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22 Uhr

Wir pilgern zur Wahlsiegparty von Macron. Vier Sicherheitskontrollen müssen wir über uns ergehen lassen, um auf das abgesperrte Gelände vorm Louvre zu kommen. Ein schlechter DJ legt auf, grell kostümierte Tänzer*innen rattern auf einer Bühne ihre Choreographie runter. Der Menschenandrang ist enorm, überall sind die Tricolore und die EU-Flagge zu sehen. Schließlich läuft Macron in epischer Zeitlupe zur Bühne, Ode an die Freude begleitet ihn auf dem Weg. Es fehlt ihm eigentlich nur das Caoe für den perfekten Superheldenauftritt. Macron steht am Rednerpult und breitet zur Begrüßung die Arme aus – genau in dem Moment, in dem das Lied endet. In seiner Rede betont er mehrfach, dass er sich der immensen Aufgabe bewusst sei. Er zollt Le Pen Respekt, er dankt seinen Kritiker*innen für ihren Mut, ihn trotzdem gewählt zu haben, auch die Weißwähler*innen versucht er für sich zu gewinnen. Am Ende versammelt sich die Macron-Familie auf der Bühne und wirft Handküsse in die Menge. Die Menge zieht ab, wir ziehen mit.

20:01 Uhr

Die ersten Hochrechnungen sind da: Emmanuel Macron liegt mit 65,1 Prozent der Stimmen deutlich vorne.
19:40 Uhr

Viele Wähler*innen werfen die Wahlzettel unzerknüllt in die Papierkörbe oder lassen sie direkt in der Wahlkabine liegen, um zu zeigen, wen sie gewählt haben. In den Wahllokalen, in denen wir waren, lagen häufig Le-Pen-Wahlzettel offen herum – eine Aufforderung für: Wählt sie nicht!
19:25 Uhr

Wir sitzen in einem Restaurant am Boulevard Montmartre und essen Flammkuchen zu Abend. Während im Hintergrund das Radio läuft – der Moderator spekuliert über das voraussichtliche Ergebnis der Wahl – erzählt uns der Kellner, dass es hier am 1. Mai zu massiven Ausschreitungen gekommen sei, sogar Molotowcocktail seien geflogen. Die Proteste seien vor allem von den Weißwähler*innen ausgegangen, die sich für keinen der beiden Kandidat*innen entscheiden wollten. Er rechnet damit, dass es zu einer Revolution komme, sollte Le Pen gewinnen, weil die Stimmung hier dermaßen aufgeheizt sei.

Die ersten Wahllokale schließen bereits, ab 20 Uhr soll es erste Ergebnisse geben. Bis 17 Uhr lag die Wahlbeteiligung bei 65,3 Prozent – das ist weniger als vor fünf Jahren und weniger als in der ersten Wahlrunde vor zwei Wochen. Mutmaßlich liegt das auch an der besonderen Form des Protests, von dem uns Hélène berichtete.
17:50 Uhr

Wir treffen Hélène vor dem das Bezirksamt ihres Wahlbezirks, dem neunten Arrondissement. Sie wählt heute zum ersten Mal, aber nicht für sich selbst: Die 18-Jährige enthält sich ihrer eigenen Stimme, weil sie weder Le Pen noch Macron unterstützen möchte. "Aber ich wähle für eine Freundin", erzählt sie uns. Laut Hélène gibt es einige Bürger*innen, die selbst nicht wählen dürfen. "Aber sie hat mir eine Vollmacht ausgestellt", sagt sie. "Ich soll für sie Macron wählen." Ob sie auch für Le Pen eine Stimme abgegeben hätte, wenn ein*e Freund*in sie darum gebeten hätte? "Auf keinen Fall."

Hélène ist erst um 17 Uhr zum Wahllokal gekommen – aus Protest. Bei der ersten Hochrechnung um 20 Uhr sind die Stimmen, die nach 17 Uhr abgegeben wurden, noch nicht enthalten. Das treibe die Zahl der vorübergehenden Nicht-Wählerstimmen in die Höhe und setze ein Zeichen: Wir heißen weder Macron noch Le Pen für gut.
16:17 Uhr

Auf dem Place de la République treffen wir eine Deutsche: Kim kommt aus Hannover, seit zwei Jahren studiert sie an der Sorbonne Nouvelle. Die 26-Jährige ist froh, dass der Wahlkampf sein Ende nimmt. "In den vergangenen Wochen war das Thema omnipräsent", sagt sie, "ich habe den Eindruck, dass auch die Franzosen froh sind, wenn endlich ein Ergebnis feststeht." Wenn sie könnte, würde Kim für Macron stimmen. "Diese Wahl heute ist eine Entscheidung für oder gegen Europa. Le Pen würde Europa an die Wand fahren." Ob der parteilose Macron tatsächlich Reformen durchsetzen wird können, ist auch für Kim die große Frage.

