Vor allem jetzt, wenn es früh dunkel wird, leidet Christian unter Verfolgungsangst, sobald er auf die Straße tritt. Manchmal muss der 19-Jährige zum Einschlafen Tabletten nehmen. Er geht auch zum Psychotherapeuten, um über den Vorfall zu sprechen, der fast fünf Monate her ist.

Es war der 16. Mai, Pfingstmontag, als Christian in seiner Heimatstadt Hattingen im Ruhrgebiet mit einem Freund zur Kirmes gehen wollte. An der Bushaltestelle wurde er von einer Gruppe angepöbelt. Zwei von ihnen kannte Christian bereits. "Die haben schon öfter blöde Sprüche losgelassen", sagt er.

"Wir bringen deine Familie um"

"Schwuchtel", "schwule Sau", homophobe Beleidigungen: Christian versuchte, die Sprüche der Gruppe zu ignorieren. Doch sie ließen nicht locker, diesmal sollte es nicht nur bei Beschimpfungen bleiben. Die Jugendlichen folgten Christian bis vor das Haus seines Vaters. "Ich wollte die Tür zumachen, da hat einer seinen Fuß dazwischen gestellt." Sie haben ihn beschimpft, einer zerrte an Christians Brustwarzen. Die schmerzen auch heute noch. Es haben sich Zysten gebildet, die herausoperiert werden sollen.

Andere hätten über den Vorfall geschwiegen. Aus Angst, aus Scham. Doch Christian schwieg nicht, er erstatte Anzeige.

Einen Tag später, ausgerechnet am Internationalen Tag gegen Homo- und Transphobie, traf er wieder auf die Gruppe. Erneut bedrohten sie ihn: "Sie sagten, wenn ich die Anzeige nicht zurücknehme, zünden sie unser Haus an und bringen mich und meine Familie um", erzählt Christian.

Umziehen kommt für Christian nicht in Frage

Doch Christian dachte nicht daran, die Sache auf sich ruhen zu lassen. Kurze Zeit später fand der Zivilprozess statt: Gewaltopferschutzverfahren nennt das Gericht das, was wir als einstweilige Verfügung kennen. Die Täter müssen jetzt mindestens 20 Meter Abstand von Christian halten.

"Doch daran halten sie sich nicht", erzählt er. Erst in der vergangenen Woche ist er einem der noch minderjährigen Täter wieder auf der Straße begegnet. "Er hat nur dreist gegrinst", sagt der 19-Jährige. "Ich habe gezittert, mir wurde flau, ich hatte Angst."

Christian will jetzt ein Studium beginnen, es gibt andere Dinge, um die er sich kümmern muss. Doch die Vorfälle gehen ihm nicht aus dem Kopf, sie begleiten ihn ständig. Die körperlichen und seelischen Folgen begleiten ihn auch Monate später. Aber wegziehen? Die Heimat, die Erinnerung und die homophoben Idioten hinter sich lassen? Das will Christian nicht. "Ich wohne hier schon immer, ich will mich nicht von solchen Typen verscheuchen lassen", sagt er selbstbewusst.

Unterstützung vom Weißen Ring

Es ist ihm wichtig, über das homophobe Hassverbrechen zu sprechen, das ihm widerfahren ist. "Ich weiß, dass vielen so etwas passiert, aber sie schweigen es tot", sagt er. "Es gibt kein Bewusstsein für die Diskriminierung." Das will er ändern.

Seine Familie und seine Freunde finden es gut, dass Christian den Mut hat, über die Vorfälle zu reden. Ein Bekannter hat ihm sogar gesagt, dass er auch gerne so offen über die Gewalt reden würde, die er selbst erlebt hat. "Das ist zwar ein schönes Gefühl, aber ich will nicht gelobt werden", betont Christian. "Ich will einfach, dass solche Verbrechen öffentlich diskutiert werden, ich will wachrütteln – und fordere auch härtere Strafen." Statt "ein paar Sozialstunden" sollten Wiederholungstäter schneller ins Gefängnis kommen, findet er. "Die Strafen sind täter- statt opferfreundlich."

Deshalb engagiert er sich seit diesem Monat auch beim Weißen Ring, einer Hilfsorganisation für Gewaltopfer. Der Verein hilft ihm, indem er eventuelle Prozesskosten übernimmt, außerdem hat er ihm eine Ansprechpartnerin vermittelt. Diese unterstützte Christian etwa dabei, die einstweilige Verfügung zu beantragen. Jetzt will er dem Verein etwas zurückgeben: Er möchte für andere Gewaltopfer da sein, sie beraten und von seinen Erfahrungen sprechen. "Ich möchte etwas verändern – und auch anderen helfen."

Dir ist auch homophobe Gewalt widerfahren?

In vielen Städten gibt es Anti-Gewalt-Projekte, an die du dich winden kannst. In Berlin bietet Maneo Hilfe an, in Hamburg gibt es unter anderem das Magnus Hirschfeld Centrum, in München den Schwule Kommunikations- und Kulturzentrum München e. V. Zudem gibt es Beratungsstellen der Opferhilfe, an die du dich jederzeit wenden kannst.