Sonntagabend, Viertel nach acht. Auf der durchgesessenen Couch rutschen wir noch etwas enger zusammen, damit alle einen ungehinderten Blick auf den Fernsehbildschirm haben. Wer jetzt noch etwas sagt, wird mit einem genervten "Psssscht" ermahnt. Der Tatort fängt an.

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Dieses sonntägliche Ritual in meinem Freundeskreis macht den Abschied vom Wochenende erträglicher. Es ist ein letztes ungezwungenes Zusammenkommen bei Bier und Nachos. Wir lachen über grottige schauspielerische Leistungen und spekulieren darüber, wer der*die Täter*in ist.

Ansonsten wird aber kaum gesprochen; über Beziehungsstress oder die Party von Samstagabend reden wir nicht. Und noch bevor der Abspann zu Ende ist, sind die meisten schon wieder aus der Tür. Trotzdem kommen wir am nächsten Sonntag alle wieder zusammen. Das gemeinsame Fernsehen verbindet uns.

Gemeinsam fühlt man intensiver

Mathias Weber forscht am Institut für Publizistik der Universität Mainz zu den Themen Medienrezeption und Mediensozialisation. Er untersucht, wie wir Medien konsumieren und wie sich unsere Film- und Fernsehgewohnheiten auf unser Leben auswirken.

Weber erklärt, dass es beim gemeinsamen Fernsehen gar nicht darauf ankomme, wie viel und worüber wir reden. Das Entscheidende sei, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf die gleiche Sache richten. Das feste Ritual am Sonntag, oder die gemeinsame Wahl eines Films auf Netflix oder einer Mediathek verbinden und sorgen für ein wohliges Gemeinschaftsgefühl.

Zwischen meinen Freund*innen auf dem Sofa lache ich über Witze, die ich eigentlich gar nicht so lustig finde: Bei einem Spielfilm, der mich alleine vor dem Laptop kalt gelassen hätte, schießen mir vor lauter lachen Tränen in die Augen. Ich bin eine andere Zuschauerin, wenn ich mit meinen Freund*innen vor dem Fernseher sitze.

Tatsächlich reagieren wir anders auf Inhalte, wenn wir von anderen Leuten umgeben sind, erklärt Mathias Weber. "Das liegt daran, dass wir die Emotionen, die wir in anderen Menschen wahrnehmen, aufnehmen und spiegeln. Die Anwesenheit von anderen multipliziert also unsere emotionalen Reaktionen auf Medieninhalte."

Dann kann es auch vorkommen, dass wir lachen, weil wir es lustig finden, wie unsere Sitznachbar*innen lachen und nicht, weil uns eine Szene tatsächlich amüsiert. Beim gemeinsamen Fernsehen bieten unsere Freund*innen also einen zusätzlichen Unterhaltungscharakter.

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Das gemeinsame Gucken schärft unseren Charakter

Dabei ist es egal, ob gerade ein fiktiver Spielfilm, eine Serie oder eine reale Castingshow läuft. "Viel wichtiger ist, dass die Zuschauer*innen den Inhalt authentisch finden", erklärt Weber. Wenn sich alle mit dem Geschehen auf dem Bildschirm identifizieren können, fördert dies das Gemeinschaftsgefühl.

Allerdings gibt es auch eine Ausnahme: Bei Castingshows oder Trash TV, wenn sich alle Zuschauer*innen einig darüber sind, dass der Quatsch unauthentisch ist und sich damit eben nicht identifizieren können. Denn genau dann kann es besonders Spaß machen, zusammen über solche Sendungen herzuziehen und sich über Supertalente oder Promis im Dschungel lustig zu machen. "Dadurch distanziert man sich von den Inhalten und würdigt das Format herab. Das funktioniert aber nur, wenn man es gemeinsam mit anderen macht", sagt Weber.

Der schönste Nebeneffekt des Rudelguckens ist womöglich, dass wir ganz nebenbei an unserer Persönlichkeit feilen. "Beim Fernsehen in einer Gruppe kann jedes Mitglied die persönliche Identität hinterfragen und weiterentwickeln", erklärt Weber.

Denn wenn wir bestimmte Rollenmodelle oder Verhaltensweisen aus Serien oder Filmen mit unseren Freund*innen diskutieren, fragen wir uns gleichzeitig: Ist dieses Verhalten übertragbar auf mich? Spiegelt es wider, wer ich bin oder wie ich sein möchte? Diese tiefgründigen Fragen stellen wir uns dabei sogar ganz unbewusst.

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Außerdem lernen wir, uns mit anderen zu identifizieren – oder unsere Meinung zu verteidigen. Wenn wir zum Beispiel vor unseren Freund*innen den Bösewicht unserer Lieblingsserie anschmachten, müssen wir uns entweder dafür rechtfertigen oder wir finden Verbündete. Wir bekommen also Bestätigung oder eine Zurückweisung. Das prägt unseren Charakter.

Egal ob beim klassischen Fernsehen, Binge-Watching bei Netflix oder DVD-Abenden mit alten Klassikern: Beim gemeinsamen Film-, Serien- und Fernsehgucken pflegen wir Freundschaften und stärken unsere Persönlichkeit. Auch wenn wir dabei nur schimpfend oder lachend nebeneinander sitzen.