Nach drei Jahren Haft wurde am 21. Dezember, ein Vergewaltiger in Indien auf freien Fuß gesetzt. Für Frauenrechtlerinnen ein Rückschlag: Jahrelang waren sie auf die Straße gegangen, für schärfere Gesetze gegen sexuelle Gewalt und einen besseren Schutz indischer Frauen. Die größte Protestwelle des Landes wurde von einer Massenvergewaltigung vor drei Jahren ausgelöst.

Der Fall: Am 16. Dezember 2012 ist die 23-jährige Jyoti Singh in Neu-Delhi nach einem Kinobesuch mit einem Freund auf dem Heimweg. Eine Männergruppe fährt vorbei und bietet ihnen eine Fahrt an. Sie steigen in den unregistrierten Kleinbus. Dann wird die Studentin brutal vergewaltigt und schwer verletzt aus dem fahrenden Bus geworfen. Auch ihr Begleiter wird geschlagen und misshandelt. Knapp zwei Wochen später stirbt die junge Frau an inneren Verletzungen.

Trotz der Prostete und weltweiter Empörung hat sich die Rechtslage bis heute wenig verbessert. Besonders die Straßen Neu-Delhis sind nach wie vor gefährlich: Mit 1813 Vergewaltigungen im Jahr 2014 ist sie die Hauptstadt der sexuellen Gewalt.

Die Regierung führte zwar Gesetze ein, um Gerichtsverfahren zu beschleunigen und legte die Todesstrafe als Urteil für Vergewaltigungen mit Todesfolge fest. Doch zur Vorbeugung von Straftaten wurde bisher wenig getan. Für Straßenlaternen in dunklen Gegenden und mehr Streifenpolizisten wurde beispielsweise kaum Geld in die Hand genommen.

Sicher hinterm Steuer

Das Resultat: Noch immer fühlen sich 91 Prozent der Frauen auf den Straßen Neu-Delhis unsicher, belegt eine Umfrage der Hindustan Times. Die im Jahr 2009 eingeführten "Women Only"-Gleise in U-Bahnen von Neu-Delhi, Mumbai und Kalkutta haben die Situation im Untergrund verbessert, doch auf der Straße erleben 68 Prozent der Frauen sexuelle Belästigung oder Gewalt.

Für mehr Sicherheit im Straßenverkehr wurde 2008 die Initiative "Women on Wheels" ins Leben gerufen. Finanziert durch die Azad Foundation lernen Frauen während der sechsmonatigen Ausbildung nicht nur, wie sie sich am Steuer richtig verhalten, sondern auch außerhalb des Fahrzeugs auf der Straße besser durchkommen. Es gibt Kurse in Selbstverteidigung, Persönlichkeitsentwicklung und Frauenrechte. Im Anschluss können sie als private Chauffeurinnen oder lizensierte Taxifahrerinnen für 

Sakha Cabs for Women fahren – dem Fahr-Service von Frauen für Frauen. Die Stiftung wählt Frauen aus ärmlichen Verhältnissen aus, um ihnen finanzielle Unabhängigkeit zu ermöglichen. 

Auch Uber will in Kooperation mit "UN Women" indischen Frauen helfen: Im März versprach das amerikanische Unternehmen, bis zum Jahr 2020 eine Million Jobs für Frauen in aller Welt zu schaffen – darunter 50000 in Indien. Über die indische Organisation iCare Life können sie sich als Fahrerinnen ausbilden und im Anschluss auf der Uber Plattform offiziell registrieren lassen. Sie können sich aussuchen, ob sie einen männlichen oder weiblichen Fahrgast mitnehmen.

Ubers Engagement ist allerdings nicht nur altruistisch: Nach der Entführung und Vergewaltigung einer Kundin durch einen registrierten Uber-Fahrer hatte die Regierung den Service im Dezember 2014 verboten. Die Firma muss nun in seinem zweitgrößten Markt wieder Vertrauen aufbauen.

Ein neues App-Feature, das extra für Frauen in Indien konzipiert wurde, soll ihre Sicherheit erhöhen. Im Notfall können sie nun über einen SOS-Knopf direkt die Polizei kontaktieren. Sofort werden Informationen über den Standort, Fahrer und Fahrgast übermittelt. Außerdem wird eine SMS an zuvor fünf festgelegte Kontakte geschickt. Mit der "Send Status"-Funktion können Frauen vor jeder Fahrt ihre Angehörigen über die Dauer und das Ziel informieren.

Diese Maßnahmen verhindern Übergriffe sicher nicht gänzlich, jedoch tragen sie zum Sicherheitsgefühl der Frauen bei – dort, wo es keine Frauen-Taxen gibt.

Ein tieferliegendes Problem

Doch helfen "Women Only"-Taxen wirklich, um Gewalt gegen Frauen zu verhindern? Nur geringfügig, denn in wenigen Ländern klafft die Lücke zwischen Mann und Frau so weit auseinander wie in Indien. 2015 listete der Index der geschlechtsspezifischen Ungleichheit (Gender Inequality Index - GII) Indien auf Platz 127 von 142 Ländern – damit ist es eines der frauenfeindlichsten Länder der Welt.  

Frauenrechtler begrüßen das Frauen-Taxi als einen ersten Schritt, da es einen Beitrag zur Gleichstellung der Frau leistet. Doch sie fordern mehr, denn sexuelle Gewalt bleibt für sie ein strukturelles Problem und verdeutlicht die Defizite im indischen Rechtssystem.

"Die Regierung reagiert nur reflexartig. Ihr Versagen in der Umsetzung von Recht und Ordnung kann jedoch nicht durch solche Maßnahmen kompensiert werden", sagte die bekannte indische Frauenrechtlerin Ranjana Kumari in einem Interview. Was sie damit meint? Dass die indische Regierung sich beispielsweise seit Jahren dagegen sträubt, Vergewaltigungen durch den Ehemann als Verbrechen anzuerkennen. 

Indiens Frauen werden stärker

Doch die Massenproteste der letzten Jahre haben gezeigt: Indische Frauen wehren sich. Sie gehen auf die Straße. Sie lassen sich ausbilden als Taxifahrerinnen oder bei Selbstverteidigungskursen.

Und sie klären einander über ihre Rechte auf: "AI India hat in diesem Jahr unter dem Slogan 'Ready to Report' eine Aktion in Zusammenarbeit mit der Polizei gestartet, die Frauen über ihre Rechte aufklären soll und ihnen zeigt, wie man Anzeigen erstattet", sagt Michael Gottlob, Sprecher der Indien-Koordinationsgruppe von Amnesty International (AI).

Zwar stieg die Anzahl der gemeldeten Vergewaltigungen von 24.000 im letzten Jahr auf 33.707 Fälle in 2015. Auch wenn es zunächst widersprüchlich klingt: Das könnte für eine positive Entwicklung sprechen. Michael Gottlob bestätigt: "Tatsächlich hat die Zahl der Anzeigen von Vergewaltigungen zugenommen. Es zeigt, dass das Problem weiter besteht, aber auch mehr denn je in die Öffentlichkeit gebracht wird."