Gehen wir in jungen Jahren eine Beziehung ein, verschwenden wir keinen Gedanken daran, was die Zukunft bringen könnte. Wir leben im Moment und strotzen nur so vor Energie. Doch was passiert, wenn wir plötzlich nicht mehr jung und agil sind? Mit meinen 28 Jahren verunsichert mich diese Vorstellung. Darum habe ich den Paarexperten Eric Hegmann befragt, ob körperliche Gebrechen eine Chance für die Liebe sein können, oder ob es manchmal besser ist, zu gehen, wenn einem alles zu viel wird.

Aus einer starken Schulter wird plötzlich eine gebrechliche

Je älter wir werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir Blessuren oder Krankheiten mit uns herumtragen. Was bei dem*der einen vielleicht nur der Bluthochdruck ist, entwickelt sich bei dem*der anderen zu einem lebenseinschränkenden Umstand.

Meine Partner waren bislang rundum fit und gesund. Hat sie dann doch mal ein Virus erwischt, wusste ich, dass die Dauer meiner Fürsorge nur für wenige Tage anhalten musste. Suppe kochen, Fieber messen und die nötigen Besorgungen machen, ist schließlich selbstverständlich, wenn es dem*der Partner*in einmal schlecht geht.

In guten wie in schlechten Zeiten?

Wenn dieser kurze Krankheitszeitraum nun aber über Jahre oder sogar bis ans Ende des Lebens dauern würde, wäre ich dann immer noch die Partnerin, die mit voller Energie jeglichen Stein in Bewegung setzen würde, um für meinen Liebsten da zu sein?

Ehrlich gesagt glaube ich: nein.

Vor dem*der Standesbeamt*in oder dem*der Pfarrer*in verspricht man sich zwar in guten wie in schlechten Zeiten zusammenzuhalten, aber das nur im Gefühl, dass im Moment alles super ist und sich so schnell nicht ändern sollte. Allerdings können schlechte Zeiten eine Beziehung so verändern, dass von der Liebe nicht mehr viel übrig bleibt. Habe ich als Partner*in dann die Pflicht, mich trotzdem aufzuopfern?

Statistisch gesehen ist die Lebenserwartung von Frauen höher als die von Männern, erklärte mir Eric Hegmann. Viele Frauen [in heterosexuellen Beziehungen, Anm. d. Red.] wären somit ein Stück weit darauf eingestellt, dass der Partner möglicherweise vor ihnen zum Pflegefall wird. Das ist eine Situation, die mich verunsichert. Ich wäre allerdings im Falle des Falles nicht dazu verpflichtet, den Job einer Krankenschwester zu übernehmen, dafür gibt es schließlich qualifizierte Fachkräfte, sagt Hegmann. Vielen Dinge, die in unserer Vorstellung unerträglich erscheinen, wie etwa Hintern abwischen oder Füttern, würden in der Realität ihren Schrecken verlieren, sagt er.

Wäre Sex noch machbar und schön?

Über sich hinaus wachsen schön und gut, aber würde nicht trotzdem etwas fehlen? Könnten wir noch Sex haben oder würde sich jegliche körperliche Zuneigung verabschieden? Sexualität habe so viele Facetten, dass zwei Menschen die sich lieben, sich irgendwie körperlich nahe sein können, sagt mir Hegmann.

"Ich habe vor einigen Jahren viel Zeit auf einer Palliativstation verbracht und gesehen, dass Liebe tatsächlich immer einen Weg findet. Das habe ich als sehr tröstend erlebt und auch Mut machend", sagt er. Es ist eine schöne Vorstellung, dass Liebe auch in schweren Stunden einen Weg findet, damit habe ich nicht gerechnet. Trotzdem habe ich Zweifel, ob ich mit so einer emotional belastenden Situation zurecht kommen würde.

Hätte ich dann das Recht zu gehen, wenn es mir zu viel wird? Ich bin schließlich weiterhin ein Individuum und eine eigenständige Persönlichkeit. Muss ich mein Leben aufopfern, nur weil ich mich in der Vergangenheit für einen Partner entschieden habe? Hegmann gibt mir mit auf den Weg, mutig zu sein. Es sei der Mut, sich auch in schweren Zeiten auf den Menschen einzulassen, den man liebt. Habe ich diesen Mut nicht, bringt es auch meinem Partner nichts, wenn ich nur aus Pflichtgefühl bleibe.

Liebe ist ein Geschenk, keine Pflicht

Stelle ich mir vor, selbst in einer gesundheitlich schwierigen Lage zu sein, in der ich auf Hilfe meines Partners angewiesen wäre, hege ich eine gewisse Unentschlossenheit. Natürlich würde ich die Aufmerksamkeit und Fürsorge des Menschen genießen, dem mein Herz gehört. Doch ich würde nicht wollen, dass er sich für mich aufreibt.

Bevor mir jemand gegen seinen Willen den Hintern abwischt, möchte ich lieber, dass er seines Weges geht und sein Glück anderweitig findet. Vielleicht ist das ein bisschen egoistisch von mir. Spreche ich damit nicht nur den Partner frei, sondern auch mich? Wenn er nicht muss, muss ich schließlich auch nicht. Laut Hegmann ist dies verheerend für eine Liebesbeziehung, denn es nimmt den Optimismus und die Zuversicht, die es braucht, ein Leben lang zusammenzubleiben. Er ermahnt mich, nicht nur an mich zu denken. Gehe ich eine Beziehung ein, ist das eine Absichtserklärung. Eine Absichtserklärung dafür, einander auch in schlechten Tagen beizustehen. Das sei unverzichtbar für eine Beziehung.

Ich weiß nicht, wie ich im Falle einer Krankheit meines Partners oder mir reagieren würde, solange ich nicht damit konfrontiert werde. Paarexperte Eric Hegmann fragt mich: "Weshalb gehen Menschen Bindungen ein? Weil sie gemeinsam auf die Veränderungen des Lebens besser reagieren können als allein. Und die Veränderungen werden kommen." Es liegt an mir, ob ich diese Veränderungen annehmen kann und meine Beziehung dadurch vielleicht sogar noch stärke. Am Ende ist es der Glaube an die Liebe, der mich ein wenig beruhigt. Der Glaube, dass mich meine Gefühle durch gute sowie schlechte Zeiten tragen werden.