Fotografieren ist für Chris Porsz ein Hobby. 1974 brach er sein Studium der Sozialarbeit ab und arbeitete 13 Jahre lang als Pförtner eines Krankenhauses. In dieser Zeit spazierte er nach Feierabend oder zwischen seinen Schichtdiensten am liebsten durch die Straßen seiner Heimatstadt Peterborough im Osten Englands und knipste Bilder von Passant*innen. Einfach so aus Vergnügen, ohne einen weiteren Plan.

Statt Menschen aus der langweiligen Mittelklasse interessierten ihn vor allem exzentrische Charaktere, die aus der Menge herausstachen. Punks mit buntgefärbtem Irokesenschnitt, Musiker*innen, außergewöhnlich gekleidete Personen. Über die Jahre schoss er Tausende Fotos. Sie alle entwickelte er in seiner provisorischen Dunkelkammer zu Hause, viele gingen verloren oder wurden beschädigt. Dass er damit nicht nur die Menschen, sondern ebenso ein Stück der Geschichte seiner Heimatstadt einfangen würde, war ihm noch nicht bewusst. Genauso wenig, dass sich jemand drei Jahrzehnte später für seine Fotos interessieren könnte.

Der fotografierende Rettungssanitäter

Er begann als Rettungssanitäter zu arbeiten. Das tut er bis heute, seit mittlerweile fast 30 Jahren, in denen er auch seine drei Kinder großzog. Das Fotografieren ließ er sein, die Fotos von früher verstaubten langsam irgendwo zu Hause. Irgendwann im Jahr 2009 flammte seine Leidenschaft für sein Hobby wieder auf, und er beschloss, seine alten Fotos an die lokale Tageszeitung Peterborough Evening Telegraph, heute Peterborough Telegraph, zu schicken. Zu seiner eigenen Überraschung kamen die Fotos gut an und Chris bekam schnell eine eigene wöchentliche Kolumne namens Paramedic Paparazzo.

Leser*innen der Zeitung liebten seine Kolumne und das nostalgische Gefühl, das sie beim Betrachten der Fotos ihrer Heimatstadt überkam. Einige der Leser*innen erkannten sich auf den Fotos von vor 30 Jahren wieder. "Das war mein großes Aha-Erlebnis", sagt Chris. "Ich hatte die Idee, aktiv nach weiteren dieser mir fremden Leute von damals zu suchen, um zu sehen, wie sie sich über die lange Zeit verändert hatten." Anfangs wollte Chris dafür einen ausgebildeten Fotografen engagieren, entschloss sich aber letzten Endes dagegen.

Für mehrere Monate arbeitete ich täglich fast 18 Stunden. Es war hart, aber es hat sich ausgezahlt.
Chris Porsz

Die Kontaktdaten der jeweiligen Personen hatte er damals nicht aufgenommen. Um sie zu finden, musste er sich auf die Rückmeldungen zu seiner Kolumne, die er sieben Jahre schrieb, verlassen. "Für mehrere Monate arbeitete ich täglich fast 18 Stunden. Es war hart, aber es hat sich ausgezahlt", erzählt Chris. Die Information, dass er an einem neuen Projekt arbeitete, verbreitete sich schnell in Peterborough. "Sie unterstützten mich, betrieben Ahnenforschung und leisteten Detektivarbeit", erzählt er über die Einwohner*innen. Zweimal spielte ihm sogar reiner Zufall in die Hände, als ihn Patient*innen im Rahmen seiner Arbeit als Rettungssanitäter erkannten. "Wir fuhren zu dem Anrufer nach Hause und behandelten ihn. Als es ihm besser ging, sagte er: 'Hey, du bist doch der, der vor vielen Jahren ein Foto von mir geschossen hat?', und so nahm er schließlich an meinem Projekt teil", erzählt der heute 65-jährige Fotograf.

Bittersüße Reunions

Das Ergebnis des Projekts ist das Buch Reunions mit 134 Aufnahmen von damals und heute. Laut Chris hätte der Titel des Buchs genauso gut Random heißen können, da ein großer Teil seiner Arbeit auf zufälligen Faktoren basierte. Kann er die Person ausfindig machen? Hat ihr Foto von damals unbeschadet überlebt? Ist die Person einverstanden, beim Projekt mitzumachen? Viele hatten ihre Heimatstadt mittlerweile verlassen, einige tauchten zu einem vereinbarten Fototermin nicht auf, antworteten nicht oder legten Chris falsche Fährten.

"Einige der Reunions waren bittersüß. Wenn Personen jung verstorben waren und daher nicht mitmachen konnten, sprangen manchmal andere Familienmitglieder ein. Das war dann eine andere Art der Reunion", sagt Chris. Dann kamen Schwestern, Zwillingsbrüder oder auch Kinder oder Enkelkinder und posierten anstelle der jeweiligen Person. Am schönsten sei es jedoch gewesen, wenn ehemalige Freund*innen die Chance nutzten, wieder miteinander in Kontakt zu treten. In diesen Fällen waren die Wiedersehen sehr emotional, die Tränen flossen, es wurde umarmt und geküsst. Personen, die sich aus den Augen verloren hatten, frischten ihr Verhältnis wieder auf, genauso wie einige Familienmitglieder.

Obwohl Chris zu den Fotoshootings immer das Originalfoto mitnahm, war es oft nicht einfach, dieses nachzustellen. In drei Jahrzehnten veränderten sich nicht nur die Personen, sondern auch die Umgebung. Da, wo früher ein Park war, steht heute womöglich ein Wohnhaus, andere Gebäude wurden abgerissen, neue Straßen gelegt, Kaufhäuser gebaut. Einige Aufnahmen würden deshalb auf den ersten Blick nicht sehr ähnlich aussehen. Auch diese landschaftlichen Veränderungen sind Belege der jüngeren Geschichte von Peterborough. Chris' Projekt zeigt auf unübliche Weise, welche Auswirkungen die Zeit auf eine Gesellschaft und ihre Menschen hat. Die alten Läden, die überholte Technologie, die Klamotten und Frisuren sind nur einige Beispiele dafür, wie viel sich in nur 30 Jahren verändern kann – und auf Chris' Fotos zu entdecken ist.

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