Bei einer psychosomatischen Erkrankung leiden Betroffene unter körperlichen Beschwerden, die durch seelische Faktoren bedingt werden oder sich zumindest durch sie verschlimmern.

Wir haben Diplom-Psychologe Dr. Dieter Kunzke von der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Düsseldorf gefragt, wann psychosomatische Erkrankungen auftreten: "Vor allem, wenn man schwere Belastungen, negative Gefühle und Erfahrungen über längere Zeit mit sich herumschleppt. Da kann seelischer Schmerz quasi überspringen und zu körperlichem werden."

Oft treten die Beschwerden an körperlichen Schwachstellen auf. "Wenn Kopfschmerzen bei einem selbst und in der Familie häufig auftreten, liegt es nah, dass auch psychosomatische Symptome dort ansetzen. Das muss aber nicht immer der Fall sein", sagt Dr. Kunzke.

Nur weil die Schmerzen psychisch bedingt sind, bedeutet das nicht, dass der Patient weniger leidet als jemand, bei dem organische Ursachen verantwortlich sind. "Deshalb nehmen wir diese Schmerzen auch sehr ernst. Oft haben Patienten schon viele Klinikbesuche hinter sich und sind mit ihren Nerven total am Ende, weil keiner ihnen eine richtige Diagnose für ihre Schmerzen stellen kann, sie sich irgendwann als Simulanten abgestempelt und nicht ernst genommen fühlen", erklärt Kunzke. Die meisten der Betroffenen leiden zusätzlich zu den körperlichen Beschwerden an Angststörungen und Depressionen, die sich durch das lange Warten auf eine Diagnose häufig verschlimmern.

Schutz vor seelischen Krankheiten

"In der Klinik, in der ich arbeite, klären wir trotz der Überweisung von Ärzten aus der Körpermedizin häufig noch einmal zur Sicherheit organische Ursachen ab", so Kunzke. "Dies tun wir auch, um dem Patienten zu zeigen, dass wir ihn ernst nehmen und sorgfältig auf ihn eingehen. Wenn wir sicher sind, dass seelische Faktoren die Ursache sind oder die Beschwerden verschlimmern, bringen wir das dem Patienten über mehrere Sitzungen hinweg ganz vorsichtig bei."

In der Therapie wird die aktuelle Lebenssituation der Patient*innen besprochen. Sie sollen außerdem ein Schmerztagebuch führen, um ausfindig zu machen, welche Situationen für sie Stress bedeuten und somit ihre Schmerzen verstärken. "Gleichzeitig gehen wir mit ihnen durch ihre Lebensgeschichte. Viele hatten eine äußerst schwierige Kindheit, sind vernachlässigt, früh mit Gewalt konfrontiert worden und deshalb nicht selten traumatisiert", erzählt Dr. Kunzke. Wenn jemand dagegen ein einigermaßen stabiles Fundament mitbringt, also eine hinreichend gute Kindheit hatte, sieht man in der Therapie deutlich schnellere Erfolge.

Bei Depressionen und psychosomatischen Beschwerden spielen das Umfeld und die aktuelle Lebenssituation eine wichtige Rolle. Pauschal kann man negativen Erfahrungen nicht aus dem Weg gehen, seine Erlebnisse aus der Kindheit und seine charakterliche Grundhaltung überwinden. Aber es gibt es ein paar Dinge, sogenannte protektive Faktoren, die man beachten kann, um sich vor seelischen Krankheiten zu schützen:

1. Offen über Probleme reden

Probleme in sich hineinzufressen, ist schädlich. "Besonders Männer neigen dazu, das zu tun", erklärt der Psychologe, "und sind deshalb auch öfter von psychosomatischen Erkrankungen betroffen als Frauen". Mit Freund*innen oder der Familie offen über seine Probleme zu reden, ist manchmal vielleicht anstrengend, aufreibend und ändert selten etwas an der Situation, aber immerhin hilft es, sich seine Gedanken und Gefühle bewusst zu machen und sie zu verarbeiten. Und es intensiviert natürlich auch die Beziehungen zu den Leuten, denen man sich anvertraut.

