Diana Kinnert ist Mitglied der CDU und begleitet für ze.tt als Teil der Serie viervorwahl den Bundestagswahlkampf.

Während die Französ*innen schon 1972 den berüchtigten Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen, Vater der heutigen Parteivorsitzenden des Front National Marine Le Pen, kennenlernten, die Niederlande sich bereits vor über einem Jahrzehnt mit Geert Wilders und seiner rechtspopulistischen Partei für die Freiheit auseinandersetzten und sich der Brite Nigel Farage zur gleichen Zeit an die Spitze der rechten UK Independence Party setzte, herrschte in Deutschland zumindest augenscheinlich rechte Tristesse. Bei der Bundestagswahl 2009 erreichte die NPD nicht mehr als lausige 1,5 Prozent. Das deutsche Erbe, das Rechtssein – wir dachten: ausgemerzt. Und wie stolz es uns machte. Und gleichzeitig: arrogant, anmaßend und moralimperialistisch.

Ein Jahr nach der Bundestagswahl 2009 erschien Thilo Sarrazins Deutschland schafft sich ab. Erst zu dieser Zeit fanden angestaute politische Gefühle von Beklommenheit und Verunsicherung so langsam ihr öffentliches Ventil. Und die Aufruhr nahm zu. Mit jedem Zentimeter und jeder Sekunde, die die Globalisierung voranschritt, wuchs auch das Ohnmachtsgefühl der Nation, fühlten sich nicht nur soziale Unterschicht, sondern auch nach gestriger Stärke sehnende Traditionalist*innen und im Zuge zunehmender Liberalisierung kulturell Erniedrigte mit fallenden Privilegien scheinbaren Kontrollverlüsten ausgesetzt. Helmuth Plessners Die verspätete Nation: auf einmal in ähnlicher Lage wie Frankreich, die Niederlande, Großbritannien. Und irgendwie war dies auch gut so, so wurde das Rechte in Deutschland sichtbar.

Pegida-Demonstrant*innen mit Schaum vor dem Mund

Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus müssen und dürfen nicht stattgegeben werden. Doch dass es all diese Dinge bei uns gibt, als hässliche, aber doch auch wenig überraschende Reaktion auf Veränderung, als feiges Sündenbockgesuche, als blinder Hass auf angebliche Konkurrent*innen, als verzweifeltes Halten an ein Gestern in Form eines verbitterten Sittenwächtertums und eines öden Konformismus, das hat mich nie in regungslose Schockiertheit versetzt.

Die Wahl eines Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, die starken Wahlergebnisse von Rechtsextremen und Rechtspopulist*innen in westlichen Demokratien: Sie sind natürliche Antworten auf Veränderung, Ergebnis von Angst- und Misstrauensaat und auch eigenes Verschulden durch die gesellschaftliche Desintegration und die politische Nichterhörung verschiedener Bevölkerungsteile, die nun Ventile zu finden glauben.

Parteien wie die Alternative für Deutschland (AfD) stoßen in jene Blindheiten, die wir Deutsche insgesamt mitverursacht haben. Die Tritte gen Ostdeutschland rächen sich heute. Den Ossi mit Ressentiments von Nörgeln, Jammern, Schluchzen belegt zu haben und sein Selbstbewusstsein durch westdeutsche Allüren untergraben zu haben, das rächt sich heute. Und wir lernen nichts daraus, der*die westdeutsche Kosmopolit*in fühlt sich den Pegida-Demonstrant*innen noch immer moralisch und intellektuell überlegen. Genau das aber treibt diesen Schaum vor den Mund.

Entwaffnende Unaufgeregtheit

Es rächt sich ebenso, aus kultureller Überforderung und politischer Scheu Anspruchslosigkeit an den Tag gelegt zu haben, als vor Jahrzehnten Gastarbeiter*innen in das Land kamen. Diese unentwegt bequem als Gäste statt als Menschen behandelt zu haben, ihnen keine Integrationserfordernis abverlangt zu haben, Probleme in der Integrationspolitik ignoriert und tabuisiert zu haben, das alles ging nicht unbemerkt vonstatten. Dass Bevölkerungsteile dieser politischen Unfähigkeit überdrüssig sind, ist nicht vom Himmel gefallen.

Es rächt sich ebenfalls, rationalen Widerspruch immerzu reflexartig als irrationalen Hass und irrationale Ängste gedeutet zu haben. Wer für andere politische Maßnahmen und Instrumente plädiert als jene, die die Regierung Merkel sowohl bei der europäischen Staatsschuldenkrise um 2010, als bei auch der Flüchtlingskrise um 2015 umsetzte, muss nicht pauschal sozial abgehängt und rechtsextremistisch sein. Es hätte sich gelohnt, frühzeitig in sachliche Debatten einzusteigen und verkürzte und gellende Argumentation im Keim zu ersticken.

