Wenn Gianna im Vorlesungssaal 1.16 Medienrecht hat, schaut sie aus dem Fenster direkt auf den ehemaligen Deutschen Pavillon. Der monströse Glaskasten war vor 15 Jahren das Herzstück der Weltausstellung Expo in Hannover. 18 Millionen Menschen kamen damals her. Jetzt ist hier nichts mehr, eine Wüste aus Beton und Glas. Die meisten Hannoveraner fahren nur noch in diesen Teil der Stadt, um im 700 Meter entfernten IKEA einen Hot Dog nach dem Möbelkauf zu essen. Oder um in der benachbarten TUI Arena auf ein Konzert zu gehen. Die einzigen, die hier regelmäßig herkommen, sind Studierende.

Gianna ist eine von ihnen, sie studiert im dritten Semester "Public Relations" an der Hochschule Hannover. Seit letzter Woche haben sie und ihre Kommilitonen neue Nachbarn. Knapp 400 Flüchtlinge sind in den deutschen Pavillon eingezogen, Montag kamen die ersten 350, Donnerstag waren es noch mal 43. Sie kommen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, dem Sudan und Eritrea, sie alle haben lange, lebensgefährliche Reisen hinter sich. Jetzt wohnen sie in einer Erstaufnahmeeinrichtung mitten auf dem Campus. Zwanzig Meter liegt der Eingang der Flüchtlingsunterkunft vom Eingang des Hochschulgebäudes entfernt. "Ich bin froh, dass endlich etwas Sinnvolles mit dem Gebäude gemacht wird", sagt Gianna.

Die 23-Jährige freut sie sich über das Ankommen der Flüchtlinge. Und damit ist sie nicht allein. "Wir sind eine weltoffene Hochschule mit einer internationalen Ausrichtung und Partner-Universitäten auf der ganzen Welt. Das wollen wir auch in dieser Situation vorleben", sagt Sabine Chmielewski, Pressesprecherin der Hochschule Hannover. Bei den Studenten vor Ort sei eine Willkommenskultur zu spüren. 2500 sind das derzeit von der Hochschule Hannover. Dazu kommen noch knapp 300 von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover und ungefähr 550 von der Leibniz Fachhochschule.

Die wollen jetzt ein freundliches Miteinander mit den Flüchtlingen auf der Expo-Plaza schaffen. Erste Pläne dafür gibt es bereits: In einem Treffen der Hochschule Hannover haben sich schon vor Wochen Lehrende mit Studenten zusammengesetzt und gemeinsam geschaut, wo Hilfe benötigt wird. Sie einigten sich auf grobe Arbeitsbereiche wie Sprachkurse, Freizeitbeschäftigungen und Helferhilfe. Diese wurden nach der Sitzung nochmal an alle Studenten rumgeschickt, damit die sich für einen Bereich eintragen können. Mehr ist seitdem nicht passiert.

Viel ist das noch nicht. Konkreteres sei aber bisher nicht möglich gewesen, erzählt Chmielewski. Die Hochschule habe bis zum Einzug der Flüchtlinge kaum Informationen gehabt: sie wusste nicht, wann sie genau ankommen, wie viele es werden, wie lange sie bleiben. Das steht jetzt fest: Erstmal bleiben die Flüchtlinge für ungefähr vier Wochen im Deutschen Pavillon, ehe sie weiter verteilt werden. Danach soll aus der gerade noch provisorischen Erstaufnahmeeinrichtung eine städtische Notunterkunft werden, in der die Bewohner auch längerfristig wohnen.

Es müssen also auch mit Blick auf die Zukunft Lösungen gefunden werden: Das WLAN-Netzwerk "eduroam", das sowieso schon täglich mehrere tausend Menschen mit Internet versorgt, könnte ausgeweitet und auch für die Flüchtlinge geöffnet werden. Über das Thema werde derzeit diskutiert, sagt Chmielewski. Sie weiß, wie wichtig Internet für die Flüchtlinge ist. Es ist eine Möglichkeit, Verwandte und Freunde, die sich noch in der Heimat oder gar auf der Flucht befinden, zu kontaktieren.

Was bereits feststeht: "Wenn Flüchtlinge sich als Gasthörer mit in Vorlesungen setzen wollen, erlassen wir ihnen die Gebühren", sagt Chmielewski. Leider finden an der Hochschule Hannover kaum Veranstaltungen auf Englisch statt. Trotzdem ist das schon mal eine Möglichkeit, den Flüchtlingen Berührung mit der deutschen Sprache zu geben. Vor allem ist das aber eine Chance, Flüchtlinge und Studenten zu durchmischen, damit keine voneinander abgekapselten Gruppen entstehen.

