1,8 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Alkoholismus. Ein Medikament könnte ihnen dabei helfen, ihre Krankheit zu bekämpfen. Doch die Pharmaindustrie zeigt kein Interesse.

Das Medikament Baclofen bewirkt, dass alkoholkranke Menschen das übermächtige Lustgefühl nach Alkohol weniger stark empfinden. Betroffenen wird dadurch ermöglicht, alltägliche Situationen besser zu meistern, beispielsweise das Einkaufen im Supermarkt.

Doch in Deutschland ist Baclofen bisher nicht für die Behandlung von Alkoholismus zugelassen, berichtet die ARD-Sendung "Plusminus". Die Redaktion fragte bei Krankenkassen, Rentenversicherungen sowie beim Bundesgesundheitsministerium: Warum wird die Zulassung des Medikament nicht weiter gefördert? Da die Behandlung mit Baclofen deutlich günstiger und erfolgreicher sei als Verhaltenstherapien, müssten sowohl Krankenkassen als auch die Politik eigentlich ein Interesse an dessen Zulassung haben. Sie würden sich schließlich eine Menge Geld sparen.

Doch die einstimmige Antwort lautete: Man sei nicht zuständig für das Veranlassen von Studien. In Deutschland befasste sich bisher nur eine Studie der Charité an 22 Probanden mit der Wirksamkeit von Baclofen. Doch um Baclofen offiziell als Suchtbekämpfungsmittel zuzulassen, wären mehr Studien erforderlich. Und diese müssen erst einmal bezahlt werden. Für die Pharma-Industrie ist das Erstellen weiterer Studien uninteressant, da der Patentschutz auf Baclofen abgelaufen ist. Sprich: Es lässt sich nicht viel Geld damit verdienen.

50 Ärzt*innen behandeln Alkoholismus bereits mit Baclofen

Eigentlich wird Baclofen für die Behandlung von Multipler Skelerose eingesetzt. Obwohl es nicht offiziell als Medikament gegen Alkoholsucht zugelassen ist, behandeln in Deutschland etwa 50 Ärzt*innen Alkoholismus damit – jedoch auf eigene Gefahr. Die Ärztin Vera Schnell sagte der ARD: "Ich bin [...] dafür verantwortlich, dass das Produkt so eingenommen wird, wie es richtig ist. Wenn etwas schief geht, kann ich nicht sagen, dass die Pharma-Industrie daran vielleicht auch einen Anteil hat, sondern ich stehe ganz alleine mit dem Produkt da."

Tom Bschor, Gegner der Zulassung von Baclofen als Mittel gegen Alkoholismus, sagte der ARD: "Eine besondere Gefahr beim Einsatz von Baclofen ist, dass der Patient letztlich seine Suchtüberzeugung aufrecht erhält: Indem er nämlich denkt, jetzt gibt es ein Wundermittel, das alle meine Probleme löst, so wie es früher der Alkohol getan hat." Er plädiert weiterhin für die Behandlung durch Verhaltenstherapien – die jedoch sowohl teuer sind als auch hohe Rückfallquoten aufweisen.

Die beruhigende Wirkung des Medikament entdeckte der einst alkoholkranke Pariser Arzt Olivier Ameisen. Das Medikament wurde zuvor lediglich für die Behandlung von Multipler Sklerose oder Rückenmarkserkrankungen verwendet. Ameisen testete das Medikament in einem Selbstversuch – und ist seitdem clean. Baclofen ist in Frankreich inzwischen ein anerkanntes Medikament zur Bekämpfung der Sucht.