Das alles ist nun aufzuholen. Nicht aber durch Populismus als Antwort auf Populismus, nicht durch Verkürzung, durch Pauschalurteile, Generalverdächtigungen, Hysterie und Panikmache. Sollen sie doch sprechen, unsereiner spricht dagegen an – mit Trennschärfe und Genauigkeit, entwaffnender Unaufgeregtheit und neuer Sachlichkeit. Dafür ist nötig, die AfD auch zum Gespräch zu laden.

Demokratie ist ein integrativer Prozess. Parlare, namenstiftend für das Parlament, ist der Kern politischer Auseinandersetzung. Es ist gesund, den politischen Gefühlsstau des AfD-Klientels nicht weiter unkontrolliert auf den Straßen zu wissen. Dass er sich in einer Partei sammelt, ist demokratiegemäß. Nur so können Frust, Widerspruch und auch menschenfeindliches Gedankengut Eingang finden in Konfrontationskreise und ebendort Gegenüberstellung erfahren.

Claus Strunz, der AfD-Fanboy

Das aber muss richtig geschehen: Es nützt nichts und ist gar kontraproduktiv, wenn SAT.1-Moderator Claus Strunz nicht erst seit dem Fernsehduell zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Herausforderer Martin Schulz den AfD-Fanboy mimt. Sicherlich glaubt sich Strunz im Guten, all jene Fragen zu stellen, mit deren Nichtbeantwortung Parteien wie die AfD im Trüben fischen. Dass die unreflektierte Weitergabe von in sich schon propagandistischen Fragestellungen seine Berufsklasse diskreditiert, scheint Strunz zu vergessen.

Die Anspruchshaltung, im Zuge gegenwärtiger Flüchtlings- und Migrationsströme Herr aller Konfliktlagen der Welt sein zu müssen, und nationale Überhöhungsgedanken zu normalisieren, geht auch auf die Kappe sämtlicher Strunz-Figuren. Rechtsextremen, Rechtspopulist*innen und Nationalist*innen in die Karten zu spielen, indem nicht nur ihre Rhetorik übernommen wird, sondern die Zurschaustellung eines Ringen um nationale Souveränität im Zeitalter der Globalisierung ohne Alternative als klassische Unterhaltungsposse dient, ist verantwortungslos.

Dass das Fernsehduell zwischen Merkel und Schulz von den Themen Asyl und Abschiebung, Integration und Terrorismus beherrscht wurde, ist über Strunz hinaus auch den drei übrigen Repräsentant*innen ihrer Zunft zu verdanken. Es ist ihnen anzukreiden, nicht verstanden zu haben, dass jene Themen Symptomfänger und Kompensationsräume sind. Bedeutsamere und zugleich ursächlichere Fragestellungen ranken sich hingegen um die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse, die anstehende Transformation der Industrie und damit einhergehend den Wandel des Arbeitsmarktes.

Mehr Gelassenheit zeigen

Über visionäre Schulpolitik, innovative Weiterbildungspolitik, die Bereitstellung digitaler Infrastruktur und die Abschaffung von Investitionshemmnissen zu sprechen, hörte sich mehr nach Zukunft an, als der gebotene Flüchtlingstalk vom Sonntag. Über all das, und die Vereinbarkeit von Wirtschaft und Nachhaltigkeit, die Notwendigkeit internationaler Klimaschutzabkommen, die Lage der Pflegeberufe, Unterstützung für junge Familien, eine gesunde Konsolidierungspolitik und zukunftsfähige Quartierspolitik zu sprechen, ist hingegen versäumt worden.

Die Alternative für Deutschland ist heimliche Profiteurin des bisherigen Wahlkampfes. Sie geht trotz ihrer Abwesenheit als Siegerin aus dem Fernsehduell zwischen Kanzlerin und Herausforderer hervor. Sie profitiert von der Gleichbehandlung bei der Konzeption des Wahl-O-Maten, trotz dessen die reinen Papierpositionen der AfD mitnichten das wirkliche Gefährdungspotenzial und den extremistischen Grad der Partei darstellen, da sie von geistigen Brandstiftern wie Alexander Gauland oder Björn Höcke geführt und maßgeblich geprägt wird. Und auch der geplante Mediencoup der Spitzenkandidatin Alice Weidel, die vorgestern Abend vorzeitig eine ZDF-Sendung verließ, brachte ihrer Partei die Aufmerksamkeit ein, dessen Fehlen sie in den vergangenen Monaten wieder kleingemacht hatte.

In all jenem ist die typisch deutsche Überforderung im Umgang mit dem neuem Rechts und seinen Themen zu erkennen. Deutschland sollte die Reife aufbringen, mehr Gelassenheit zu zeigen.