Zunächst die gute Nachricht: Österreichs Opposition ist nun in fester Frauenhand. Nachdem mit Pamela Rendi-Wagner erstmals eine Frau an der Spitze der SPÖ stehen wird, darf sich auch die letztverbliebene der drei Oppositionsparteien über eine weibliche Parteichefin freuen. Doch die Opposition heißt nun mal Opposition – und nicht Regierung. Und die hat es in Sachen Female Empowerment ungefähr so eilig wie der Vatikan.

Konkret heißt das, dass weibliche Anliegen in der Prioritätenliste erst mal ein ganzes Stück nach hinten gerutscht sind. Frauenprojekte aller Art, von Gewaltprävention bis zu Gesundheitszentren oder feministischen Zeitschriften, sehen sich derzeit mit massiven Budgetkürzungen konfrontiert – oder erhalten gleich gar keine Subventionen mehr. Das Gewaltpräventionsprojekt in Zusammenarbeit mit der Polizei, seit Jahren eins der Aushängeschilder erfolgreicher österreichischer Frauenpolitik, kam dabei genauso unter die Räder wie etwa die Abteilung für Gender Mainstreaming im Bildungsministerium.

Frauenanliegen sind für diese Regierung kein Thema." – Gabriele Heinisch-Hosek

Zumindest aus Frauensicht hatte man sich das Jahr 2018 mit Sicherheit anders vorgestellt: als Jubiläumsjahr! Als Jahr feministischer Errungenschaften! Nicht zuletzt als das Jahr, das an 100 Jahre österreichisches Frauenwahlrecht erinnern soll! Am 12. November 1918 nämlich stimmten die Österreicher*innen für das allgemeine und gleiche Wahlrecht "aller Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts". Dieses Recht fiel nicht vom Himmel, keine Frage. Vorausgegangen waren dieser historischen Entscheidung erbitterte, oftmals blutige politische Auseinandersetzungen.

Doch Jubiläum hin oder her, Grund zum Feiern gibt es dieser Tage wenig. Hört man sich in Oppositionskreisen um, scheint man sich auf das Schlimmste vorzubereiten. "Frauenanliegen sind für diese Regierung kein Thema", beklagt etwa die Vorsitzende der SPÖ Frauen, Gabriele Heinisch-Hosek. Vonseiten der aktuellen schwarz-blauen Regierung erlebe man derzeit "eine Ungeheuerlichkeit nach der anderen", heißt es von Maria Stern, Chefin der Liste Pilz. "Bei mir schrillen alle Alarmglocken, denn die jetzige blau-schwarze Regierung hat für Frauen gar nichts übrig", kommentiert die 46-Jährige den Kurs der ÖVP-FPÖ-Koalition. Worauf es jetzt ankomme, sei eine "parteiübergreifende, starke Oppositionsarbeit", erklärt Stern.

Neun Forderungen für mehr Gerechtigkeit – auch für Männer!

Doch – und auch das gehört zur Geschichte feministischer Politik – findet Gleichstellungs- und Frauenpolitik nicht nur auf Bestreben der Regierung statt und ist auch nicht ausschließlich auf das Parlament beschränkt. Aktuell gibt es eine Vielzahl Stimmen, die den derzeitigen Rechtsruck der Regierung nicht in dieser Form mittragen wollen. Und viele dieser Stimmen sind weiblich.

Mit dem 1. Oktober steht das Frauenvolksbegehren 2.0 ins Haus. Neun Forderungen, mit insgesamt 34 Unterpunkten, sind in dem nach 1997 bereits zweiten österreichischen Frauenvolksbegehren enthalten. Mindestens 500.000 Unterschriften erwarte man sich während der einwöchigen Eintragungsfrist. Sollten es weniger sein, "haben wir ein viel ernsthafteres Problem in Österreich, als ich das erwartet hätte", erklärt die Leiterin des Frauenvolksbegehrens 2.0, Lena Jäger. Dabei wolle man bewusst auch das andere Geschlecht miteinbinden: "Gemeinsam mit euch – und nicht gegen euch", fordert die 37-Jährige. Mit geeinten Kräften dürfen es dann vielleicht auch etwas mehr sein als eine halbe Million: "Ab 700.000 bin ich wirklich glücklich, mein Wunschtraum wären eine Million Unterschriften!"

Schöne, heile Frauenwelt?

