Vor zwei Jahren hörte der Leipziger Rechtsanwalt Tobias Uhlemann zum ersten Mal von der Dublin-Identitätsbescheinigung. "Nachdem ich von dem Dokument erfahren habe, dauerte es keine vier Wochen, bis der erste Mandant dastand und sagte: Hier, die haben mir die Duldung weggenommen und mir diesen Zettel in die Hand gedrückt", berichtet der Anwalt für Asyl- und Familienrecht. Das DIN-A4-Papier ist mit Namen, Foto und Geburtsdatum versehen. Außerdem ist darauf Platz für Stempel, die sich die Geflüchteten alle drei Monate auf das Papier drücken lassen müssen, bis sie entweder abgeschoben werden oder freiwillig ausreisen. Das Problem: Diese Bescheinigung ist ein alternatives, ausgedachtes Dokument, das nur von den Landkreisen Leipzig, Zwickau und Mittelsachsen ausgestellt wird.

Durch Bescheinigung keine Rechte

"Für diese Identitätsbescheinigung gibt es überhaupt keine rechtliche Grundlage", sagt Rechtsanwalt Uhlemann. Denn die Behörden müssen Schutzsuchenden, die nicht sofort in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können, eine Duldung erteilen. Eine Duldung ist ein Dokument, das es Geflüchteten bis zur Ausreise erlaubt, legal in Deutschland zu bleiben. Die Dublin-Identitätsbescheinigung gibt diesen Menschen aber überhaupt keine Rechte. Sie ist laut sächsischem Innenministerium nur eine Grenzübertrittsbescheinigung, mit der sich Geflüchtete bei der Ausreise ausweisen sollen, etwa in polizeilichen Kontrollen beim Grenzübertritt oder bei der deutschen Auslandsvertretung im Heimatstaat.

"Sie können sich damit im Stadtraum von Leipzig frei bewegen, aber das kann ruckzuck eingeschränkt werden. Die Bescheinigung ist vom Aufenthaltsstatus her ein Nichts. Die Polizei könnte sie sofort wegen illegalen Aufenthalts verhaften", sagt Uhlemann. Anders als mit einer Duldung gibt es auch keine Möglichkeit, Verwandte in anderen Bundesländern zu besuchen oder einen Job zu bekommen. Die Bescheinigung ist kein Dokument mit dem man am öffentlichen Leben teilhaben kann.

Duldung ist zu erteilen, wenn die Person nicht sofort ausreisen kann

Nach deutschem Asylrecht kann jede*r Geflüchtete einen persönlichen Antrag auf Asyl in Deutschland stellen. Der Antrag wird vom Bamf, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, überprüft. Stellt das Bamf fest, dass die schutzsuchende Person keinen Anspruch auf Asyl hat, muss sie – je nach Fall – spätestens binnen 30 Tagen ausreisen.

Für die Frage, wie ein*e abgelehnter Asylsuchende*r in das Herkunftsland zurückkehren soll, sind die Ausländerbehörden in den Landkreisen zuständig. Diese überprüfen, ob und wann ein*e Geflüchtete*r in das Heimatland zurückreisen kann. Stellen sie fest, dass die Person nicht einfach zurückkehren kann, weil sie krank ist, ihr Lebensgefahr droht, sie keine Ausweispapiere hat oder ihr Herkunftsland sie nicht zurücknimmt, muss die Behörde eine Duldung erteilen. So hat es das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil von 2003 festgestellt. Es heißt im Urteil auch, dass das Ausländergesetz keinen Raum für einen ungeregelten Aufenthalt lässt.

Geflüchtete wissen nicht, warum sie das Dokument bekommen

Viele Geflüchtete wissen nicht, wann sie genau abgeschoben werden. Das wird ihnen von der Behörde nicht mitgeteilt. Im Leipziger Verein Internationalen Frauen e. V. bietet Tobias Uhlemann eine wöchentliche Rechtsberatung an. Die Frauen im Verein helfen Schutzsuchenden, Dokumente auszufüllen und begleiten sie als Dolmetscherinnen zu Behördengängen. Auch hier kennt man das Problem mit den alternativen Bescheinigungen, berichtet Sozialassistentin Cathleen Mohammad. "Es wird nicht gerne gesehen, wenn Dolmetscherinnen auf die Ämter mitkommen. Sie müssen teilweise sogar draußen warten, wenn Dublin-Identitätsbescheinigungen ausgestellt werden", sagt sie. Deshalb wissen die Schutzsuchenden häufig nicht, warum ihre Duldungen durch eine Dublin-Identitätsbescheinigung ersetzt wurden. Momentan sind Cathleen 18 solche Fälle bekannt.

Im ganzen Landkreis Leipzig sind es aber noch mehr. Deshalb haben Vereine wie die Refugee Law Clinc Leipzig und der Bon Courage zusammen mit dem Sächsischen Flüchtlingsrat einen gemeinsamen Brief an den Leiter der Leipziger Ausländerbehörde verfasst. Sie fordern ihn auf, keine Identitätsbescheinigungen mehr auszustellen. Bisher blieb der Brief unbeantwortet.

Die sächsische Regierung sieht in der Praxis der Ausländerbehörde keinen Rechtsverstoß

Sowohl das Schreiben als auch die höchstrichterliche Rechtsprechung lässt die Ausländerbehörde und das sächsische Innenministerium unbeeindruckt, wie eine Kleine Anfrage im sächsischen Landtag zeigt. Die Abgeordnete Juliane Nagel (Die Linke) wollte darin wissen, inwiefern Dublin-Identitätsbescheinigungen rechtmäßig sind. In der Antwort von Marcus Ulbig (CDU) heißt es, die Sächsische Staatsregierung sehe keinen Rechtsverstoß darin, dass die sächsischen Ausländerbehörde diese Bescheinigungen ausstelle. Das Bundesverfassungsgericht spreche in seinem Urteil von einer anderen Fallkonstellation, schreibt Ulbig als Begründung.

Nach Auffassung der sächsischen Regierung muss für den Zeitraum zwischen Ablehnung des Asylantrags und der Abschiebung keine Duldung erteilt werden, wenn der Zeitraum bekannt ist, in dem die Personen ausreisen können. Das Bundesverfassungsgericht benennt aber keine Ausnahmefälle, die darauf schließen lassen, dass hier keine Duldung ausgestellt werden muss.

Kaum eine Chance auf Duldung

Wenn eine Duldung nicht erteilt wurde, rät Rechtsanwalt Tobias Uhlemann Geflüchteten dazu, sie einzuklagen. Dies ist möglich, weil es nach dem Grundgesetz nicht darauf ankommt welche Staatsangehörigkeit der*die Kläger*in hat, sondern, ob sie sich, durch eine deutsche Behörde in ihren Rechten verletzt sieht.

Trotzdem sind Gerichtsverfahren häufig aussichtslos für Geflüchtete, die eine Dublin-Identitätsbescheinigung in den Händen halten. Selbst durch ein gerichtliches Verfahren wird ihre Abschiebung – ohne Duldung – nicht gehemmt.