Auf der Straße ist die Musik pur. Sie erreicht jeden, der vorbeigeht, aber doch nur die, die sie hören wollen. Wer stehen bleibt, kann besondere Momente erleben. Solche, die einem wieder Kraft geben, Hoffnung oder Mut. Solche, die einen Lächeln lassen, weil die Zeit gerade zu stehen scheint.

Kürzlich erlebte ich so etwas in Berlin. Eine Menschentraube versammelte sich um einen Musiker mit mehreren Instrumenten und Loop-Maschine. Er ließ durch Endlosschleifen aus Gitarrenakkorden, Flötenpassagen und Bongotrommeln eine beinahe psychedelische Atmosphäre entstehen. Die Menschen wippten mit, nickten, klatschten und seufzten ab und an beeindruckt auf. Ich beobachtete die Szenerie genau: All die verschiedenen Menschen dort, mit all ihren unterschiedlichen Leben und Wegen, blieben an diesem einen Moment stehen und genossen. Zwar jeder für sich und jeder anders, aber gemeinsam. Die Musik war ihr kleinster gemeinsamer Nenner.

Ein anderes mal blieb ich am Abend nach der Arbeit unweigerlich stehen, als ein junger Musiker mit Gitarre seine Lieder spielte. Es war spät, ich war gestresst vom Tag, innerlich unruhig. Er schaffte es, mich zu entschleunigen.

Wenn man so möchte, sind Straßenmusiker*innen Botschafter der Musik. Sie bringen sie in den öffentlichen Raum, halten den Wert der Kunst im Gedächtnis der Gesellschaft. Sie erinnern uns immer wieder daran, dass wir auch innehalten können und uns Zeit für unsere Gedanken geben müssen. Trifft uns ihre Musik, scheinen unsere Sorgen und Probleme belangloser zu werden, wir gewinnen Distanz.

Straßenmusik als Statement

Natürlich muss man differenzieren: Es gibt auch die mit weniger musikalischem Talent und ohne den Willen, die Kunst voranzubringen. Sie krakeelen mehrere Stunden von Gaststätten und Touristenhotspots, in der Hoffnung, mit Quantität Reibach machen zu können. Diese Art der Beschallung nervt meist eher, als dass sie bewegt. Oft entsteht dadurch auch unangenehme Dynamiken. Kneipen bezahlen sie, damit sie verschwinden, Passanten schütteln die Köpfe. Diese "Straßenmusikanten", wie man die Straßenkünstler*innen mit weniger musikalischem Niveau nennt, schaden so dem Ruf der Straßenmusik im Allgemeinen. Und den Musiker*innen, für die ihre Kunst ein Statement ist.

Denn Straßenmusik ist eine uralte Tradition. Schon seit der Antike stellen sich Menschen mit ihren Instrumenten auf die frequentierten Straßen der Städte dieser Welt, spielen ihre Lieder. Im Laufe der Zeit nannte man sie Wandersänger*innen, Bard*innen, Liedermacher*innen. Vor sie selbst platzieren sie einen Hut oder ihren Instrumentenkasten, damit Passant*innen ihnen etwas Geld einwerfen können, um etwa ihr Studium oder die Verpflegung zu finanzieren. Oft sind sie Reisende, wollen andere Länder und Gesellschaften kennenlernen. Andere wollen ihre Fähigkeiten erproben und verbessern oder die Wirkung ihrer Musik auf die vorbeigehenden Menschen testen.

Untereinander unterstützen sie sich, sprechen sich beispielsweise ab, wann wer an welchem Ort spielen darf. Denn oft ist Straßenmusik mit vielen Auflagen verbunden. In einigen Städten steht darauf sogar Strafe. In Berlin etwa musste die Musikerin Elen Wendt 1000 Euro Strafe bezahlen – weil sie ihren Verstärker und den Gitarrenkoffer auf die Straße stellte. In der Hauptstadt ist dafür eine Sondererlaubnis nötig.

Das passt nicht allen Musiker*innen: Einige, wie etwa der Rapper Infidelix leben mit ihrer Kunst auch ihren Traum oder ihren Beitrag zu sozialen Bewegungen. Sie setzen sich mit Unterdrückung auseinander, wollen eine Gegenöffentlichkeit für gesellschaftskritische Inhalte schaffen und wirken bei Demonstrationen mit. Gerade bei dieser politisch motivierten Art der Straßenmusik kam es in der Vergangenheit schon oft zu Auseinandersetzungen mit Politik und Polizei.

Wie auch immer sie sich ausdrücken, ihre Musik hat immer eine Auswirkung. Ob sie nun politische Akzente setzen oder nur gemeinsame Momente des Genießens schaffen wollen: Sie sind von unschätzbarem Wert für das Straßenbild und die Kunst. Sie bilden Reibungspunkte zwischen Menschen und Musik. Man kann denen, die sich mehrmals die Woche mit Leidenschaft und entgegen jeder Widrigkeit auf die Straße gehen, nicht genug dafür danken.

Deshalb: Danke an euch alle, an euch Sänger*innen, an euch Rapper*innen, an euch Gitarrist*innen, Trommler*innen, Quetschkommodenspieler*innen, Flötist*innen, Beatboxer*innen, an euch Bands und einzelne Musiker*innen: Was ihr macht, ist wahre Kunst.