Neun Nachrichten. Ich zähle neun Nachrichten am Ende des Tages, der sich mein Geburtstag nennt. Eine von meiner Tante, eine von meinem Vater, jeweils eine von meinen engsten Freund*innen. Eine von meiner Chefin. Eine alte Schulfreundin meldet sich via Facebook-Messenger. Meine Mutter ist bei mir. Das war’s.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Ich habe meinen Geburtstag auf Facebook verborgen, die meisten Menschen führen keinen Geburtstagskalender; weder in ihrem Notizbuch, noch als Abrissblatt an der Küchentür. Wer also hat Schuld an der Tristesse? Wer trägt die Verantwortung für meine gekränkte Seele? Facebook? Ich selbst, weil ich niemandem konkret Bescheid gegeben habe? Meine desinteressierten Bekannten?

Schon am Vortag hatte ich ein komisches Gefühl und konnte nicht einschlafen. Allzu oft habe ich es bereits selbst vermieden, eine banale Nachricht aus Pflichtgefühl zu versenden. Immer wieder versuchte ich mich gedanklich auf die Enttäuschung vorzubereiten, dass sich gewisse Menschen morgen nicht melden würden. Wichtige Menschen. Dass sie entweder unabsichtlich vergessen oder schlichtweg nicht daran denken würden. Dass es keinen Unterschied gäbe, logisch betrachtet. Und überhaupt, was ist Geburtstag schon für ein Feieranlass?

Wir werden jeden Tag älter, es gibt keinen rationalen Grund, diesem Tag mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als er verdient hat

Hochzeiten sollen bitte gefeiert werden und große Dinge wie Buchverträge und Jobwechsel. Scheidungen, von mir aus. Aber Geburtstage? Geburtstage, so sage ich mir, sind irrelevant. Ich fühle mich nicht anders, ich fühle mich nicht besonders und ich fühle mich auf gar keinen Fall wie ich es noch mit 14, 15 oder 16 getan habe, als jeder Geburtstag auch den Anbruch einer neuen Lebensphase bedeutete. 26 ist nur eine Zahl, die sich Richtung Dreißig bewegt. Nichts zu fürchten, fürchte ich.

Am Morgen des besagten Tages kommt sie trotz akkurater Vorbereitung pünktlich vor dem Frühstück: die Bitterkeit. Zehn Uhr – und erst eine Nachricht. Ich schäme mich dafür, dass ich sie zähle. Bemesse ich meinen Wert tatsächlich nach den eintrudelnden Nachrichten an meinem Geburtstag? Eine Freundin spricht mir eine Sprachnachricht drauf, die fast als Geburtstagsgruß durchgehen könnte. Nur dass sie natürlich genauso wenig Bescheid weiß wie alle anderen Kolleg*innen, Autor*innen, Studierende und Nachbar*innen, die ich in den letzten drei Jahren kennengelernt habe.

Wann macht man das noch, den*die andere*n nach dem Geburtstag fragen und diesen dann im Adressbuch eintragen?

Wann macht man das noch, den*die andere*n nach dem Geburtstag fragen und diesen dann im Adressbuch eintragen? Man verlässt sich für gewöhnlich auf Facebook. Menschen vertrauen kollektiv auf das geliebt-verhasste Netzwerk für Eltern und Hundebesitzer*innen, als ob es sich dabei um eine gutorganisierte Sekretärin handeln würde, und legen jegliche Verantwortung ab, auch mal wieder das Hirn einzuschalten.

Hier könnte natürlich argumentiert werden: Wozu das Gehirn mit einer Information belasten, die sich genauso einfach einsehen lässt wie Telefonnummern? Am Tag des Tages werde ich ganz easy morgens benachrichtigt und kann ein standardmäßiges "Hey, wünsche dir alles Gute" auf die Pinnwand der Kommilitonin posten, mit der man seit der Semesterparty 2014 kein Wort mehr gewechselt hat.

Für manche Menschen – mich zum Beispiel – ist das genau der Grund, warum ich die Benachrichtigungen deaktiviert und mich damit von obligatorischen, halbernst gemeinten Glückwünschen befreit habe.

Ich weiß, ganz rational betrachtet, dass es keinen Unterschied macht, ob mir jemand gratuliert oder nicht. Die Person mag mich deshalb nicht mehr oder weniger, genauso wie eine romantische Geste umgekehrt geheucheltes Interesse überdecken kann. Und trotzdem schleicht sich an dem Tag, der früher so wichtig war, dieses ekelige Gefühl an, dass nichts mehr so leicht ist wie damals.

Dass es niemanden interessiert. Dass die Menschen, so kulturpessimistisch es auch klingt, weitaus technikgesteuerter sind als vermutet. Dass sie nur das wahrnehmen, was man ihnen vor die Nase hält, was man am Tag selbst in ihre Timeline spült. Das, was man unmittelbar sehen kann. Das absichtlich Verborgene, das, was in diesem Real Life passiert, wird nicht gesehen, wenn man es nicht zugänglich macht.

Untertauchen leichtgemacht

Es wird auf das reagiert, was greifbar, kommentierbar und teilbar ist. Ein nicht offenbartes Datum wird keine Reaktion hervorrufen. Obwohl diese Erkenntnis wenig Überraschendes birgt, zeigt sie doch, was Social Media mit Geburtstagen gemacht hat. Statt wie früher darauf zu vertrauen, dass sich die Menschen, die einem wichtig sind und umgekehrt ein gottverdammtes Datum merken können, vertrauen die Menschen nun darauf, dass man ihnen wichtige Termine, Veranstaltungen und Daten möglichst geschmackvoll digital präsentiert. Menschen haben ironischerweise Angst vor der totalen Überwachung, gleichzeitig scheinen sie selbst innerhalb dieser wesentlichen zwischenmenschlichen Effort vergessen zu haben.

Ich habe tatsächlich kurz überlegt, ob ich ein analoges Feierfoto vom Sommer auswählen und auf Instagram posten soll.

Ich habe tatsächlich kurz überlegt, ob ich ein analoges Feierfoto vom Sommer auswählen und auf Instagram posten soll, um andere an mich zu erinnern und mein kränkelndes Ego zu befriedigen. Um mir die Wertschätzung künstlich zu holen. Um dazuzugehören, um mitzumachen im niemals endenden Zirkel der Selbstdarstellung und Schmeicheleien.

Einem Zirkel, der auch vor Geburtstagen und Weihnachten und Familienfeiern nicht halt macht, deren fotografisches Festhalten vor allem dazu dient um – hier wird es ironisch – auf Social Media geteilt zu werden.

Mein Ego soll die Klappe halten und Kuchen essen

Und so bereue ich es nicht, niemandem Bescheid gesagt zu haben und den Abend mit einer guten Freundin verbracht zu haben. Völlig unspektakulär in einer noch unspektakuläreren Bar im Wedding, in der wir keinen Tisch reserviert hatten. Sie hat mir Blumen mitgebracht, und ein neues Buch. Dieselbe Freundin hat vor wenigen Monaten übrigens auch nicht genau gewusst, wann ich Geburtstag habe. Aber sie hat gefragt – und es danach nicht vergessen.

Vielleicht liegt hier der kleine Unterschied. Solange man ihn erkennt, kann das bisschen Unmut bleiben.