Mutti hat ja immer schon gesagt: "Gewalt ist keine Lösung." Auch nicht gegen Polizist*innen. Auch dann nicht, wenn sie Teilnehmende einer Sitzblockade wegtragen oder Platzverweise durchsetzen.

Trotzdem kriegen die Beamt*innen mal was ab. Die Bundesregierung hat jetzt eine Gesetzesänderung durch den Bundestag gejagt, die Polizist*innen und Rettungskräfte künftig besser vor Gewalt schützen sollen. Als Grund dafür nennt sie die gestiegenen Fälle, in denen betroffene Beamt*innen Anzeige erstattet haben. Sie bezieht sich dabei auf Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik (PDF).

In der Statistik ist jedoch nicht enthalten, in wie vielen Fällen es tatsächlich zu rechtskräftigen Urteilen kam. Der Deutsche Richterbund schreibt in einer Stellungnahme, dass eine weitere eklatante Steigerung der Fallzahlen nicht ersichtlich sei. "Ein sachlicher Grund für eine erneute Strafschärfung ist daher aus Sicht des Deutschen Richterbundes nicht gegeben."

Was soll sich ändern?

Inhaltlich geht es hierum (PDF):

  • Menschen, die Widerstand gegen Vollstreckungsbeamt*innen leisten oder sie tätlich angreifen, sollen dafür mit mindestens drei Monaten Haft bestraft werden. "Wer einen Polizisten anrempelt oder tätlich angreift, geht künftig mit Freiheitsstrafe nach Hause", sagte der Unionspolitiker Armin Schuster in der Debatte – und zwar unabhängig davon, ob dabei jemand verletzt wurde oder nicht. Bislang war die Mindeststrafe eine Geldstrafe.
  • Die Fälle von Widerstand gegen Vollstreckungsbeamt*innen, bei denen Täter*innen eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug mit sich führen, werden künftig als schwere Fälle gewertet. Dabei ist egal, ob die Person den Gegenstand beispielsweise im Rucksack hatte und nie die Absicht hatte, diesen als Waffe gegen Polizist*innen zu verwenden. Schwere Fälle von Widerstand oder tätlichem Angriff werden mit mindestens sechs Monaten Haft bestraft.

Was kritisieren Verbände und Expert*innen?

Das Fazit der Neuen Richtervereinigung (NRV), die von der Bundesregierung zu einer Stellungnahme aufgefordert wurde: Das Gesetz sei ungeeignet und nicht erforderlich.

  • Schärfere Strafen würden nicht zu weniger Gewalt gegenüber Polizist*innen führen. Laut wissenschaftlichen Untersuchungen greifen überwiegend Betrunkene oder erregte Täter*innen tätlich Polizist*innen an. Die NRV schreibt: "Alkoholisierte und erregte Täter handeln impulsgesteuert und meist ohne rational abzuschätzen, welche Folgen ihr Handeln haben könnte. Sie werden sich auch zukünftig bei geänderten höheren Strafandrohungen nicht anders verhalten."
  • Darüber hinaus stuft die NRV äußerst kritisch ein, dass das bloße Mitführen eines gefährlichen Werkzeugs oder eines Messers schon als Grund für einen schweren Fall ausreicht. Auch wenn die Person diesen Gegenstand gar nicht benutzen wollte. Widerstandshandelnde gerieten meist unfreiwillig in den Kontakt mit der Polizei, beispielsweise bei einer Kontrolle, schreibt die NRV. "Anders als eine Person, die sich bewusst zu einer Diebstahlshandlung entschließt und ihre dafür mit sich geführte Ausstattung selbst bestimmen kann, hat der Widerstandshandelnde keine Gelegenheit, ein gefährliches Werkzeug abzulegen, das er ursprünglich für einen unverfänglichen Zweck mit sich führte." Der Widerstandshandelnde hat keine Möglichkeit, "sich vor seiner Widerstandshandlung bewusst zu entscheiden, ob er das gefährliche Werkzeug mit sich führen möchte oder nicht."

Die NRV wertet die Gesetzesverschärfungen als reine Symbolpolitik, die Respekt und Wertschätzung für die Polizei ausdrücken sollen. Dass mehr Respekt durch härtere Strafen erreicht wird, hält die NRV für fragwürdig. Wertschätzung erreiche man durch angemessene und bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Respekt würden sich Polizist*innen durch eine bessere Außendarstellung sowie weiter steigende Professionalität erarbeiten.

Bürgerrechtsorganisationen wie die Humanistische Union befürchten, dass sich durch die Verschärfungen die Aufklärung von rechtswidriger Polizeigewalt erschweren werde. Die würde sowieso schon selten angezeigt werden, da betroffene Polizist*innen häufig mit einer Gegenanzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamt*innen reagieren würden.

Privileg der Polizei

Mit der Gesetzesänderung dreht die Bundesregierung die Bedeutung um, die der Paragraf 113 des Strafgesetzbuches ursprünglich mal hatte. Darin geht es um "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte". In einer Konfliktsituation zwischen Bürger*innen und Polizeibeamt*innen wurde lange die Position der Bürger*innen privilegiert. "So wollte der Gesetzgeber der Ausnahmesituation Rechnung tragen, in der sich Bürger befinden, die gut ausgerüsteten Vertretern der Staatsgewalt mit besonderen Befugnissen gegenüberstehen", schreibt der Kriminologe Tobias Singelnstein in der Süddeutschen Zeitung.

Singelnstein zufolge spiegeln die Gesetzesänderungen das gewandelte Verständnis von Polizei, Staatsgewalt und bürgerlichen Freiheitsrechten wider. "An die Stelle der bisherigen Privilegierung der Bürger setzt er einen besonderen strafrechtlichen Schutz der Polizei." Dies sei ein Privileg der Exekutive, also der ausführenden Staatsgewalt, das man sonst eher in autoritären Staaten fände.

Für die Gesetzesänderungen stimmten am Donnerstag SPD und CDU/CSU – Linke und Grüne stimmten dagegen. Als nächstes wird darüber im Bundesrat abgestimmt.