"Zu wissen, dass man ein stabiles soziales Umfeld um sich hat, ist ebenfalls ein starker Schutzfaktor", bestätigt Kunzke. Außerdem ist es wichtig, offen auf neue Leute zuzugehen. "Zieht man zum Beispiel in eine neue Stadt und ist gut darin, Kontakte zu knüpfen, stärkt einen das gegenüber den Belastungen, die eine solche Lebensveränderung meist auch mit sich bringt." Das bedeutet ja nicht, dass man sein stabiles, vertrautes Umfeld in der Heimat deswegen vergessen soll.

2. Sich vielseitig definieren

Wir verbringen rund vierzig Stunden die Woche in der Schule, der Uni oder auf der Arbeit. Das tun wir fast unser ganzes Leben lang, um gefälligst auch unser volles Potenzial zu entfalten. "Nicht alle Menschen hatten die Möglichkeit, sich ihren Job auszusuchen und quälen sich jeden Tag dorthin. Dabei ist Zufriedenheit bei der Arbeit eine der wichtigsten Ressourcen für den Menschen, gerade weil man dort so viel Zeit verbringt."

Aber auch der Traumjob kann zum Problem werden, wenn er zu Überarbeitung einlädt, denn das kann Unzufriedenheit und das Gefühl mangelnder Wertschätzung bewirken. "Ein zu einseitiges Denken, gerade im Bezug auf Leistung, funktioniert auf Dauer nicht. Wenn man seinen Selbstwert nur über Leistung stabilisiert, kann man erahnen, was passiert, wenn die Leistung mal kippt", erklärt der Psychologe. Im Job bekomme man ohnehin nie die Anerkennung, die man gerne hätte.

Stattdessen sollte man neben dem Job eigene Interessen ausbauen und mehrere Facetten an sich entdecken, ohne gleich seine Ziele in Sachen Karriere und Leistung über Bord werfen zu müssen. Wie bei allen Dingen ist hierbei die gesunde Mitte entscheidend. Man sollte sich, so abgedroschen es klingen mag, vor Augen zu halten, dass man nur einmal lebt und sich mit keinem Geld oder jeglicher Anerkennung Lebenszeit zurückholen lässt.

3. Dampf ablassen

Sport hilft nicht nur, fit zu bleiben, man kann sich dadurch auch unglaublich gut abreagieren. "Er ist wichtig, um den eigenen Körper in seiner Gesamtheit wahrzunehmen." Man bekommt Vertrauen in den eigenen Körper und fühlt sich darin wohler und sicherer. Bei bestimmten Sportarten, wie zum Beispiel dem Tanzen, das normalerweise nun mal von Musik begleitet ist, kann man seine Emotionen auch ein wenig aus sich heraus locken und beim Sport verarbeiten. "Körpertherapie ist auch eine wichtige Methode in unserer Klinik."

4. Stützen suchen

Es gibt kaum eine Phase im Leben, in der man so viele Veränderungen erlebt wie zwischen zwanzig und dreißig: das Abi in der Tasche, sich in der Uni einschreiben, in eine neue Stadt ziehen, der erste Job, der erste Job in einer besseren Position, das erste Kind. In der Psychologie nennt man das auch Autonomieschritte: Man begibt sich aus dem Gewohnten raus und muss eigene Wege gehen, alte Sicherheiten aufgeben und sich Neuem stellen. Und ist dabei oft ganz auf sich allein angewiesen.

"Deshalb ist es besonders wichtig, dass man sich selbst aushalten und sich vor allem gut leiden kann", weiß der Psychologe. "Prinzipiell seien Wertesysteme wichtig, um Halt und Orientierung in der Welt zu finden. "Früher gab es klarere Vorstellungen von Werten und Idealen. Daran hatte vor allem die Kirche ihren Anteil." Heute können wir freier entscheiden. Alles ist möglich. "Das ist ja auch gut so", findet Kunzke, "allerdings sollte man darauf achten, dass man sich eigene Werte, wie zum Beispiel eine optimistische Grundhaltung zulegt und vor allem auf sich selbst und seine Entscheidungen vertraut."