Sie sieht müde aus, irgendwie abgekämpft. Sie sagt Dinge wie "Seid gut zu euch selbst" und "Wir können diesen Motherfuckern nicht länger erlauben, uns weh zu tun". Sie wirkt mal kämpferisch, dann rührt sie zu Tränen.

Maiman (35) ist Dokumentarfilmerin und Schauspielerin. Sie ist auch die Tochter eines israelischen Millionärs. In ihrer Youtube-Serie ist sie aber vor allem eines: Eine kämpferische Frau, die als Kind und Jugendliche mehrmals missbraucht worden ist.

Mit ihren Videos "Werkzeugkasten für Vergewaltigungsopfer" (Alle Episoden: hier), die sie auf Englisch und Hebräisch aufnimmt, will Noa anderen Überlebenden von Missbrauch und Vergewaltigung Tipps geben, wie sie mit dem Trauma umgehen können. Sie rät zum Beispiel, sich im Zweifelsfall erst bei einer Beratungsstelle Hilfe zu suchen, bevor man sich Eltern oder Freunden anvertraut. Denn Angehörige seien oft selbst überfordert, wenn einem geliebten Menschen Gewalt angetan wurde, und reagierten nicht gleich so einfühlsam, wie sie sollten, warnt Noa.

Sie spricht außerdem viel über ihre eigenen Gefühle, über das Misstrauen in Beziehungen und Flashbacks. Das ist aus zwei Gründen für die Zuschauer wichtig: Betroffenen vermittelt sie damit die Gewissheit, mit dem eigenen Trauma und dem chaotischen Gefühlsleben nicht allein zu sein. Angehörigen von Missbrauchsopfern erklärt sie andererseits, wie es Betroffenen geht, und warum sich Missbrauchsopfer manchmal ungewohnt oder irrational verhalten.

Jede Folge ihrer Youtube-Serie handelt von einem bestimmten Problem. Verletzte Grenzen, Selbsthass und Selbstbestrafung, die Angst vor einer Beziehung oder gar einer Schwangerschaft. Die Serie soll zum Schluss zwölf Teile haben, neun sind bisher auf englisch erschienen, eine zehnte gibt es bereits auf hebräisch.

„Diese Videos habe ich gedreht, damit andere Betroffene nicht länger schweigen“

Diese Videos könnten Betroffenen helfen, ihre eigenen Gefühle zu verstehen, sie können Mut machen, Hilfe zu suchen. Bianca Biwer, Bundesgeschäftsführerin der Opferschutzorganisation Weißer Ring, betont aber: "Wer konkrete Hilfe und Beratung sucht, sollte sich aber auf jeden Fall an Stellen wenden, die professionelle Hilfe anbieten." Videos und Texte von Betroffenen im Internet allein helfen nicht aus einem Trauma. Sie können aber ein erster Schritt zur Heilung sein.

"Diese Videos habe ich gedreht, damit andere Betroffene nicht länger schweigen, damit sie verstehen, dass sie selbst nichts falsch gemacht haben, dass ihre Reaktionen normal sind", sagte Noa zu der israelischen Tageszeitung Haaretz. Sie wendet sich damit an ein großes Publikum.

In der EU hat jede zweite Frau schon einmal irgendeine Form sexueller Belästigung erfahren, jede dritte Frau hat in der Kindheit körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt, ebenfalls ein Drittel der 42.000 befragten Frauen wurde nach ihrem 15. Geburtstag körperlich oder sexuell misshandelt, das sind 62 Millionen Frauen in der EU. Eine von 20 Frauen ist seit ihrem 15. Geburtstag vergewaltigt worden.

Noa ist demnach eine von Vielen. Sie war noch im Kindergarten, als ein Hausangestellter sie missbrauchte. Als sie 15 war, wurde ein Freund der Familie übergriffig. Mit 20 wurde Noa unter Drogen gesetzt und missbraucht. Sie stammt aus einer wohlhabenden israelischen Familie, mit fürsorglichen Eltern.
Missbrauch findet in allen Bevölkerungsschichten statt

Doch auch eine heile Familie und Wohlstand konnten sie nicht schützen. So geht es vielen. Missbrauch gibt es unter Armen und Reichen, Gebildeten und Ungebildeten, Täter sind Onkel, Väter, Nachbarn, Brüder, selten auch Frauen. Nur wenige Übergriffe gehen von völlig Fremden aus. Der Mann, der ein Kind ins Gebüsch zerrt, den gibt es kaum. Die Gefahr lauert oft in der nahen Umgebung. Umso schwerer fällt es Betroffenen, sich zu offenbaren.

„Lass dich sofort untersuchen. Sonst gibt es fast keine Möglichkeit, die Tat zu beweisen.“

Viele Taten werden nicht angezeigt. Und von denen, die angezeigt werden, endet ein späterer Prozess nur in seltenen Fällen mit einer Verurteilung. Zu schwer ist es oft, noch Beweise zu finden, zu belastend ist eine Gerichtsverhandlung, eine Befragung durch Anwälte, eine Beweisaufnahme für die Betroffenen. Noa betont deswegen schon in der ersten Episode: "Lass dich sofort untersuchen. Sonst gibt es fast keine Möglichkeit, die Tat zu beweisen."

Noa selbst schwieg nach den ersten Übergriffen. "Ich gab mir selbst die Schuld", sagt sie. Als sie 2010 den Dokumentarfilm "Oy Mama" über ihre Großmutter veröffentlichte, die den Holocaust überlebt hatte, schrieb ihr daraufhin eine fremde Frau. Sie schrieb, dass Menschen, die auf verschiedene Weise traumatisiert worden waren, im KZ, im Krieg oder durch Missbrauch, ähnliche Symptome zeigten. Diese Frau stieß Noa auf das Trauma ihrer eigenen Kindheit.
Viele Missbrauchsopfer wollen anonym bleiben

Wann immer sie daraufhin ihre Erfahrungen öffentlich machte, meldeten sich weitere Betroffene bei ihr. "Ich habe schöne, starke Frauen gesehen, die missbraucht worden waren, und dann ihr Leben wieder in die Hand nahmen und zu den Frauen wurden, die sie sein wollten", sagt Noa, "diese Erfahrungen treiben mich an."

Viele Missbrauchsopfer wollen anonym bleiben. Noa hat trotzdem die größtmögliche Öffentlichkeit gewählt. "Dass immer mehr über Missbrauch und Vergewaltigung berichtet wird, liegt nicht daran, dass die Taten zugenommen haben. Sondern daran, dass wunderbare, starke Frauen in die Öffentlichkeit gegangen sind. Indem ich meine eigene Geschichte erzähle, bin ich selbst Teil dieses Prozesses."

Obwohl Noa noch immer unter den Taten leidet, obwohl sie Probleme hat, Beziehungen einzugehen und manchmal von Ängsten überwältigt wird, strahlt sie Hoffnung aus. "Ich glaube, dass wir eine neue Generation von Männern und Frauen schaffen können, eine neue Wirklichkeit, ohne sexuelle Gewalt und Scham. Und das wäre wirklich ein Sieg."

INFO: Schnelle Hilfe erhalten Betroffene beim Weißen Ring unter der kostenlosen Telefonnummer 116 006.