Kaum sind wir mit der Schule oder Ausbildung fertig, denken wir uns: "Boah geil, jetzt erst mal weg!" Während ein paar Work'n'Travel oder Hostel-Hopping machen, entscheiden sich andere für einen Freiwilligendienst im Ausland. Viele arbeiten dann in einem sozialen Projekt im Globalen Süden, also oftmals in Ländern in Asien, Afrika oder Südamerika, die ehemals als "Entwicklungs- oder Schwellenländer" bezeichnet wurden.

Ich war auch einer von diesen Leuten. 2015 kam ich von meinem Freiwilligenjahr in Südafrika zurück. Je mehr ich in Seminaren meiner Entsendeorganisation die Erfahrungen während meines Dienstes durchdachte, desto mehr checkte ich: Wir verhalten uns im Ausland oft wie echte Idiot*innen.
Hier sind wichtige Punkte, die wir uns bewusst machen sollten, wenn wir während des Freiwilligendienstes nicht zu Arschlöchern werden wollen:

Poverty Porn & die Single Story

Ich habe den Eindruck, dass viele junge Menschen häufig die Extreme suchen: die verrückteste Droge, den besten Sex oder die wildeste Party. Und wenn’s ums Reisen geht, wollen wir eben auch die spannendste Story mit nach Hause bringen – vor allem traurige Geschichten kommen gut. Manche schießen Selfies mit Kindern mit Blähbäuchen oder schreiben Blogposts darüber, wie sehr sie die Armut in ihrem Gastland deprimiert. Nach 100 Mitleids-Likes auf Facebook und Instagram sind sie zufrieden.

Für dieses Verhalten gibt es inzwischen einen Begriff: Poverty Porn – plakativ Leid darstellen, um besonders viele Gefühle zu ziehen. Macht von uns jemand ein Foto, wenn’s uns schlecht geht, finden wir das natürlich scheiße. Aber über diesen Widerspruch denken viele nicht nach.

Und weil viele einfach nicht aufhören können, sich an Poverty Porn aufzugeilen, treten sie gleich ins nächste Fettnäpfchen: die Single Story – eine einseitig erzählte Geschichte. Charity-Kampagnen produzieren seit Jahren solche "Armutspornos" und zeigen dabei vor allem nur eine Seite eines Landes, zum Beispiel wenn es um afrikanische Staaten geht: Sie zeigen weite ausgedörrte Felder, erlegte Elefanten und Kindern mit Fliegen im Gesicht, die sie aus irgendwelchen Gründen nicht einfach weghauen können. Mit solchen Bildern im Kopf fanden’s meine Freunde und Verwandten auch gleich "echt mutig" von mir, nach Südafrika zu fliegen – "da unten ist es ja schon ziemlich extrem", meinten sie.

Dass Afrika weit mehr als nur Hunger und Wildnis ist, wissen viele Menschen einfach nicht. Auch weil einige von uns Freiwilligen ihnen oft die gleiche Geschichte auftischen und Erwartungen bestätigen. Manche Leute haben aber die Nase voll von solchen Single Storys. Unter #theafricathemedianevershowsyou zeigen sie auf Twitter die Seiten Afrikas, die bei den Medien im Hintergrund stehen:

Voluntourism & Holidarity

"Ich war einmal im Slum in Südafrika und habe die verdreckten Wasserquellen der Menschen gesehen. Seitdem wusste ich: Ich muss ihnen helfen", habe ich damals, ich geb's zu, in meine Bewerbung hineingeschrieben. Wenn wir uns für Freiwilligendienste bewerben, wollen viele von uns in der "Dritten Welt" helfen. Wenn wir ankommen, checken wir aber, dass erst mal nur einem geholfen werden muss: uns selbst.

