Zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs sitzt eine Partei im Bundestag, die offen rassistisch aufritt. Wir glauben: Die AfD hat bereits die größtmögliche Bühne. Deshalb werden wir ihre Anträge, Redebeiträge und Personalien nun regelmäßig durchleuchten. In unserer Reihe "AfD-Watch" wollen wir herausfinden, wie die Partei den deutschen Regierungsalltag verändert. 

Noch vor wenigen Jahren hätte es niemand für möglich gehalten – doch seit September 2017 sitzt die AfD im Bundestag. 12,6 Prozent erreichte die rechtspopulistische Partei bei der Bundestagswahl. 82 Politiker und 10 Politikerinnen sitzen nun für die Partei im Parlament. Seitdem sind sie nicht mehr nur Außenseiter, die medienwirksam gegen das Establishment wettern – nein, inzwischen sitzen sie dort, wo tatsächlich Politik gemacht wird. Das heißt, die AfD kann wie die anderen Parteien Anfragen stellen, Gesetzentwürfe einbringen – und Ausschüsse leiten.

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Die Fraktionen haben sich in dieser Wahlperiode darauf geeinigt, die Zahl der Fraktionsvorsitze proportional zu verteilen. Das bedeutet, dass der AfD drei der Ausschussvorsitze zustehen. Am Mittwoch wurden die AfD-Vorsitzenden ins Amt gewählt. Was sind das für Leute, die von nun an einen so wichtigen Teil der fachlichen Arbeit im Prozess der Gesetzgebung leiten werden?

1. Stephan Brandner

Stephan Brandner leitet künftig den Rechtsausschuss. Er wurde mit 19 Ja-Stimmen, 12 Nein-Stimmen und 12 Enthaltungen ins Amt gewählt. Der 51-jährige Politiker saß zuvor drei Jahre lang für die AfD im Thüringer Landtag. Es heißt, er stehe dem Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke nahe. Höcke wird von mehreren Politolog*innen eine Nähe zum Rechtsextremismus nachgesagt. In seinen Reden sagt Höcke Dinge, wie: "Die Syrer, die zu uns kommen, haben immer noch Syrien. Wenn wir – durch die Syrer – unser Deutschland verloren haben, dann haben wir keine Heimat mehr."

Die Neue Osnabrücker Zeitung schrieb über Brandner, dass er "eine Art Berliner Vertreter für Höcke und den völkisch-nationalen Flügel" werden könne. Wie auch Höcke fiel Brandner in der Vergangenheit durch eine Rhetorik auf, die keine andere der etablierten Parteien verwendet – weder im Wahlkampf noch regulären Politbetrieb. Die ARD-Sendung Panorama sammelte kürzlich öffentliche Auftritte von Brandner, in denen er unverhohlen Kolleg*innen beleidigte.

So bezeichnete er Ralf Stegner, Stellvertretender SPD-Vorsitzender, im September 2017 als "Hackfresse der Nation". Bundesjustizminister Heiko Maas sei "Produkt zumindest politischer Inzucht im Saarland". Über Aktivist*innen der Antifa sagte er: "Man liest und hört ja, dass eure Eltern meist Geschwister waren. Und wenn ich mir das ein oder andere Gesicht genauer anschaue, dann habe ich fast den Eindruck, als wären die Haustiere auch nicht weit gewesen." 2016 flog Brandner aus dem Landtag, weil er wiederholt politische Gegner*innen unangemessen beleidigte. Er hatte beispielsweise die Grünen indirekt als "Kinderschänder" und "Kokser" bezeichnet.

Dieser Mann leitet von nun an den Rechtsausschuss der wichtigsten gesetzgebenden Institution Deutschlands, dem Bundestag.

2. Peter Boehringer

Es ist parlamentarische Tradition, dass ein Mitglied der stärksten Oppositionspartei den wichtigen Haushaltsausschuss führt. Stärkste Oppositionspartei ist die AfD und 

Peter Boehringer 

ist der Abgeordnete, der den Ausschuss künftig leiten wird. Boehringer, Absolvent der European Business School, wurde am Mittwoch mit den Stimmen von FDP und AfD gegen die Stimmen der Linkspartei

gewählt (Union, SPD und Grünen enthielten sich).