Während in der Opposition von parteiübergreifendem Zusammenhalt die Rede ist und das Frauenvolksbegehren als große Chance gesehen wird, in diesen Belangen endlich ein Stück vorwärts zu kommen, klingt das in Regierungskreisen ganz anders. "Zu wenig klar formuliert, zu wenig klar durchdacht", sei das Begehren, findet die ÖVP-Abgeordnete Carmen Jeitler-Cincelli. Frauen hätten es in dieser Gesellschaft schwerer, keine Frage, das Begehren werde sie dennoch nicht unterschreiben. Mit vielen der Forderungen könne sie sich identifizieren, mit einigen jedoch nicht. Dass im Frauenvolksbegehren beispielsweise auch ein Schwangerschaftsabbruch auf Staatskosten gefordert werde, sei für sie ein rotes Tuch.

Außerdem, so Jeitler-Cincelli, sei die Unterdrückung von Frauen weit weniger strukturell als allgemein angenommen. "Man muss Frauen auch bewusst machen, welche Verantwortung sie für sich selbst und ihr Leben haben", stellt die Nationalratsabgeordnete klar. Weniger ein Volksbegehren, sondern viel mehr individuelles Engagement brauche es. Sie fordert daher: "Schaut’s, dass ihr selber auf eigenen Beinen stehts! Geht’s in eure Selbstbestimmtheit!" Kein Volksbegehren, keine Quoten oder mehr staatliche Unterstützung, einfach mal den Mund aufmachen also – und dann wird alles gut, gerecht, kunterbunt und emanzipiert?

100 Jahre Frauenwahlrecht – sind genug?

Hört man sich dieser Tage am Wiener Karlsplatz um, klingt das etwas anders. Etwas provokant, aber durchaus öffentlichkeitswirksam ziehen die Brutpfleger*innen ihre 100-jährige Bilanz: In Sichtweite der Karlskirche stellt das Künstlerinnenduo um Eva Puchner und Susanne Preissl das Wahlrecht der Frauen zur Debatte und fragt: Braucht es das überhaupt noch? Eine Woche lang steht zu diesem Zweck eine Wahlkabine, die Frauenwahlrechtsabschaffungszentrale, auf dem Karlsplatz. Sie stellt die Wähler*innen vor die Entscheidung: Sollen Frauen auch weiterhin an demokratischen Entscheidungsprozessen teilhaben dürfen – oder ist’s nach 100 Jahren dann auch mal genug? Abstimmen darf jede*r, unabhängig von Alter, Nationalität – und Geschlecht.

Beobachtet man vorbeischlendernde Passant*innen, wirken die meisten etwas irritiert, fragen, ob das denn nun tatsächlich zur Debatte stehe. Andere (Männer) wiederum legen den Verdacht nahe, dass dieses Land vielleicht tatsächlich ein Problem hat. Schon beim Aufbau der Veranstaltung, so erzählen Puchner und Preissl am Tag der Eröffnung, habe man Solidaritätsbekundungen bekommen, auf die man gerne hätte verzichten können. Dass Frauen ohnehin nicht die geistigen Kapazitäten für eine demokratische Entscheidung hätten, beispielsweise. Oder ob Küche und Kinder denn nicht schon genug seien.

"Beide Seiten müssen kapieren, dass es nur zusammen geht"

Die beiden Intendantinnen sind überzeugt, genau "in Zeiten wie diesen" brauche es Kunstformen, Provokationen wie die ihrige. Aktionen, die den herrschenden Konsens zur Debatte stellen, ins Bewusstsein rufen, dass das, was ist, nicht immer so war – und auch zukünftig nicht immer so sein muss. "Es ist total viel passiert in den letzten 100 Jahren", erklärt Preissl am Rande der Veranstaltung, "aber von einer Gleichstellung sind wir trotzdem noch weit entfernt". Und auch die Brutpfleger*innen appellieren an den männlichen Teil der Bevölkerung: Es gehe nicht darum, die Vorherrschaft der Frauen über die Männer zu etablieren, sondern darum, ein harmonisches Geschlechterverhältnis zu etablieren. "Beide Seiten müssen kapieren, dass es nur zusammen geht", erklärt Puchner. Ein Machtgewinn auf der einen Seite, muss keinen Machtverlust auf der anderen Seite bedeuten.

In Österreich, so scheint es, ticken derzeit zwei Uhren: die eine vorwärts, die andere rückwärts. Während ein breites Bündnis an zivilgesellschaftlichen Akteur*innen mehr Mitbestimmung, faire Entlohnung und mehr Balance zwischen den Geschlechtern fordern, scheint man von Regierungsseite eher an traditionelleren Geschlechterverhältnissen interessiert zu sein. Bis zum 8. Oktober läuft die Eintragung zum zweiten Frauenvolksbegehren. Ob auf das Zweite auch noch ein Drittes folgen muss, wird man sehen.