Wo, wie, was ist was und wieso sprechen die hier eine andere Sprache? Und wo sind eigentlich Mama und Papa? Im Projekt musste ich die meiste Zeit angeleitet werden. Ich war in einem Center für Kinder mit geistiger Behinderung – mit Kindern gearbeitet hatte ich davor aber nie.

Deutsche Freiwilligenorganisationen wie Weltwärts erklären zwar, dass sie Lerndienste anbieten – der Fokus liegt also auf dem globalen/interkulturellen Lernen und nicht auf dem "Weltverberbessern", wie bei Entwicklungsdiensten. Nach außen sieht es trotzdem oft aus, als würden wir "da unten was Gutes tun" – und so ernten wir oft Bewunderung von Eltern und Freund*innen, die wir nicht unbedingt verdienen.

Dabei lernen wir während unseres Aufenthaltes oft mehr über die Feierkultur eines Landes als beispielsweise über dessen Geschichte. Während die Eltern uns für unsere harte Arbeit feiern, gammeln wir die meiste Zeit am Strand und trinken. Oder wir reisen. Dann sind wir schnell mal eine Woche "krank" bei der Arbeit und fahren aufs nächste Elektro-Festival, um "gesund" zu werden.

Am besten wohnen wir noch in einer Freiwilligen-WG, einem Freiwilligen-Haus oder einem Frewilligenhostel. Schnell befreunden wir dann noch eine Vorzeige-Person, die aus dem Gastland kommt, um zu zeigen, wie gut integriert wir trotzdem sind.

So wird Volunteering mehr und mehr zu Tourismus und unser Charity-Vorhaben zum Holiday. Auf’m Lebenslauf sieht das Ganze trotzdem gut aus.

Privileg & Teenie-Weisheiten

"Warum machst du eigentlich kein Auslandsjahr, ist doch voll cool?", habe ich damals gern meine Freunde in Südafrika gefragt. Am besten hätte ich ihnen gleich noch meinen Pass unter die Nase gerieben und meine ganzen Einreisestempel gezeigt.

Oft checken wir einfach nicht, wie privilegiert wir sind. Unsere Währung ist häufig viel mehr Wert als die Währung des Gastlandes – und der deutsche Pass ermöglicht mehr Visa-freie Zugänge zu Ländern als jeder andere Pass auf der Welt. Während wir uns über lange Wartezeiten in Botschaften beschweren, werden andere Menschen niemals fliegen können, wohin sie wollen. Statt das zu reflektieren, setzen wir in Gesprächen oft lieber noch ein paar unserer westlichen Weisheiten obendrauf. So Sätze wie "die sind da aber echt noch ziemlich hintendran mit Gleichberechtigung" habe ich schon oft gehört.

Cool, dass wir selbst wenigstens mal sowas wie Feminismus gegoogelt haben. Wir müssen aber nicht gleich jedem unser Verständnis davon aufdrücken. Deutschland hat Kolonialgeschichte in Afrika, Asien und Südamerika. Damals nannten wir Nicht-Deutsche auch "Wilde", unterwarfen sie und zwangen ihnen unsere Werte und unseren Glauben auf. So sollen wir uns nicht noch mal aufführen. Aber dass Deutschland Kolonialgeschichte hat, wissen wir meistens erst gar nicht.

Heißt das jetzt, dass wir den Freiwilligendienst absagen und uns im Zimmer verkriechen? Nein. Stattdessen müssen wir Respekt vor den Lebensrealitäten anderer zeigen und alle Seiten einer Geschichte zeigen – nicht nur die, die am meisten Klicks bringt. Und statt den dritten Abend in der Woche feiern zu gehen, können wir mal in die Geschichte des Gastlandes reinschauen. Nur so können wir auch die dort lebenden Menschen besser kennenlernen.

Nicht jeder kann wie wir so einen Freiwilligendienst machen – auch, wenn sie vielleicht gern wollen. Wir sollten uns unseres Privilegs bewusst werden und das beste daraus machen – und uns nicht wie Idioten verhalten.