Unsere Autorin fühlte sich fremd in ihrer Stadt. Über einen Lebensabschnitt wie im Zeitraffer.

Es ist ganz schwierig nur in Worte zu fassen, was es auszeichnet: das Gefühl, diese Gewissheit, sich dauerhaft in der falschen Stadt aufzuhalten. Einer Stadt, deiner Stadt, nicht meiner Stadt.

Das Unbehagen liegt meist an nichts Spezifischem. Die Straßen im Zentrum sind okay, das Essen auch, die Menschen nett in der Regel, die neuverspachtelten Häuserfassaden mal mehr, mal weniger schön, wie sonst überall auch, wenn man genauer hinsieht. Es gibt Supermärkte mit genügend Auswahl an genormten Gemüse und Parkplätzen, es ist immer noch eine Großstadt und das kann doch nicht so anders sein.

Oder?

Monate vergehen. Nach Monat zwei und drei und vier denkst du vielleicht, dass es kommen wird, das Sich-zu-Hause-fühlen-Gefühl, das dich nicht nur leise begrüßt, wenn du die Haustüre hinter dir schließt und zweimal zusperrst. Das Gefühl, morgens aufzustehen und Lust zu haben auf die Erkundung der Stadt. Genau diese und keine andere, right here, right now.

Im fünften Monat bist du gnädig. Du musst dich nur einleben, nur die richtigen Leute treffen, irgendwo. Du musst einfach mehr rausgehen, du sollst dich nicht so anstellen, du könntest doch zum Geburtstag von Silvia gehen, die hat doch letztens so nett geschrieben. Du gehst hin, Monat sechs, und fühlst dich auf dem Weg dahin wie ein*e Tourist*in im Bus, der*die das passende Kleingeld fürs Ticket nicht beisammen hat und später im Club verloren geht. Du wirst ja auch ständig danach gefragt, woher du kommst oder warum du da bist, was du da machst. Es ist nie selbstverständlich, da zu sein oder da zu bleiben, anders als in der Heimatstadt braucht es eine konkrete Motivation, die allen Fremden die eigenen Beweggründe kompakt zusammenfasst.

Halbzeit

Monat sieben und du spazierst schon zur dritten Jahreszeit durch die Promenade, am Karstadt vorbei, an der Pommesbude, am besten italienischen Restaurant der Stadt. Aber es tut sich nichts im Herzen, in der Magengegend. Es gibt nichts, das dich an dich selbst zu einer anderen Zeit erinnert; es ist, als ob du entwurzelt und eingepflanzt worden wärst an der falschen Stelle, mit zu wenig oder zu viel Erde, die über den Topfrand auf den Fischgrätenparkettboden fällt, du ertrinkst im Strudel der Vergangenheit, in den spätabends mit Missmut durchgescrollten Smartphonefotos.

Und wenn dir Menschen sagen, wie schön die Stadt sei, die dir nichts bedeutet, die dir eher Angst und Unbehagen bereitet, weißt du schon gar nicht mehr, was du antworten sollst, ohne sie vor den Kopf zu stoßen, wie du das immer tust, weil du nicht hingehört.

Weil du eben ehrlich und nicht begeistert bist vom Ausblick auf den Hafen, weil du ihn hässlich und industriell findest – nicht charmant. Weil du nichts mit Moin Moin, Möwen und Franzbrötchen anfangen kannst und mit dem Wetter schon gar nicht, das dir selbst an guten Tagen von unten ins Gesicht regnet. Du stehst an den schönsten Orten, direkt davor und willst nur weg, auch jetzt, wo du deinen Job längst gekündigt hast und aufleben könntest, hier, aber es passiert nicht, es passiert einfach nicht.

Es ist wie auf ein Date mit dem*der besten Freund*in gehen und sich um jeden Preis verlieben zu wollen.

Auszeit

Monat acht ist dafür vorgesehen, dass du offiziell für dein Umfeld erkennbar aufgibst, dass du wieder weg-, dass du endlich umziehst. Weil es nicht geklappt hat, mit euch, weil du keine Vorstellung davon hattest, wie es wäre, fremd zu sein.

Nach zehn Monaten kündigst du die Wohnung und räumst die Sachen in Kisten und es sind immer dreimal mehr Kartons nötig als erwartet und du weißt gar nicht mehr, was du deinen doch noch gewonnenen Freund*innen sagen sollst, außer dass es das Ende ist, dass man sich wahrscheinlich, eher ziemlich sicher doch aus den Augen verlieren wird, weil Freundschaft und Liebe nicht dafür konzipiert sind, sie in Entfernung auszuleben. Zumindest für dich nicht.

Dann fährst du weg nach vierzehn Monaten und lässt wieder ein Stück Leben hinter dir, ein in Abschnitte zerstückeltes Leben, das dir schon heute fern erscheint.

So fern, dass es unwahrscheinlich ist, überhaupt jemals dagewesen zu sein.