Im Flugzeugsitz neben mir sitzt ein Deutscher, Mitte 20, genau wie ich. Zwei Wochen Party in Cancún, Mexiko, liegen hinter ihm. Er ist platt, aber happy. Ob ich auch viel gefeiert hätte, will er wissen.

Ich denke kurz nach. Einmal bin ich durch die Salsa-Bars der Stadt Mérida gezogen. Ansonsten? Baden in Tropfsteinhöhlen, Obst-Farm, lauwarme Tequila-Nächte im Garten, viel Sonne, viele Kochsessions, viel Quality Time mit meiner mexikanischen Freundin. Neben mir ein enttäuschter Gesichtsausdruck. Ich konnte meinen Sitznachbarn offenbar nicht von meinem Urlaub überzeugen. Seine Miene sagt: langweilig.

Nicht nur auf Reisen begegnet mir das Phänomen: Die Schilderung der After-Party im Morgengrauen erntet Begeisterungsstürme, alles andere kriegt maximal ein wohlwollendes Lächeln. Warum verdient Feiern mehr Anerkennung als der Spieleabend oder die Netflix-Session? Was reizt uns so daran? Feiern heißt hier übrigens nicht nur Alkohol trinken. Es geht ums Rausgehen und alles, was dazu gehört – in Clubs, auf Hauspartys oder Festivals.

Wieso bekommt Feiern so viel Applaus?

Gibt es Feier-Forscher*innen? Auf der Suche nach Antworten stoße ich auf Heiko Kirschner. Er ist Soziologe an der Uni Wien, kennt sich mit Jugendkultur aus und hat die Techno-Szene erforscht. Er weiß, warum Feiern uns so wichtig ist: Nachdem Kinder ihre Freund*innen in Schule und Sportverein treffen, werden dafür später Partys wichtig. "Wir haben dort die Möglichkeit, uns auszutauschen und kennenzulernen." Wer feiere, sei nicht allein, sondern unter seinesgleichen und fühle sich sicher, erklärt Heiko Kirschner. "Eine Sicherheit, die immer schwieriger zu finden ist. Man hat heute so viele Freiheiten und Möglichkeiten, dass es schwierig ist sich zu entscheiden. Ob vor dem Bierregal oder beim Musikgeschmack."

Auch Winfried Gebhardt hat Feste und Events untersucht. Der Soziologie-Professor der Uni Koblenz sieht im Feiern noch einen anderen Reiz: "Feste ermöglichen einen Ausbruch aus dem Alltag." Der steigende Leistungsdruck auf junge Menschen fördere die Lust am Exzess, ist der Forscher überzeugt. "Die Freiräume, die junge Menschen im schulischen oder beruflichen Alltag haben, werden immer kleiner. In der Ausnahmesituation des Feierns spürt man dann das Bedürfnis, endlich mal ein bisschen über die Stränge zu schlagen."

Work Hard, Party Hard

Mit Alltagsflucht hat Feiern für Heiko Kirschner hingegen nicht viel zu tun. "Es gilt das Motto: Work Hard, Party Hard. Deshalb ist es falsch zu glauben, Feiern sei Eskapismus. Selbstoptimierung fängt bei der Ernährung an und hört bei Partys und Events auf." Man optimiere mit Feiern eben das eigene Image und den sozialen Status.

Dazu gehört nicht nur das Feiern selbst, sondern auch seine Darstellung. Hier kommen Facebook, Snapchat, Instagram et cetera ins Spiel. Einfacher denn je können wir zeigen, wie hemmungslos und verrückt wir unsere Samstagnacht verbringen – und erreichen dabei deutlich mehr Menschen als am Montagmorgen im Büro.

Nicht zuletzt ist an allem natürlich auch der Kapitalismus schuld. Mit feiernden Menschen lässt sich ordentlich Geld verdienen. "Zwischen den Veranstaltern von Events herrscht unheimliche Konkurrenz. Mit ihren Angeboten versuchen sie Menschen anzulocken und zu binden. Wer also bei allem dabei sein will, arbeitet entsprechend ständig auf das nächste Event hin", sagt Kirschner. Raffinierte Marketingstrategen pflanzen die Idee in unsere Köpfe: Los, komm zu unserer Party, dann hast du genauso viel Spaß wie die Menschen auf unserem Plakat.

Und die Moral von der Geschichte?

Halten wir also fest: Wir feiern, weil wir nicht alleine sein wollen und der Welt zeigen möchten, wie toll wir sind. Und wir fallen rein auf die Maschen der Werbung. Aber warum finden die Partywütigen unter uns dafür nun so viel Applaus?

Ganz einfach: "Das war schon immer so. Derjenige, der gesellig und oft auf Veranstaltungen unterwegs ist, der ist eben ein angesehener Mensch. Er gilt als nett und kommunikativ, jemand, mit dem man reden kann", hält Winfried Gebhardt fest.

Fazit: Wenn wir auf Instagram mal wieder über die perfekten Partyfotos der alten Schulfreundin staunen oder am Montag an den Lippen des Kollegen hängen, der von seinem Berghain-Trip erzählt: Erwischt. Die Masche Eigen-PR hat gezogen.