Als bekannt wurde, dass Boehringer für den Vorsitz des Haushaltsauschusses nominiert wurde, veröffentlichten der NDR und WDR Zitate aus dessen E-Mails, die ihnen zugespielt wurden. In einer Mail ging es um die Debatte über Schutzzonen für Frauen, die nach der Kölner Silvesternacht aufkam. Brandner schrieb, sogar der Mainstream finde nun die richtigen Worte zu diesem "völlig irren Gebaren des Staats, der vor dem ,kriminellen = koranhörigen = frauenverachtenden Macho-Mob der Surensöhne'" kapituliere. In einer anderen Mail bezeichnete er Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen ihrer Haltung in der Flüchtlingspolitik als "Merkelnutte". Boehringer bestätigte zwar, dass sich WDR und NDR auf eine von ihm verwendete Mail-Adresse beziehen, den Inhalt wollte er den Kolleg*innen allerdings so nicht bestätigen.

Laut WDR und NDR habe sich Boehringer wiederholt mit dem Islamhetzer und ehemaligen Deutschlandchef der Kleinpartei Die Freiheit, Michael Stürzenberger, solidarisiert. Stürzenberger gilt als zentrale Figur der islamfeindlichen Szene in Bayern. Boehringer selbst postet auf Facebook fleißig Dinge wie diesen Comic:

Oder er schreibt von der "irreversiblen Umvolkung in der BRD, das heißt des permanenten Austauschs des deutschen Staatsvolks durch zu 98 Prozent illegale Eindringlinge aus weitgehend muslimischen Herkunftsstaaten" und dass die "supranationalen Befehlen gehorchende BRD-Führungsclique inzwischen krimineller als die kommunistische [Führungsclique] der DDR" sei. ("Umvolkung" ist ein Begriff aus der rechten Rhetorik, der gerne von Rechtsextremist*innen und -populist*innen verwendet wird.)

Den Haushaltsausschuss im Bundestag leitet von nun an ein Mann, der gezielt gegen Menschen aus muslimisch geprägten Ländern hetzt und einen starken Hang zu Verschwörungstheorien hat.

3. Sebastian Münzenmaier

Stephan Münzenmaier wurde mit Stimmen von AfD und CDU/CSU und gegen die Stimmen der Linken zum Vorsitzenden des Tourismusauschusses gewählt (SPD und die Grünen enthielten sich).

Der 28-Jährige wurde kürzlich zu sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung verurteilt. Er soll bei einem Angriff von Mitgliedern der Ultra- und Hooliganszene des 1. FC Kaiserslautern auf gegnerische Fußballfans beteiligt gewesen sein. Münzenmaier bestreitet den Vorfall und hat Berufung eingelegt.

Den Tourismusausschuss leitet von nun an also ein Mann, der zumindest eine Nähe zur Hooliganszene hat.

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Hätten die anderen Parteien einen Vorsitz von AfD-Politikern verhindern können?

Theoretisch ja. Jedoch bestünde dabei die Gefahr, dass die AfD nach einem Vorsitz der anderen Ausschüsse greifen würde. Vermutlich weil Union und SPD dies verhindern wollten, haben sie sich bei der Wahl letztlich enthalten. Andere wiederum befürchteten, dass, sollte man die AfD dermaßen brüskieren, die Partei sich in einer Opferrolle einnisten würde. Die Linke stimmte als einzige gegen die drei Kandidaten. Die Begründung dafür lautete, dass die Linkspartei zwar nicht generell ablehne, dass die AfD die Vorsitzenden der drei Ausschüsse stelle, sie aber die drei vorgeschlagenen Kandidaten für ungeeignet halte.

Tatsächlich ist der Fakt, dass die drei Abgeordneten als Vorsitzende gewählt werden mussten, etwas, das es seit 61 Jahren nicht mehr gegeben hat. Gängige politische Praxis ist es eigentlich, dass die Vorsitzenden einvernehmlich ernannt werden. Diesmal stimmten jedoch alle Parteien mit Ausnahme der AfD dafür, über die Anwärter abzustimmen.

Warum haben die Parteien dennoch darauf bestanden über die Vorsitz-Anwärter abzustimmen? Beobachter*innen des Hauptstadtbetriebs werten diese Geste als eine Art gelbe Karte. Laut Angaben der SZ prüft die Unionsfraktion derzeit, wie ein Ausschussvorsitzender abzuwählen sei. Demnach sind die AfD-Abgeordneten gewissermaßen Vorsitzende auf Probe. Sie müssen beweisen, dass sie fähig sind, die Ausschüsse politisch neutral zu leiten. Ansonsten winkt womöglich schon bald eine rote Karte.