Bei der Reform des Sexualstrafrechts, dem Teilhabegesetz und dem Prostituiertenschutzgesetz besteht Nachbesserungsbedarf. Bei letzterem wäre es am Besten, es einfach sein zu lassen. Meldepflicht, Kondomzwang, strengere Auflagen für sexuelle Dienstleistungen in Wohnungen – wie strikte Trennung von Arbeits- und Wohnbereich und eine eigene Toilette für Kunden – und verpflichtende Untersuchungen sind die umstrittensten Punkte.

Den Gesetzgeber scheint es nicht zu interessieren, was Sexarbeiter*innen und Beratungsstellen zum geplanten Gesetz sagen. Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen:

  1. Im Koalitionsvertrag steht, dass die aktuelle Gesetzeslage geändert werden muss, also wird das jetzt ohne Rücksicht auf Verluste auch gemacht.
  2. Es ist egal, was sie sagen – weil sie es doch nicht besser wissen, die armen Prostituierten!

Dreckig und traumatisierend?

Da sind wir auch schon beim Problem. Mit Sexarbeit sind gewisse Vorstellungen verknüpft. Das älteste Gewerbe der Welt gilt als dreckig, von Haus aus traumatisierend, drückt denen, die es ausüben, einen Stempel auf und ist daher offensichtlich keine Tätigkeit, der jemand freiwillig nachgehen möchte.

Damit ist der Fall klar und es kann über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden werden, was für sie am Besten ist. Wozu selbstbestimmt arbeiten, wenn Sexarbeiter*innen ohnehin keine "richtigen" eigenen Entscheidungen treffen können und dringend auf den Schutz von Vater Staat angewiesen sind?

Sexarbeit ist Arbeit!

Sofern sich erwachsene Menschen frei und ohne Zwang dafür entscheiden, Sexarbeit nachzugehen, ist doch alles okay. Sexarbeit ist Arbeit – Punkt. Dass Sexarbeit etwas komplett anderes ist als Zwangsprostitution, sollte jedem klar sein, der über ein höheres Differenzierungsvermögen verfügt als ein Goldhamster.

Im Klartext: Bis auf die Profiteure von Menschenhandel ist niemand dagegen, Zwangsprostitution nicht härter zu ahnden und Opfern besseren Schutz zu gewähren.

Es ist jedoch fraglich, ob wir das erreichen, indem wir Sexarbeiter*innen mehr staatlicher Kontrolle aussetzen und Stück für Stück entmündigen.

Kaum zu glauben, dass es wirklich gesagt werden muss, aber: Wir haben das Jahr 2016 und Menschen können eigene Entscheidungen treffen. Was sie mit ihrem Körper machen und ob sie sexuelle Dienstleistungen anbieten, geht uns schlicht nichts an.

Recht auf Teilhabe und Schutz

Was uns aber sehr wohl etwas angeht: Sexarbeiter*innen verdienen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft und ihrer weiteren Lebensumstände Zugang zu anonymer medizinischer Versorgung sowie ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und gesellschaftliche Teilhabe. Die im Prostituiertenschutzgesetz geplanten Maßnahmen könnten jedoch dafür sorgen, dass Sexarbeiter*innen in Deutschland einen noch schwereren Stand als bisher haben.

Denn schon jetzt haben es Sexarbeiter*innen nicht leicht: "Unser Problem sind nicht unsere Kunden. Der größte Teil von ihnen benimmt sich absolut passabel. Unser größtes Problem ist die gesellschaftliche Stigmatisierung", schreibt Undine de Rivière vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. über die "Stuttgart Sagt Stopp"-Kampagne.

Nicht abwerten – zuhören

Würde man Sexarbeit nicht abwerten, sondern als alltäglichen Beruf akzeptieren und Sexarbeiter*innen zuhören, wäre bereits einiges getan. Dabei ist wichtig, dass zwei Sexarbeiter*innen zwei völlig unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben können, beide aber gleichermaßen valide sind.

Es muss auch immer mitgedacht werden, welche Rolle beispielsweise Cissexismus und Rassismus in ihren Erfahrungen spielen. Nicht alle sind weiß, deutsch, und kommen aus der Mittelschicht, Becky.

Ja, Sexarbeiter*innen machen manchmal Gewalterfahrungen. Doch nicht nur Klient*innen schaden ihnen, sondern auch Menschen, die ihnen "helfen" möchten: Die Veröffentlichung der Namen und Adressen von Sexarbeiter*innen, also das faktische Outing dieser Personen durch eine Anti-Prostitutionsgruppe, zeigt, dass nicht nur in Kauf genommen, sondern bewusst darauf gesetzt wird, dass Sexarbeiter*innen von ihrem persönlichen Umfeld und auch potenziellen neuen Arbeitgebern ausgegrenzt werden.

Unsere Liebe zu Regeln

Der "Hurenhass" sitzt tief. Und ist dabei nichts weiter als eine Verlängerung der guten, alten Frauenfeindlichkeit – denn, seien wir ehrlich, das Gesetz richtet sich in erster Linie an Frauen*, weil andere Geschlechter nicht mitgedacht werden, wenn es um Sexarbeit geht –, die wir in unserer vermeintlich progressiven Gesellschaft ja schon längst abgelegt haben.

Wir sind alle frei, lieben frei, vögeln frei – aber wehe, jemand möchte dafür Geld haben – dann sollte das schnellstens reguliert werden.

Typisch deutsch eigentlich, aber das ist wieder ein anderes Thema.