15 Uhr

Gerade sitzen wir in einem Café nahe des Place de République, nordöstlich des Stadtzentrums. Der Platz gilt als neues linkspolitisches Zentrum. Hier bereiten sich die Geschäfte und Banken auf den Abend und die Zeit nach der ersten Hochrechnung vor: Einige haben die Fenster und Türen mit Holzplanken verbarrikadiert. Am Platz selbst ist noch wenig los, gegen Abend wird ein Menschenauflauf erwartet. In den Seitenstraßen postierten sich bereits etliche Polizist*innen mit schwerer Bewaffnung und Schutzausrüstung. In der Vergangenheit kam es auf dem Place de République bereits zu schweren Ausschreitungen.

13:10 Uhr

Im Bezirksamt des zwölften Pariser Arrondissements kommen wir mit zwei Beamt*innen ins Gespräch – wir sind dort, um unser Bildmaterial aus dem Wahllokal autorisieren zu lassen. Einer der beiden, ein etwa 50-Jähriger, sagt uns, er mache sich Sorgen. "Le Pen ist eine echte Neofaschistin", sagt er, "sie hat sich im TV-Duell unfassbar derb verhalten und schlimme Dinge gesagt."
12:10 Uhr

Bei der Stichwahl wird folgendermaßen gewählt: Die Menschen kommen mit ihrem Wahlschein ins Wahllokal ihres Bezirks, dort werden zunächst ihre Personalien geprüft, dann erhalten sie einen brauen Umschlag. Anschließend nehmen sie jeweils einen Zettel, auf dem Emmanuel Macron steht und einen, auf dem Marine Le Pen steht, von zwei Stapeln. Einen von beiden schieben sie gefaltet in der Wahlkabine in den Umschlag, den anderen werfen sie in einen Müllsack. Dann gehen sie zu den Wahlleiter*innen, werfen den Umschlag dort in einen Glaskasten. Die Wahlleiter*innen gleichen nochmals den Namen ab, rufen dann A voté (übersetzt: "Hat gewählt") – fertig, Stimme abgegeben.

11:50 Uhr

Im zwölften Arrondissement (übersetzt: "Bezirk") treffen wir Hoël. Die 29 Jahre alte Kabarettistin stimmte im ersten Wahldurchgang für den sozialdemokratischen Kandidaten Benoît Hamon. "Er steht für den sozialistischen Teil in mir", sagt sie. Er hätte viele Ideen für die Umwelt und sei konstruktiver als die übrigen Kandidat*innen. Bei der Stichwahl gibt Hoël nun Macron ihre Stimme – allerdings nicht aus voller Überzeugung, sondern, um gegen Le Pen zu stimmen. "Ich bin gegen Le Pen, weil ich nicht gegen Europa und gegen Menschen allgemein bin", sagt sie.

10 Uhr

Hallo aus Paris! Wir – das sind Mark, Philipp und Till – sind in Frankreichs Hauptstadt geflogen und berichten für euch über die Stichwahl. Wer möchte, kann uns auch auf Instagram und Snapchat folgen, dort berichten wir auch live.

Die Stimmung heute Morgen ist gelassen, in der U-Bahnstation spielen Musiker, alles wie immer.

Am gestrigen Samstag sprachen wir mit Pariser*innen, die ihre Stimme dem sozialdemokratischen Emmanuel Macron geben wollten, mit solchen, die die konservative Marine Le Pen wählen wollen, aber auch mit Menschen, die niemandem von beiden eine Stimme geben möchten. Das sind die sogenannten Weißwähler, ni-ni (übersetzt: "weder noch").

Eine etwa 45-jährige Pariserin, die als Putzkraft arbeitet und vor 38 Jahren aus dem Kongo nach Paris kam, sagt, sie werde Le Pen wählen. Sie habe schon etliche Wahlen miterlebt und kritisiert, dass die Stimmung im Land immer gewaltvoller werde, während die Schulbildung am Nullpunkt angekommen sei – das merke sie an ihrer Enkelin. Sie ist gegen die Willkommenspolitik und kritisiert das brüchige Sozialsystem. Eine Frau Anfang 60, die in Paris als Juristin arbeitete, wird Macron wählen. Seit dem TV-Duell zwischen den Kandidat*innen fühle sie sich wie viele Bürger*innen erleichtert und siegessicher (Anm.: das TV-Duell glich eher einem verbalen Wrestlingkampf als einer politischen Debatte).

Gleich treffen wir uns mit der 29-jährigen Pariserin Hoël, die uns in ihrem Wahldistrikt zeigen möchte, wie in Frankreich gewählt wird.

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Wir haben darüber berichtet: