Ich bin 26. Ich bin jung. Fühle ich mich auch jung? Nicht wirklich. Fühle ich mich erwachsen? Schon eher, aber auch nicht wirklich. Wann soll meine Jugend aufgehört haben? Irgendwie muss das schleichend passiert sein. Als hätte sich das Erwachsensein von hinten angeschlichen und meine Jugend im Schlaf überrascht, rausgeworfen, es sich anschließend im Bett gemütlich gemacht und seither nicht mehr verlassen.

Gerade war ich noch 16, ärgerte mich, nicht älter zu sein, deshalb nicht in gewisse Clubs zu kommen und gewisse Filme nicht sehen zu dürfen. Ich wollte erwachsen sein, meine eigene Wohnung, einen Job und ein Haustier besitzen. Lernen, wie man sich richtig schminkt. Jeden Tag passende Unterwäsche und Socken tragen. Ich konnte es kaum erwarten. Und dann, irgendwann zwischen Tequila und Pickel, passierte das Erwachsenwerden wohl. Studium, zu Hause ausziehen, eigene Wohnung, Studium abschließen, Jobs, Steuern, Versicherung und Stromrechnungen.

Jeden Tag passende Unterwäsche und Socken tragen. Ich konnte es kaum erwarten.

Studie zeigt, dass Erwachsensein nicht vom Alter abhängt

Laut dem Gesetz sind wir mit der Vollendung des 18. Lebensjahres erwachsen. In der Gesellschaft kommen Ereignisse wie Hochzeit, Kinder, Eigenheim und Eigentum als Statussymbole für das Erwachsensein hinzu. Neurowissenschaftler*innen sind schon länger der Meinung, dass es wenig Sinn ergebe, ein Alter für das Erwachsensein festzulegen.

Der Cambridge-Professor Peter Jones hat gemeinsam mit einem Team von Neurowissenschaftler*innen eine Studie durchgeführt, die klären sollte, ab welchem Zeitpunkt Menschen als erwachsen gelten können. Es kam heraus, dass Gehirne unterschiedlich schnell reifen und dass in den Endzwanzigern wichtige Reifungsprozesse stattfinden. Laut der Studie sind die Menschen demnach erst ab 30 wirklich erwachsen.

Also bin ich jetzt erwachsen? So ganz sicher bin ich mir da nicht.

Für die Jugend gibt es keine Definition, kein Datum, an dem sie beginnt – ebenso gibt es kein Ablaufdatum. Erzählen ältere Menschen von ihrer Jugend, dann glänzen ihre Augen. Jungsein bedeutet für sie nicht unbedingt das Erreichen eines bestimmten Alters, sondern Freiheit, Unbeschwertheit und Gesundheit. Fragt man jüngere Menschen, sagen viele, Jungsein sei schwer. Sie wollen erwachsen sein. Filme und Bücher zeichnen ein romantisiertes Bild von der Jugend: Nacktbaden unter dem Sternenhimmel, verrückt gute Zungenküsse, wunderbaren Sex, Sommersprossen, Pos ohne Cellulite und unbeschwerte Zeit mit Freund*innen. Auch die Begriffe Jungsein und Jungbleiben sind immer noch positiv besetzt. In tausenden Ratgebern findet man Anleitungen, um sich im Alter jung zu halten.

Gleichzeitig bildet sich immer stärker ein Pro-Aging-Trend. Als Gegentrend zum lange betriebenen Anti-Aging werden nun häufiger ältere Frauen abgebildet. Ältere Frauen sind heute Modeikonen, Influencerinnen, Designerinnen und die Gesichter großer Kampagnen. Auch auf den internationalen Laufstegen laufen mittlerweile Frauen über 70. In Zeiten vonBody Positivity und der Forderung nach mehr Natürlichkeit ist es ein weiterer Schritt, unterschiedliche Generationen abzubilden. So schloss die New Yorkerin Iris Apfel nun mit Mitte 90 einen Modelvertrag ab, posiert für große Marken und ziert die Cover von internationalen Magazinen. Und die 72-jährige Jan de Villeneuve erlebt ihren zweiten Durchbruch in der Modebranche.

Sowohl die Jugend als auch das Alter werden mittlerweile gefeiert. Doch wann findet der Übertritt statt: Wann sind wir erwachsen?

Wir haben unsere Leser*innen gefragt, wann sie sich erwachsen gefühlt haben:

"Als ich das erste Mal meine Schamhaare trimmte"

"Als ich meinen ersten richtigen Arbeitsvertrag unterschrieben habe und meinem Vater sagen konnte: 'Papa, du musst mir keinen Wohnungszuschuss mehr überweisen. Ich zahl jetzt selbst für mich.'"

"Ohne Eltern auf der Welt"

"Nach dem ersten Sex"

"Ich warte mit 31 immer noch und glaube, das mit dem Erwachsenwerden ist eine große Lüge."

"Noch nie und ich bin 24"

"Als ich mein Kind bekommen habe mit 31"

"Als ich zum ersten Mal nach einem langen Arbeitstag in die eigene Wohnung kam"

"Ich warte noch immer auf diesen Moment."

"Bei der ersten eigenen Wohnung mit eigener Küche"

"Wenn die Eltern einen nicht mehr mit dem Cousin verloben wollen"

"Schon früh, so mit 14. Seit ich regelmäßig mit dem Zug durch Deutschland und Europa reise"

Die Antworten zeigen, wie unterschiedlich Erwachsensein definiert wird.

Es gibt die eine Szene in der HBO-Serie Girls von Lena Dunham, die mir einfach nicht aus dem Kopf geht. Hannah trifft sich mit ihrem Vater in einem Restaurant zum Essen. Sie diskutieren über das Erwachsensein und Unabhängigkeit. Hannah betont, total erwachsen zu sein. Ihr Vater fragt sie, ob sie ihr Porte­mon­naie mitgebracht habe. Er sagt, nur wer zum Essen mit den Eltern sein eigenes Geld mitbringe, kann glaubhaft argumentieren, erwachsen zu sein. Sie hat ihr Porte­mon­naie natürlich nicht mit. Ich fühlte in der Szene mit Hannah mit. Sehnen wir uns nicht alle ab und an in unsere Rolle als Kind zurück?

Manchmal träume ich davon, dass es auffliegt, dass ich nur so tue, als wäre ich erwachsen und alle anderen sind es wirklich. Nicht nur darum nehme ich zum Essen mit den Eltern immer Geld mit.

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