Ein Foto, das dich im Jahr 2009 zeigt. Ein weiteres, das dich im Jahr 2019 zeigt. Dazu ein geschwollener Text über Veränderung, Wachstum und Stärke, fertig ist die #10YearChallenge auf Instagram, die mir zurzeit aufs Datenvolumen und die Nerven geht. Dabei ist der Grundgedanke kein schlechter: Zu zeigen, wie man sich in den letzten 10 Jahren verändert hat, woran man gewachsen und gescheitert ist, wodurch man stärker geworden ist, wodurch man geschwächt wurde. Das kann motivieren, bestärken, andere inspirieren und helfen, kurz innezuhalten und Dinge wertzuschätzen.

Doch das Ergebnis der #10YearChallenge ist erstmal – oh Wunder – wenig verblüffend oder überraschend: Alle Teilnehmer*innen sind in den letzten zehn Jahren nämlich zehn Jahre älter geworden. Wow. Danke, Instagram. Es kommt noch hinzu, dass man die beiden Fotos natürlich selbst raussucht und daher auch die volle Kontrolle über das Ergebnis dieser Gegenüberstellung hat. Würde ich irgendwelche aktuellen, versoffenen Spiegel-Selfies von mir mit Fotos aus dem Jahr 2009 vergleichen, mein 16-jähriges Ich käme dabei sehr gut weg.

Schaut euch an, wie toll ich bin

Außerdem werde ich das Gefühl nicht los, dass es in vielen Fällen ein großes Abfeiern der eigenen Person ist: Schaut euch an, wie ich vor 10 Jahren aussah. Ein dicklicher, verpickelter Teenager mit fettigen Haaren. Ugh, wie schrecklich. Aber jetzt schaut mal, wie ich heute aussehe. Heute bin ich ein richtig heißer Feger, ein echt geiler Typ. Keine Pickel, schicke Frise, durchtrainiert und mit mir völlig im Reinen. Heute habe ich mein Leben im Griff.

Mag sein und freut mich auch total für dich, dass du so gut klar kommst, dass bei dir alles läuft und du mittlerweile nicht mehr pubertierst. Ist andererseits halt auch relativ normal und der Lauf der Dinge, dass man die Zeit der Pickel und des Axe-Schoko-Deos irgendwann hinter sich lässt, dass der Körper sich weiterentwickelt und verändert.

Das ist also nicht okay?

Dadurch entsteht der Eindruck, es sei nicht okay, ein kleiner, dicklicher, verpickelter Teenager mit fettigen Haaren zu sein. Auch wenn das jetzt einige Jahre zurück liegt, aber wenn ich an meine Pubertät denke, denke ich vor allem an Unsicherheit. Unsicherheit bezüglich des eigenen Verhaltens, des Aussehens, der Klamotten – eigentlich wegen so gut wie allem. Da bin ich fast dankbar, dass es damals noch kein Instagram gab, dass mir zusätzlich eine ganze Menge Druck macht und mir das Gefühl gibt, so wie ich aussehe, nicht okay zu sein. Die Kommentare unter den Posts sprechen für sich: Wow, was für eine Veränderung. Wow, was siehst du heute toll aus. Wow, was ist bloß für ein toller Hecht aus dir geworden. Und es mag auch alles stimmen, aber ist das nicht genau das, was die Teilnehmer*innen erwartet haben? Was sie erhofft haben?

Die wenigstens sind wirklich ehrlich, schreiben über persönliches Scheitern, über Krankheiten, über all die Struggle, die sie in den vergangenen zehn Jahren hatten. Aber vielleicht ist Instagram auch einfach nicht die richtige Plattform für Ehrlichkeit? Ich wünsche mir ehrlichen Seelen-Striptease, das wäre eine Challenge. Ich wünsche mir ehrliche, offene Worte übers Scheitern und daran Wachsen. Ich wünsche mir Fotos, die nicht nur zeigen, dass im Heute alles geil und im Gestern alles irgendwie nicht so geil war. Ich wünsche mir, dass mein Instagram-Feed endlich wieder voller Katzen ist und der Hype um die Challenge bald vorbei ist.