Vor ein paar Jahren hatte ich eine längere Affäre mit einem Mann. Er war politisch aktiv und hoch angesehen. Er erzählte mir immer, wie toll er Frauen fände und welche tollen und starken Frauen er kennt. Wir hatten ein gutes und respektvolles Verhältnis. Dachte ich. Bis er eines Morgens gegen meinen Willen Sex mit mir hatte.

Ich war im Halbschlaf, es dauerte nicht lange. Er war fertig, bevor ich überhaupt realisieren konnte, was passiert. Er stieg aus dem Bett und ging duschen. Kein Kuss, keine Zärtlichkeit, nichts. Ich lag da wie erstarrt. Ein paar Tage später sprach ich ihn an, dass ich Sex mit ihm in dieser Form nicht wolle und sich dieser Morgen für mich nicht gut angefühlt hat. Für mich wäre die Sache mit einer Entschuldigung erledigt gewesen. Leider reagierte er anders: "Wenn du in meinem Bett liegst, musst du damit rechnen, dass so was passiert."

Ich verstand ihn: Aus seiner Sicht geschah das im Konsens. Er sah sich selbst als einen der Guten, nicht als jemanden, der andere sexuell übergriffig behandelt. Aber in dem Moment, in dem ich ihn darauf ansprach, dass etwas nicht gut und richtig war, bröckelte etwas. Er wurde richtig sauer. Er gab mir zu verstehen: Wie konnte ich es wagen, zu unterstellen, dass er etwas gegen meinen Willen getan hatte? Auf einmal war ich für ihn eine Irre, er blockierte mich auf allen Kanälen.

Für mich war das damals sehr schlimm. Ich verlor ihn nicht nur als Freund und Menschen, den ich schätzte – ich war außerdem mit dem Gefühl allein gelassen, dass er sich an meinem Körper vergriffen hat. Er nahm mir mit dem Kontaktabbruch auch die Chance, das mit ihm zusammen aufzulösen.

Dialog in beide Richtungen

Ich weiß, dass er beruflich erfolgreich ist und Dinge bewirkt, die ich gut und richtig finde. Er ist der, von dem andere sagen würden: Nein er doch nicht, das ist ein guter Typ. Der ist respektvoll. Aber ich weiß eben auch von dieser anderen Seite. Er ist jetzt verheiratet und ich frage mich: Weiß seine Frau das? Ich gönne ihm sein Leben und den Erfolg. Aber das Unausgesprochene hinterlässt bei mir ein ungutes Gefühl.

Das Problem ist: Sobald wir einen sexuellen Übergriff benennen, hört der Dialog in der Regel auf."

Auf einmal fühlen wir uns unangenehm berührt und wollen dieses Gefühl von uns wegschieben. Wir fragen uns womöglich, was dazu geführt hat: War der Rock zu kurz? Hat sie falsche Signale gesendet? Und sagen uns dann: Moment, er ist doch hier das Arschloch, er ist ein Vergewaltiger. Wir schaffen uns innerlich zwei Fronten. Wir denken in Täter und Opfer.

Ich würde mir aber einen Dialog mit den Männern wünschen. Und den Raum, ohne ein Dämonisieren benennen zu können: Hey du, das war falsch. Mit einem anderen Mann, einige Jahre später, kam es zu einer Situation, in der genau das funktionierte.

Ich hatte an diesem Abend schon mehrfach Nein gesagt. Ich machte ihm klar, dass ich keinen Sex wollte. Er ignorierte es, überrumpelte mich immer wieder neu, bis er plötzlich über mir war. Ich brach aus, schubste ihn von mir und stürzte anschließend aus seiner Wohnung. Später, zu Hause, schrieb ich ihm noch eine lange Nachricht. Ich erklärte ihm, was für mich alles an dem Abend schief gelaufen war – und ab welchen Punkt er mein Nein aus meiner Sicht ignoriert hatte. Ich schrieb ihm auch, dass es mir gar nicht darum ging, ihm ein schlechtes Gewissen zu machen. Ich empfand es wichtig, ihm genau zu sagen, dass er in Zukunft mehr darauf achten soll, wie sich die entsprechende Frau gerade mit ihm fühlt. Ich kommunizierte ihm klar, wie bedenklich ich es finde, wenn er ein klar ausgesprochenes Nein einfach so ignorierte. Ich rechnete fest damit, dass ich jetzt wieder geblockt werde. Aber es kam anders: Er entschuldigte sich. Er schrieb mir, dass es ihm leid täte und er tatsächlich dachte, das wäre ein Spielchen. Er dachte, ich würde mit meinem Nein nur kokettieren.

Ich fand es auf eine entsetzliche Weise spannend, dass ihm ohne meine Erklärung überhaupt nicht bewusst gewesen wäre, was an dem Abend eigentlich schief gelaufen war. Hätte ich ihm nach dieser Situation nicht ganz klar gespiegelt, was in mir vorging, hätte er nie das Verständnis für mich aufbringen können, das es bräuchte, um in Zukunft anders zu handeln.

Ja, auch dein Kumpel

Ich habe in diesem Moment gemerkt, dass sich der Versuch lohnt, einen Raum der gemeinsamen Aufarbeitung einzufordern. Mit genau dem Mann, der mich übergriffig behandelte.

Nicht immer ist das so möglich. Aber ich gebe mir inzwischen sehr viel mehr Mühe – und das mit mal mehr, mal weniger Erfolg – schon bei der kleinsten Ungereimtheit dem anderen zurückzumelden, wo er eine Grenze überschritten hat und klar zu benennen, was ich mir stattdessen gewünscht hätte.

Kürzlich startete der Hashtag #MeToo auf Twitter. Frauen erzählen in persönlichen Geschichten davon, wie Männer sie sexuell belästigten oder gewalttätig wurden. Ich könnte mit zahlreichen Geschichten einstimmen, denn sie sind keine Einzelfälle. Es kommt oft vor, dass ich nach Erfahrungsberichten ganz verwunderte Nachrichten oder Kommentare von Männern bekomme, die in diese Richtung gehen: In meinem Umfeld passiert das nicht. Nicht meine Kumpels. Kann ich mir nicht vorstellen. Oder noch schlimmer: Was für Leute triffst du denn?

Ich verstehe das. Wer würde auch schon sagen: Klar, kann ich mir bei meinen Kumpels gut vorstellen. Wer würde denn freiwillig erzählen, dass er schon einmal sexuell übergriffig geworden ist? Womöglich ist den lieben Kumpels nicht mal bewusst, dass das, was sie getan haben, übergriffig war. Vielleicht, weil in ihren Köpfen klar war: Die Frau wollte das doch so.

Ich habe keine Lust mehr auf Sätze wie: "Da bist du an die falschen Typen geraten." Es sind womöglich immer die Männer, von denen man es nicht erwartet. Ich habe keine Freundin, die nicht schon in irgendeiner Form Opfer sexueller Gewalt wurde. Keine. In den meisten Fällen waren es Männer, von denen sie es nicht gedacht hatten, denen sie schon vertrauten.

Ich wünsche mir, dass wir die Männer in unserem Umfeld mehr mit sexueller Gewalt und ihren ganzen Graustufen konfrontieren. Seien es Tinderdates, Kumpels oder Arbeitskollegen. Denn diese Gewalt findet nicht auf Twitter oder Facebook statt, sondern im Alltag. Und sie geht von konkreten Personen aus. Vielleicht könnten wir künftig versuchen, jede noch so kleine Grenzüberschreitung im Alltag direkt und konkret anzusprechen für ein beiderseitig respektvolles Miteinander.