Sie agieren, um zu provozieren. Das haben sie auch dieses Mal geschafft. Das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) ist bekannt für seine provokativen Inszenierungen und Aktionen. 2014 montierten die Aktivist*innen aus Protest gegen die EU-Flüchtlingspolitik 14 Gedenkkreuze für Maueropfer am Spreeufer ab und brachten sie später wieder zurück. 2016 hielten sie über zwei Wochen vier lebende Tiger in einem großen Käfig vor dem Maxim-Gorki-Theater in Berlin und kündigten an, Geflüchtete zerfleischen lassen zu lassen, wenn die Bundesregierung einen bestimmten Einreise-Paragrafen im deutschen Aufenthaltsgesetz nicht streichen würde.

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch dieser Woche bauten sie 24 unterschiedlich große Betonstelen, die an das Holocaust-Mahnmal in Berlin-Mitte erinnern, auf das Nachbargrundstück des Thüringer AfD-Chefs und derzeit beurlaubten Gymnasiallehrers Björn Höcke. Anlass dafür war eine seiner Reden in Dresden, in der er das Mahnmal als "Denkmal der Schande" bezeichnet hatte.

Das ZPS mietete sich dafür laut eigenen Angaben bereits vor zehn Monaten auf dem Nachbargrundstück ein und observierte die Bewegungen rund um Höckes Haus. Seit dem Start ihrer Aktion hat sich viel getan: Es gab eine Demonstration der AfD-Anhängerschaft, welche sich für Björn Höcke aussprach. Auch die Polizei ist vor Ort. Das Video der ZPS wurde gelöscht und ihr Mietvertrag angeblich zum Jahresende gekündigt.

Wie ist diese Aktion einzuordnen? Berechtigter Protest, Kunst, Instrumentalisierung der Holocaust-Opfer oder Verletzung der Privatsphäre? Ein Überblick:

"Das ist eine wunderbare Idee"

Die Mitinitiatorin des Berliner Holocaust-Mahnmals Lea Rosh freut sich über den Nachbau des Mahnmals. "Das ist eine wunderbare Idee", äußert sich Rosh. Eine derartige Aktion so kurz vor der Weihnachtszeit sei eine "herrliche Bestrafung" für Höcke.

Die Mahnmal-Stiftung in Berlin sowie der Zentralrat der Juden in Deutschland selbst wollten sich zu der Aktion auf mediale Anfragen bisher nicht äußern.

"Gut gemeint, aber schlecht gemacht"

Die jüdische Landesgemeinde hingegen kritisierte die Aktion als "gut gemeint, aber schlecht gemacht". Der Gemeinde-Vorsitzende Reinhard Schramm sagte dem MDR, Familie und Privatleben des AfD-Politikers sollten Tabu bleiben. Er befürworte jedoch Proteste gegen Höcke, vor dessen Privathaus seien sie aber fehl am Platz.

"Nichts mit Kunst zu tun"

Der Präsident des Thüringer Landtags, Christian Carius (CDU), kritisierte die Aktion scharf: "Die Gesamtaktion des Zentrums für Politische Schönheit hat nichts mit Kunst zu tun", sagte er und vergleicht sie mit DDR-Schikanen: "Das Abhören und Ausspionieren von Abgeordneten und ihren Familien gleicht den Zersetzungsmethoden der Staatssicherheit."

Instrumentalisierung der Opfer

Journalist Hanning Voigts sieht in der Aktion eine Instrumentalisierung der Opfer des Holocausts, wie er auf Twitter schreibt: "Unpopuläre Meinung: Man sollte das Gedenken an die Opfer des Holocaust nicht für politische Spielchen instrumentalisieren. Auch nicht, wenn es gegen Höcke geht."

No-Go: das Antasten der Familie

Auch die Wiener Journalistin Nina Horaczek sieht eine Grenzüberschreitung in der Aktion, wie sie auf Twitter erklärt: "Halte es auch für No-Go, vor Privathaus eines Politikers zu demonstrieren, egal von welcher Partei." Sie betont, dass Höckes Kinder ein Recht auf Privatsphäre haben und dass derartige Aktionen nur den Opfermythos, von dem Parteien wie die AfD leben, verstärken würden.

Mahnmal dazu da, um Aufmerksamkeit zu erzeugen

Twitter-User Andreas Kemper sieht hingegen genau darin die Aufgabe eines Mahnmals: "Ein Mahnmal soll mahnen. Das Holocaust-Mahnmal wird nicht instrumentalisiert, wenn es genutzt wird, auf die Nazi-Verstrickungen von #Höcke aufmerksam zu machen. Es ermahnt zu antifaschistischer Aufmerksamkeit, um die es in Deutschland leider schlecht bestellt ist."

Höcke braucht Mahnmal am dringendsten

Der in Deutschland lebende israelische Künstler und Satiriker Shahak Shapira schreibt dazu auf Twitter : "Meine Freunde von @politicalbeauty haben dem Bernd Höcke ein Holocaustmahnmal direkt vor die Tür gebaut. Er braucht es auch am dringendsten" und scherzt: "Es gibt auch ein von mir gesprochenes Audio-Walk, welches man sich für viel zu viel Geld hier holen kann."

Aktionen immer einen Schritt zu weit

ZPS gehe immer einen Schritt zu weit, meint Jan Petter in einem Kommentar für bento: "Dieses Mal wollen die Aktivisten pikante Details aus Höckes Leben preisgeben, falls dieser sich nicht durch einen Kniefall vor dem Mahnmal läutert. Zur Erpressung kommt Überwachung: Die Aktivisten haben Kameras auf Höckes Haus gerichtet, von denen keiner so richtig weiß, ob sie eigentlich echt sind. Aus Sicht des Betroffenen dürfte das allerdings egal sein, die glaubhafte Drohung ist das, was zählt. Wie rechtfertigen die Aktivisten das? ,Gegen Nazis wenden wir Nazimethoden an', sagen sie. Das sagt sich leicht, denn die Aktion richtet sich gegen Björn Höcke. Wenn jemand so etwas verdient hat, dann er, sagen viele. Aber Tatsache ist: Würden diese Methoden gegen linke Aktivisten angewendet, fände das plötzlich niemand mehr lustig. Zu Recht."

Legalität der Aktion fraglich

Ob sich die Protestaktion innerhalb der legalen Grenzen abspielte oder es zu straf- und ordnungsrechtlichen Konsequenzen kommen wird, prüft derzeit die Polizei. Polizeisprecherin Fränze Töpfer zufolge werde unter anderem nachgeprüft, ob sich das ZPS der Nachstellung strafbar gemacht habe. Am Nachmittag sei laut Töpfer zudem eine Drohne vom Zentrum für politische Schönheit eingesetzt worden – auch hier werde nun geprüft, ob das rechtlich in Ordnung war.

Meinungen zu der Protestaktion gibt es unzählige. Tatsächlich wirft die Aktion einige interessante Fragen auf, welche unsere Gesellschaft dringend diskutieren sollte: Wie wollen wir mit rechten Politiker*innen umgehen? Wie weit darf man dabei gehen und wo liegen die Grenzen? Und vor allem: Welche Aktionen machen auf rassistische Politik aufmerksam, ohne dabei dem Populismus in die Hände zu spielen?