In dem kleinen niedersächsischen Dorf Eime kennt man die Radtkes gut: Beide Frauen sind evangelische Pastorinnen. Steffi direkt in Eime, Ellen als Vertretung in den umliegenden Gemeinden. Vor dreieinhalb Jahren zog das Paar von Berlin in die Provinz. Als lesbische Gottesfrauen gar nicht so einfach, muss in Niedersachsen doch erst mal die Gemeinde zustimmen, dass sie mit homosexuellen Pastorinnen einverstanden ist. Die Eime*rinnen haben sich für die beiden 35 Jahre alten Frauen entschieden. Trotzdem wurden sie vor allem anfangs neugierig beäugt.

Für die Frauen, die seit sieben Jahren verheiratet und seit elf Jahren verliebt sind, war deshalb klar: Keine Angriffsfläche bieten. "Wenn wir unseren Job schlecht machen, dann wird es heißen, das wäre so, weil wir lesbisch sind – das hat uns motiviert, es allen zu beweisen", sagt Ellen.  Die Strategie geht auf: Vor allem bei den älteren Dorfbewohner*innen seien die zwei sehr beliebt. Gegenwind gebe es eher von Leuten in den Fünfzigern. Kommt es doch mal zu Lästereien, würden die Ältesten im Dorf mit ihrer Begeisterung für die Radtkes dagegensteuern.

Homosexualität und Glaube – Aufklärung auf Instagram und YouTube

Mehr arbeiten und bloß nicht auffallen, um sich zu beweisen, ist das Schicksal vieler marginalisierter Personen. Um zu zeigen, dass ihre offene Art im Dörfchen Eime gut funktioniert, starteten die beiden ihren Account Anders Amen. Seit Anfang des Jahres teilen sie auf YouTube und Instagram ihre Erfahrungen rund um die Themen Dorfleben, Kirche und Queerness. Hier sprechen sie über ihre eigenen Coming-outs, über die stark in der Kritik stehenden "Homoheilungen" oder teilen intime Momente, wie den Besuch einer Kinderwunschbehandlung.

Als sie bekannt gaben, dass Ellen schwanger sei, hätte es in Eime erst mal Gerüchte gegeben. Eine Frau im Kirchenvorstand wäre gefragt worden, ob Ellen jetzt doch mit einem Typ ins Bett gestiegen sei. "Wir nehmen mit mehr Transparenz durch Amen Anders Gerüchte und Mauscheleien vorweg", sagt Steffi.

Der Kanal hat mehr Erfolg, als das Ehepaar anfangs erwartete. Einer der Gründe dafür sehen sie in dem engen Kontakt zu ihrer Community – on- und offline. Denn auch die Jugendgruppen seien gut besucht. Da würde man nicht nur Bibel lesen, sondern über Gefühle und Bedürfnisse der Teenager reden.

Zuschriften kommen von vielen Seiten: Paare mit unerfülltem Kinderwunsch, queere christliche Jugendliche oder deren Eltern schreiben E-Mails an die Pastorinnen. Die Radtkes haben den Anspruch, allen zu antworten: Wir wissen, welche Videos etwas auslösen, diese Videos senden wir nur, wenn wir die Tage danach auch Kapazitäten haben, um zu antworten", sagt Ellen. Was früher der anonyme Beichtstuhl gewesen sei, schaffe jetzt das Netz. Polyamorie und Ehe – passt das zusammen? Adoption oder künstliche Befruchtung? Oder wie wörtlich sollte die Bibel eigentlich genommen werden? In den Kommentaren wird die Zuneigung der Community gegenüber dem Ehepaar schnell sichtbar. Sie fiebern mit, freuen sich über News über die Schwangerschaft und diskutieren die besprochenen Themen weiter.

Hasskommentare aus konservativ-evangelikalen Kreisen

Mit ihrer progressiven Einstellung stoßen Ellen und Steffi allerdings nicht nur auf Befürworter*innen: "Fahrt zur Hölle" ist in den Kommentaren auch zu lesen, oder "Hoffentlich erkennt ihr noch, dass ihr nicht so lebt, wie Gott es will." "Die Hasskommentare langweilen uns inzwischen", sagt Steffi. Allerdings kamen aus evangelikalen Kreisen auch Kommentare zu ihrem ungeborenen Baby. Die Hater*innen würden hoffen, dass das Kind als Strafe Gottes mit mehrfacher Behinderung auf die Welt käme: "Das hat uns echt schlucken lassen. Dieses Gefühl, dass andere unserem ungeborenen kleinen Wunder so etwas wünschen, ist einfach grausam", sagt Ellen.

Neben den Beschimpfungen online gäbe es auch Pastoren der Nachbardörfer, die das Angebot der Urlaubsvertretung durch Ellen und Steffi schnell abwinken würden. Sie hätten da schon jemand anderes. Nur wenn genau diese Pastoren mal ein Homoehepaar trauen sollen, greifen sie gerne auf die Radtkes zurück.

"Kirche lebt von einer 70er-Jahre-Strickdeckenästhetik", sagt Ellen. Aber sie sieht Potenzial, auch eine modernere Seite zu zeigen: Die Seite, auf der ein lebenslustiges, queeres Ehepaar als Pastorinnen arbeitet, künstliche Befruchtung in Ordnung ist, Seelsorge auch über soziale Netzwerke laufen kann und Ehe und Polyamorie sich nicht zwangsläufig ausschließen.