Direkt nach dem Abi habe ich mich in ein duales Studium in der Luftfahrt gestürzt. Meine Wahl war getrieben von einer diffusen Mischung aus passenden Schulnoten, einer nicht klar definierbaren Faszination für irgendeinen Fachbereich und dem gesellschaftlichen Druck, doch irgendwas Handfestes mit meinem Leben anzufangen.

Die Idee etwas Freies, Künstlerisches zu machen, habe ich aus Angst vor der Unsicherheit erstmal auf später oder nie verschoben.

Das für den Rest meines Lebens?

Es folgten zwei Jahre, in denen ich mich für ein brauchbares Gehalt durch Excel-Tabellen und Vorlesungen gewühlt habe, deren echten Hintergrund und Mehrwert ich nur erahnen konnte und kaum merkte, wie Woche um Woche an mir vorbeizog. Bis der Moment kam, in dem ich im Büro saß und plötzlich dachte: "Ernsthaft? Willst du das wirklich den Rest deines Lebens machen?"

Ich stand vor dem Grundproblem einer jeden Karriereplanung – Sicherheit vs. Selbstverwirklichung. Innerlich war für mich eigentlich klar, dass ich abbrechen musste. Aber das war leichter gedacht als getan. Vor allem, weil ich keine ausgereifte Alternative in der Tasche hatte. Vielleicht wird es ja noch besser, dachte ich. Vielleicht sind es einfach nur die aktuellen Kollegen oder Aufgaben, die nicht zu mir passen.Womit ich einen klassischen Fehler beging, wie mir Psychologe Prof. Dr. Morgenroth rückblickend erklärt: "Es ist eine Grundtendenz, die wir alle haben, Probleme zu externalisieren und von uns wegzuschieben." Eine Veranlagung, mit der wir uns sogar den Weg zur eigenen Weiterentwicklung verbauen können. Nach dem Motto: "Nicht ich bin Schuld, sondern das System und daran kann ich nichts ändern."

Wobei "das System" eben auch der nervige Kollege vom Nachbarschreibtisch oder die erwähnten Excel-Tabellen sein können.

Es liegt nicht an dir, es liegt an mir

Das Büro wechselte, die Kolleg*innen auch, aber der innere Kampf blieb. Es lag offensichtlich nicht an meinem Umfeld, sondern daran, dass ich die falsche Entscheidung getroffen hatte. Jeden Morgen wog ich ab, ob es nicht besser wäre, alles hinzuschmeißen. Typisch, wie ich jetzt weiß. "Wenn wir negativ gestimmt sind, beginnen wir automatisch damit, analytischer zu denken", erklärt Morgenroth.

Ohne ausgereiften Alternativplan traute ich mich jedoch nicht, einen Schlussstrich zu ziehen, obwohl der aktuelle Job offensichtlich nicht zu mir passte. Hinzuschmeißen fühlte sich zu sehr nach Scheitern an. Ich hatte Angst vor den Reaktionen in meinem Umfeld und vor der berüchtigten Lücke im Lebenslauf.

Ein Missverständnis löste mein Problem. In meinem Vertrag war eigentlich vorgesehen, dass ich nach dem Abschluss zwei weitere Jahre im Unternehmen bleiben sollte. Ein Kollege sagte mir aber, dass diese Regelung in unserem Semester aufgehoben sei. Also ging ich zu meinem Chef und offenbarte meine Gedanken an den Ausstieg. Offensichtlich hatte mich mein Kollege allerdings falsch informiert und die Bleibepflicht bestand nach wie vor.

Zum Glück sagte mein Chef, ich könne trotzdem gehen. Aber nur, wenn ich einen Teil der Studiengebühren (wirklich, wirklich viel Geld) zurückzahlen würde. Den Kompromiss bin ich eingegangen und nach wie vor froh darüber. Das ewige Hadern hat endlich ein Ende. Mittlerweile, knapp ein Jahr später, ist der Plan gefasst: neues Studium, neue Stadt, neue Zukunft – sobald ich Ende August tatsächlich hier raus bin.

Keine Panik!

Dass ich keine Panik haben muss, wenn ich mit 25 noch nicht den richtigen Abschluss in der Tasche habe, bestätigt mir Psychologin Dr. Christiane Wempe von der PH Karlsruhe: "Als junger Mensch kann man Vieles noch erreichen. Dinge, die man mit 50 nicht mehr aufholen kann." 

Dann sammle ich einfach Berufserfahrung in meinem Traumjob als Journalist in homöopathischen Dosen. Man müsse sich einfach eingestehen, fügt Wempe hinzu, dass die Entscheidung für einen Beruf oder ein Studium in eine Lebensphase falle, in der die meisten nicht genau wissen, was sie wirklich wollen.

Schon jetzt, ungefähr zwei Monate bevor mein Vertrag endet, verdiene ich nebenher mit dem Schreiben von Texten wie diesem mein Geld.

Tatsächlich kann ich jetzt schon einen Teil meiner Miete davon bezahlen und bin zuversichtlich, dass ich, wenn ich zum letzten Mal das vertraute Piepen der Stempeluhr höre, meinen gesamten Lebensunterhalt damit bestreiten kann.

Und wenn nicht, war es trotzdem gut, aufgehört zu haben. Denn jetzt weiß ich, was ich wirklich machen möchte. Und was nicht.