Sie liegt auf einer schmutzigen, durchlöcherten Decke irgendwo zwischen der Türkei und Syrien. Als ich mich ihr nähere, richtet sie sich langsam auf. Sie hat Schmerzen. Sie ist im neunten Monat schwanger und ihr Baby könnte jeden Tag zur Welt kommen. Auch laufen kann sie nicht mehr. Langsam zieht sie die Hose an ihrem linken Bein hoch und legt es neben das andere: Es ist angeschwollen, nahezu doppelt so dick. Sie schaut mich lange an, während sie auf ihr Bein deutet. Ihr Blick ist leer.

Im Hintergrund fallen Bomben

Einen Arzt hat sie seit Monaten nicht gesehen, erklärt mir ihr Mann. Er ist mit mir hierher gekommen. Wir verstecken uns hinter einem kleinen Häuschen, damit uns das türkische Militär nicht entdeckt. Denn eigentlich darf ich hier nicht sein. Eigentlich darf ich Fathmas Geschichte nicht erfahren.

Im Hintergrund fallen gerade Bomben. In wenigen hundert Metern Entfernung sehen wir den Rauch, der im Himmel aufsteigt. Wir hören die Gefechte zwischen dem Islamischen Staat und der Freien Syrischen Armee. Wir hören Gewehre. Ich solle vorsichtig sein, erklären sie mir. Manchmal treffen die Schüsse auch die Geflüchteten hier direkt hinter dem Grenzzaun. Das passiere immer wieder.

Fathma und ihr Mann leben hier seit über eineinhalb Monaten. Vor dem türkischen Flüchtlingscamp Elbeyli – nicht darin. Sie sind vor dem Bomben in Aleppo geflohen. In Aleppo, wo sie ihr Baby nicht zur Welt bekommen kann, weil es keine Krankenhäuser mehr gibt. Jetzt schlafen sie in einem alten, weißen Lieferwagen auf dem Parkplatz vor dem Camp, den sie sich mit einer anderen syrischen Familie teilen. Irgendwo im nirgendwo. Unter dem täglichen Lärm der Bomben.

Mafiöse Strukturen in den Camps

Aber in das Camp auf türkischer Seite dürfen sie nicht. Dort, wo sie in einem kleinen Container leben könnten. Wo es einen Arzt gäbe. "Um noch einen Platz zu bekommen, muss ich die zuständigen Leute bestechen", erklärt mir ihr Mann. Aber Geld hat er schon lange nicht mehr. Es haben sich hier mafiöse Strukturen entwickelt. Deswegen wollte er mit dem Bürgermeister sprechen. "Es ist aber einfacher, Assad zu treffen, als den Bürgermeister der Stadt", sagt ihr Mann verzweifelt.

Wahrscheinlich wird Fathma ihr kleines Baby hier auf der grauen, schmutzigen Decke bekommen. Wahrscheinlich werden sie wieder zurück nach Aleppo gehen. Ja, wahrscheinlich werden sie dort sterben. Das ist ihre Realität in der Türkei, unserem Partner in der Flüchtlingskrise. Die Realität vieler Flüchtlinge. Und die Politik ignoriert diese Zustände. Bis heute.

Ich schäme mich

Bevor ich gehe, hält mich ihr Mann am Arm fest und sagt: "Die Menschen in Deutschland, aus deinem Land, das sind die einzigen die uns noch verstehen. Die Menschlichkeit zeigen." Ich frage mich in diesem Moment ernsthaft, wieso er daran noch glaubt. Ich schäme mich. Aber ich sage es ihm nicht. Ich lächle ihn einfach nur an.