer*innen Knebelverträge unterschreiben müssen und unterirdisch bezahlt werden.

Wir konnten uns denken, dass nicht jeder Spruch rein zufällig ein pointierter Schenkelklopfer war.

Wir konnten uns denken, dass das alles irgendwie Fiktion ist.

Nur deshalb konnten wir "Schwiegertochter Gesucht" überhaupt gucken. Wären wir davon ausgegangen, dass die Protagonisten wirklich so verschroben und bemitleidenswert sind – wie hätten wir es vor uns selbst rechtfertigen können, dabei zuzuschauen, wie diese Menschen vorgeführt werden? Eben.

Warum gucken wir das überhaupt?

3,2 Millionen TV-Zuschauer*innen schalteten durchschnittlich die neunte Staffel von "Schwiegertochter Gesucht" ein. Aber wieso schauen so viele von uns auch nach so vielen Jahren mit so viel Genuss diese Formate, die auf Kosten von Menschen Geld machen, die es so offensichtlich schwer genug haben im Leben?

Natürlich gibt es verschiedene psychologische Antworten auf diese Frage – Eskapismus, der den eigenen Alltag erträglicher macht, die Erhöhung des eigenen Selbstwerts, weil man selbst so viel "normaler" ist, und die feixende Freude am Voyeurismus.

Nicht zuletzt konnten wir – ungeachtet des Realitätsfaktors – bisher immer sagen: "Die Protagonisten haben ja freiwillig mitgemacht und wussten Bescheid. Selber schuld".

Menschenverachtung für die Quote

Dass das nicht ganz korrekt ist, wissen wir nun. Viele der Teilnehmer können eben nicht einschätzen, was mit ihnen in so einem Format passiert. Wer von uns wusste, dass sie ernsthaft im Vorfeld eine eidesstattliche Erklärung mit der Versicherung unterzeichnen müssen, nicht geistig behindert zu sein? Die verantwortlichen Redakteure scheinen gezielt Menschen zu suchen, die intellektuell nicht erfassen können, was mit ihnen gemacht wird.

Erschreckend auch, wie rücksichtslos manipuliert wird, um die Protagonisten noch skurriler und bemitleidenswerter wirken zu lassen. Da platzieren Redakteure pinkfarbene "Liebe ist"-Puzzles und Stofftiere in der Wohnung und legen den Darstellern die Texte in den Mund, die später den Zuschauer*innen vor dem Fernsehschirm wohlige Fremdscham-Schauer über den Rücken jagen.

Der Fake im Fake

Eine Frage, die mich jedoch persönlich am meisten beschäftigt: Wie konnte es gelingen, zwei Fakes in eine solche Sendung einzuschleusen? Wieso bestand RTL nicht darauf, die Personalausweise von Vater und Sohn zu sehen, sondern ließ sich mit einer Ausrede abspeisen? Wieso fiel niemandem aus dem Team auf, dass der angeblich erst 38-jährige Vater viel älter aussieht (der Schauspieler Andreas Schneiders ist 55)?

Vor lauter Begeisterung darüber, die perfekt-dämlichen Protagonisten gefunden zu haben, vergaß das Produktions-Team die einfachste Sorgfalt und präsentierte den Zuschauer*innen in einer sowieso schon inszenierten "Realität" unfreiwillig zwei falsche Darsteller – Fakes im Fake-Format.

Im Falle von Vera Int-Veens "Schwiegertochter gesucht" mag das lustig sein. Es führt aber auch knallhart die Bereitschaft der Sender vor Augen, die Wahrheit so zu manipulieren, dass sie ins Konzept passt und Quote erzielt. Klar, auch das haben wir schon vorher gewusst. Irgendwie. Das ändert aber nichts daran dass es verwerflich ist.

Und jetzt?

Ob ich es in Zukunft lassen kann, Formate wie "Schwiegertochter gesucht" und "Bauer sucht Frau" anzuschauen? Ich werde es definitiv versuchen. Im Januar kommt dann ja auch wieder eine Staffel des Dschungelcamps. Nicht so unterhaltsam, aber das wohl einzige Format, in dem die Protagonisten wirklich wissen, worauf sie sich freiwillig einlassen.