Den Deutschen ist ihr Auto heilig. Den Führerschein zu erwerben ist unsere Aufnahmezeremonie, auf der Autobahn 180 Stundenkilometer zu fahren unser Gebet und das eigene Fahrzeug ein Tempel. Da verwundert es nicht, dass die Deutschen etwas zimperlich werden, wenn man ihnen verbieten will, in die Innenstadt zu fahren.

Stuttgart wagt den Versuch jetzt trotzdem. Die Stuttgarter Nachrichten berichten, dass Grüne- und SPD-Vertreter*innen einen entsprechenden Entwurf für die Verkehrsberuhigung der Innenstadt im Gemeinderat eingereicht haben. So schnell wie möglich soll in Teilen der Innenstadt Platz für Geh- und Radwege, Parkbänke und Grünanlagen geschaffen werden, indem Außenparkplätze zurückgebaut werden.

Wird der Entwurf angenommen, wären lediglich Anwohner*innen, Parkhausnutzer*innen und Lieferfahrzeuge noch berechtigt, den Innenstadtring zu befahren.

Gute Gründe, schlechte Laune

Natürlich gibt es Gründe, einen solchen Vorschlag nur semi-geil zu finden. Vor allem der Einzelhandel fürchtet Einbußen und einige Autofahrer*innen denken sicher mit Grauen daran, den öffentlichen Nahverkehr oder die eigenen Füße verwenden zu müssen, um sich durch die Straßen zu bewegen.

Auf der anderen Seite stehen Initiativen wie Stuttgart Laufd Nai, die eine streng autofreie Stadt fordert und stattdessen den Nahverkehr und grüne Alternativen stärken möchten. Wenn es nach ihnen ginge, hätten Autos gar nichts mehr im Stadtzentrum zu suchen.

Auch wenn der Vorstoß in Stuttgart noch heiß diskutiert wird: Es gibt viele gute Argumente dafür, deutsche Innenstädte langfristig und vollständig von Autos zu befreien.

1. Feinstaub Ade

Einer der Hauptgründe für den Vorstoß ist die Feinstaubbelastung in der City. Auch wenn die Überschreitung der Höchstwerte in Stuttgart kontinuierlich eingedämmt werden konnte – im Juni gab es bisher keinen Feinstaubalarm –, sucht die Stadt nach einer langfristigen Möglichkeit, die Belastung zu senken.

Feinstaub sind kleine Partikel in der Luft, die sich beim Einatmen in den Atemwegen und der Lunge ansammeln und diese schädigen können. Auch für das Herz-Kreislauf-System sollen sie gefährlich sein. Je mehr Feinstaub wir also einsparen können, desto besser.

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2. Grüne Lunge

Weniger Autos bedeuten nicht nur weniger Feinstaub, sondern auch weniger Parkplätze und mehr Platz auf den Straßen. Wo sich sonst Staus durch die Städte schlängeln, können Grünsteifen, Parkanlagen oder auch Urban-Gardening-Beete angelegt werden. Das sieht nicht nur hübsch aus, die Pflanzen verbessern auch die Luft und können helfen, Lebensmittel regional und saisonal zu produzieren. Wenn das keine Win-Win-Win-Situation ist.

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3 . Die Kunst des Flanierens

Ende des 19. Jahrhunderts war der*die Flaneur*in noch das Aushängeschild aller Großstädte. Menschen, die reich genug waren, um keiner Erwerbstätigkeit nachgehen zu müssen und die ihre Tage damit verbringen konnten, gut angezogen durch die Straßen zu schlendern, Kaffee oder Tee zu trinken und ihr Leben und die Menschen um sich herum zu genießen.

Höchste Zeit, diesen Trend wiederzubeleben und allen zugänglich zu machen.

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4. Nachhaltigkeit voran

Wer nicht mehr mit dem Auto in die Stadt fahren kann, ist gezwungen, etwas für die Umwelt zu tun. Alternativen wie der städtische Nahverkehr, das Fahrrad oder auch ein guter alter Spaziergang lassen nicht nur Kilos purzeln, sondern auch Umweltschutzherzen höher schlagen. Richtig so!

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5. Blech ist hässlich

Jetzt mal Hand auf die Motorhaube: Straßen voller Autos, überfüllte Parkplätze und Lieferfahrzeuge sind wirklich kein besonders hübscher Anblick. Dann doch lieber verrückte Kunst, Parkanlagen oder Spielplätze.

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6. Sicherheit geht vor

Laut Statistischem Bundesamt setzen in Großstädten bereits 30 Prozent der Bevölkerung auf das Fahrrad als Hauptverkehrsmittel. Kaputte oder fehlende Fahrradwege, unübersichtliche Kreuzungen und gestresste oder auch fahrlässige Verkehrsteilnehmer*innen führen täglich zu Unfällen, die mitunter auch tödlich enden.

Autos aus dem Innenstadtbereich fernzuhalten würde nicht jeden Unfall vermeiden, könnte die Anzahl und Schwere der Unfälle jedoch deutlich reduzieren.

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7. Spielplatz: Innenstadt

Mit dem Ball vor dem Haus spielen? Viel zu gefährlich. Jedenfalls, wenn man in der Großstadt aufwächst und jederzeit befürchten muss, von einem Auto überfahren zu werden.

Autos aus den Innenstädten zu verbannen, macht diese sicherer für Kinder. Außerdem können nicht mehr benutzte Parkplätze und mehrspurige Straßen Kinderspielplätzen weichen, von denen es in Großstädten ohnehin viel zu wenige gibt. Statt Blechlawinen gäbe es nur noch Kinderlachen.

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8. Willkommen in der Partyzone

Und neben den Kindern schützen solche Regelungen auch noch andere Gruppen, die im Straßenverkehr besonders gefährdet sind: alte Menschen, Personen mit Gehbehinderungen oder Sehschwächen und natürlich Besoffene. Ja, richtig gehört.

Wer nachts in der City unterwegs ist, um mit Freund*innen ein Bierchen zu trinken, das plötzlich in Whisky und Vodka übergeht, ist selten ein verlässliches Subjekt im Straßenverkehr. Diejenigen, die immerhin Autoschlüssel liegen oder das Fahrrad stehen lassen, sind schon von der verantwortungsbewussten Sorte.

Doch selbst sie müssen mit Nahverkehr oder zu Fuß den Weg nach Hause finden – machen wir es ihnen doch nicht unnötig schwer, indem wir auch noch 50 Stundenkilometer schnelle Karosserien auf sie zukommen lassen.

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9. Und jetzt alle zusammen!

Neben all diesen Punkten gibt es aber einen, der besonders wichtig ist: Gemeinschaft. Stadt ist immer auch ein Raum für Begegnungen und um miteinander in einen Austausch zu kommen. Davor drücken wir uns geschickt, wenn wir uns hinter unseren Windschutzscheiben und baumelnden Duftbäumchen verstecken.

Stell dir einfach vor, wie es wäre, wenn morgen alle Parkplätze Parkstreifen wären, in denen Bänke stehen. Wie würden unsere Städte aussehen, wenn jede Straße ein Fahrradweg wäre und an jeder Kreuzung Spielplätze gebaut würden. Ist das nicht eine wunderschöne Vorstellung?