Erstmal ein Dach über dem Kopf

Es ist kalt auf der Expo-Plaza, gefühlt nochmal zwei bis drei Grad kälter als in der Stadt, weil dem Wind hier wenig im Weg steht. Bei aller Abgeschiedenheit des Standortes ist die wichtigste Nachricht: Im Pavillon ist es warm. Hier können die Menschen nach einer kräftezehrenden Flucht zur Ruhe kommen. Sie sind sicher.

Feuerwehrchef Claus Lange sieht die Situation pragmatisch: "Der Pavillon ist eine gute Möglichkeit, den Menschen erst mal ein Dach über dem Kopf zu geben und die Versorgung sicherzustellen." Nur drei Wochen hatten er und seine Kollegen Zeit, die nötige Infrastruktur vor Ort herstellen. Dazu gehörten neben Schlafplätzen auch Duschmöglichkeiten, Toiletten, eine Kantine und ein Wäscheraum.

Acht Zeltdörfer stehen in dem futuristisch anmutenden Glasraumschiff, das mal der Deutsche Pavillon war. Haus-in-Haus-Prinzip nennt sich das. Auf der linken Seite wohnen die alleinreisenden Männer, rechts, abgetrennt davon, Familien mit Kindern. In den einzelnen Dörfern wohnen jeweils 30 bis 40 Personen. Jedes Zelt ist mit bis zu zwölf Personen besetzt. Mit Bauzäunen, die mit einer weißen Plane bespannt sind, wurden Trennwände gezogen. Klamotten hängen zum Trocknen drüber.

"Wir haben ausprobiert, wie man in einer großen Halle ein Stückchen Privatsphäre schaffen kann", sagt Lange. Gemütlich ist es hier trotzdem nicht, zu steril und surreal ist das ganze Drumherum.

Credit Points für helfende Studenten

Und draußen ist es nicht besser. Nicht einmal die Studenten kommen hier gerne hin. Die Expo-Plaza ist weit weg von allem, viele Studenten brauchen eine Dreiviertelstunde, um morgens raus zu fahren. Abends nach der letzten Vorlesung geht es möglichst schnell zurück ins Zentrum.

Schlimmer ist die Lage für die Flüchtlinge. "Hier ist ja nichts, keine Infrastruktur, keine Geschäfte. Was sollen denn Kinder hier den ganzen Tag machen? Es gibt ja keinen Spielplatz, nur Stein", sagt Chmielewski. Viele Flüchtlinge stehen am Kiosk vor der Bahnstation rum. Ihre Hoffnung auf Abwechslung sind die Studenten.

Die sind bereit zu helfen – nicht nur an der Hochschule Hannover. Auch am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung macht man sich Gedanken. Am Mittwoch, zwei Tage nach dem Einzug der ersten Flüchtlinge, fand eine große Planungsbesprechung statt. Viele Studierende und ein Großteil des Kollegiums waren dabei, alle Sitzplätze waren belegt.

Geleitet wurde die Runde von Dr. Dorothée Hefner, die am Institut die geplanten Projekte für Flüchtlinge koordiniert. "Ich denke bei unseren Studierenden an Organisationstalente, es ist sicherlich hilfreich, dass sie mit Projektmanagement vertraut sind", sagt sie. Das Treffen läuft beinahe ab wie ein ganz normales Seminar: Vorne geben Dozenten ein paar Impulse, es wird gemeinsam diskutiert und daraus Ideen entwickelt. Bis zur nächsten Woche sollen sich die Anwesenden zu Gruppen zusammenfinden und Projekte einreichen. Dann geht es an die Arbeit.

Ein Fünfer-Team will zum Beispiel ein wöchentliches Kino-Angebot für die Flüchtlinge aus dem Nachbarhaus schaffen und in zwei Räumen zwei verschiedene Filme zeigen – einen für Kinder und einen für Erwachsene. Für ihr Engagement bekommen sie sogar Credit Points. "Wir wissen, dass unsere Studierenden wenig Zeit haben, weil die meisten neben dem Studium einen Job haben oder sich anderweitig engagieren", sagt Hefner. Diese Credits für Projekttätigkeiten sammeln die IJK-Studenten sonst, indem sie an wissenschaftlichen Forschungen oder Veranstaltungen mitarbeiten.

Jetzt gibt es sie auch für Engagement bei der Flüchtlingsintegration. Die allermeisten Studenten würden sicherlich auch ohne Belohnung mithelfen. Trotzdem: So sinnvoll werden Credit Points nur selten vergeben.

Hinweis: Der Autor ist selbst an der Hochschule für Musik, Theater und Medien eingeschrieben und war für sein Studium bis vor kurzem regelmäßig auf der Expo-Plaza.