Ärzt*innen, die in Deutschland darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, werden kriminalisiert. Laut Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs ist es verboten, darüber zu informieren, dass man Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Im äußersten Fall können betroffene Ärzt*innen mit bis zu zwei Jahren Gefängnis belangt werden. Spätestens seit die Gießener Ärztin Kristina Hänel im November 2017 zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt wurde, wird in der breiten Öffentlichkeit über 219a gestritten. Hänel hatte auf ihrer Webseite unter angebotenen Leistungen auch Schwangerschaftsabbrüche genannt.

Noch immer keine Entscheidung

Dass die aktuelle Situation untragbar ist, galt auch innerhalb der SPD als mehrheitliche Meinung. Darum forderte Parteivorsitzende Andrea Nahles noch zu Beginn des Jahres die Streichung des Paragrafen, um Betroffenen den freien Zugang zu Informationen zu gewährleisten. Angesichts der Sondierungsverhandlungen mit der Union, die weiterhin daran festhalten möchte, ließ Nahles allerdings von der Forderung ab.

Dafür kündigte die SPD im April an, bis zum Herbst wolle man mit der Union eine Entscheidung darüber treffen, wie mit dem Strafgesetzbuch-Paragrafen verfahren werden sollte. Nun neigt sich der kalendarische Herbst dem Ende entgegen, doch eine finale Entscheidung darüber, was mit dem Paragrafen geschehen soll, liegt noch immer nicht vor. Gestrichen werden, das scheint nun klar, soll er allerdings nicht. Darauf einigten sich Politiker*innen von SPD und CDU/CSU gestern.

Keine Klarheit für Ärzt*innen

"Ärztinnen und Ärzte brauchen [...] dringend Rechtssicherheit", verkündete Justizministerin Katarina Barley im Oktober im Gespräch mit der Funke Mediengruppe. Der Vorschlag zur Änderung von 219a bietet diese allerdings nicht. Kristina Hänel und weitere von Strafverfahren betroffene Ärzt*innen kritisieren den Vorschlag von SPD und Union deshalb lautstark. Nach monatelangem Warten sei man entsetzt über den sogenannten Kompromissvorschlag.

Dieser sieht vor, dass in Zukunft die Bundeskammern und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung dafür Sorge tragen sollen, dass Betroffene Kontaktdaten von Ärzt*innen erhalten, die Abbrüche durchführen. Dies sei allerdings auch bisher der Fall gewesen, erklärten Hänel und andere Ärzt*innen in einer Stellungnahme. Sie kritisierten, dass der Staat in der Vergangenheit versäumt habe, für ein flächendeckendes Netz ambulanter und stationärer Einrichtungen zu sorgen und genügend Informationsangebote zu liefern.

Außerdem sieht der Gesetzesvorschlag vor, dass rechtlich ausformuliert werden soll, wann Informationen von Ärzt*innen und Krankenhäusern als Informationen gelten – und wann als Werbung. An dem Werbeverbot selbst und den damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen wolle man aber weiterhin festhalten, erklärte CDU-Kanzleramtschef Helge Braun. Doch dadurch werden Ärzt*innen weiterhin kriminalisiert. Ein großes Problem besteht darin, dass Ärzt*innen sich aus Angst vor Anfeindungen und rechtlichen Folgen nicht trauen, offen darauf hinzuweisen, dass sie Abbrüche anbieten. Daran ändert auch der Reformvorschlag nichts. Dadurch, dass sogenannte Werbung für Abbrüche weiterhin mit Geld- und Freiheitsstrafen geächtet werden kann, ist die Kriminalisierung von Ärzt*innen durch die Gegner*innen der körperlichen Selbstbestimmung weiterhin möglich.

Wendehälse ohne Rückgrat

Ob die Fraktionsmitglieder der SPD dem Vorschlag zustimmen, wird sich erst im nächsten Jahr zeigen. Im Januar wollen die Fraktionen eine konkrete Ergänzung von Paragraf 219a im Strafgesetzbuch verabschieden. Nach der enttäuschenden Entwicklung der letzten Monate sinkt das Vertrauen der Befürworter*innen einer Streichung von 219a in die SPD allerdings immer weiter. Während die CDU seit Monaten an ihrer Position zu 219a festhält, weicht die Position der SPD im Kampf um einen Kompromiss immer weiter auf. Da hilft auch die Forderung der Jusos im letzten Monat, die Paragrafen 218 und 219a aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, nicht weiter. Der aktuelle Reformvorschlag ist ein Armutszeugnis für eine Partei, die sich noch zu Beginn des Jahres deutlich zu einer Abschaffung von 219a bekannte.

Der Vorschlag  zeigt, dass Frauenrechte, das Recht auf körperliche Selbstbestimmung und der freie Zugang zu Informationen von dieser Regierung mit Füßen getreten werden. Er macht deutlich, dass den Schreien von sogenannten Lebensschützer*innen, die Ärzt*innen kriminalisieren, mehr Relevanz zugesprochen wird, als denen der Mediziner*innen, die über Ängste klagen und ihre Arbeit nicht ausführen können.

In einer aufgeklärten, freien Gesellschaft muss es Frauen möglich sein, selbstbestimmt und mit uneingeschränktem Zugang zu allen relevanten Informationen entscheiden zu können, ob sie eine Schwangerschaft abbrechen möchten oder nicht. Die Position der Union, die den Schutz des ungeborenen Lebens vor die körperliche Selbstbestimmung der schwangeren Person setzt, überrascht in diesem Fall nicht. Die SPD-Spitze jedoch hat mit ihrer Beteiligung an dem Vorschlag zur Gesetzesänderung ein weiteres Mal gezeigt, dass sie in einer Großen Koalition bereit ist, vermeintlich zentrale Ziele für einen halbgaren Kompromiss aufzugeben.