Berlin befindet sich gerade mitten in der politischen Sommerpause. Bedeutet: SPD-Chefin Andrea Nahles könnte entspannt die Füße in die Sonne halten. Angesichts der nahenden bayerischen Landtagswahl und der niedrigen Umfragewerte der Bayern-SPD (zwölf Prozent) ist es aber vielleicht besser, dass sie auf die Sommerbräune verzichtet und die SPD mit polarisierenden Ankündigungen in die Schlagzeilen hieft.

Am Samstag sagte Nahles Zeitungen der Funke Mediengruppe, dass Leistungskürzungen für jüngere Hartz-IV-Empfänger*innen abgeschafft werden sollten. Diese Ankündigung ist längst überfällig. Die derzeitige Sanktionspolitik diskriminiert nicht nur junge Hartz-IV-Empfänger*innen, sondern kann diese auch in die vollständige gesellschaftliche Isolation drängen – mit wenig Hoffnung auf Rückkehr.

Unter 25-Jährige werden härter sanktioniert als Ältere

Das Arbeitslosengeld II, umgangssprachlich Hartz-IV genannt, ist eine Grundsicherungsleistung für Menschen, die vom Staat als erwerbsfähig eingestuft werden, sich aber aufgrund von Arbeitslosigkeit in einer finanziellen Notsituation befinden. Es soll ihnen ein Leben in Würde ermöglichen, wird aber nicht bedingungslos gezahlt. Der Grundsatz lautet: fördern und fordern. Die Menschen bekommen Unterstützung vom Staat, müssen aber im Gegenzug dazu beitragen, möglichst schnell wieder finanziell unabhängig zu werden. Wer nicht in diesem Sinne kooperiert, dem*der wird die Unterstützung gekürzt.Was sind solche Handlungen, die zu Kürzungen führen können? Zum Beispiel das unentschuldigte Versäumen eines Termins im Jobcenter – das kann Arbeitslose vorübergehend zehn Prozent der Leistungen kosten. Wer einen laut Jobcenter zumutbaren Job ablehnt oder eine Bildungsmaßnahme abbricht, begeht eine Pflichtverletzung. Dann können 30 Prozent der Grundsicherung gestrichen werden. Wer zum dritten Mal eine solche Pflichtverletzung begeht, dem*der kann bis zu 100 Prozent der Leistungen gekürzt werden – inklusive der Kosten der Unterkunft. Das sind die Regeln für Hartz-IV-Empfänger*innen, die älter als 25 Jahre alt sind.

Bei Hartz-IV-Empfänger*innen, die jünger als 25 Jahre alt sind, sind diese Sanktionen drastischer. Schon bei der ersten Pflichtverletzung kann ihnen bis zu 100 Prozent der Leistungen, mit Ausnahme der Kosten für Unterkunft, gekürzt werden. Bei einer wiederholten Verletzung auch diese.

Die schärferen Sanktionen wurden vom Gesetzgeber eingeführt, um zu verhindern, dass Hartz-IV für junge Menschen zum Dauerzustand wird. Sie sollen durch die harte Sanktionspolitik möglichst schnell in die Arbeitswelt eingegliedert werden. Dieser Gedanke mag vielleicht grundsätzlich lobenswert sein. Die härteren Sanktionen für junge Hartz-IV-Emfänger*innen sollten aber aus drei Gründen abgeschafft werden:

1. Sie sind diskriminierend

Jüngere Hartz-IV-Empfänger*innen werden von dem bestehenden Gesetz diskriminierend. Das denken zumindest viele Jurist*innen. Das Bundesverfassungsgericht prüft derzeit, inwieweit diese Praxis mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes vereinbar ist. Es wird eine Entscheidung noch für das Jahr 2018 angestrebt, so ein Sprecher.

2. Die Effizienz der härteren Sanktionen ist nicht bewiesen

Die derzeitigen Regelungen sind nicht nur möglicherweise verfassungswidrig – es ist noch nicht mal erwiesen, dass sie auch ihren Zweck erfüllen. Professor Hilmar Schneider, Vorsitzender der Geschäftsführung des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit, sagte dem Deutschlandfunk: "Ob das jetzt bei Jugendlichen sinnvoll ist oder nicht, dazu gibt es interessanterweise gar keine wissenschaftlichen Untersuchungen. Das ist damals wohl aus der Erfahrung von Praktikern so entschieden worden, aber bis heute weiß man nicht, ob Sanktionen bei Jugendlichen einen stärkeren Effekt haben als bei Älteren. Ob sie bei Jugendlichen überhaupt eher gerechtfertigt sind als bei Älteren, darüber gibt es keine Untersuchungen."

3. Die Sanktionspraxis drängt Menschen ins gesellschaftliche Abseits

Davon abgesehen, dass man infrage stellen kann, inwieweit junge Menschen nun härter oder gleichhart wie ältere Hartz-IV-Empfangende sanktioniert werden sollten, kann man die Sanktionspolitik auch ganz grundsätzlich infrage stellen.

Die Kürzung sämtlicher Leistungen inklusive des Wohngeldes bewirkt im Extremfall, dass Menschen ihr Zuhause verlieren, auf der Straße landen. Es droht die vollständige gesellschaftliche Isolation – aus der Menschen nur noch schwer herauszuholen sind, unabhängig davon, wie alt sie sind. Schon die Androhung existenzbedrohender Sanktionen hat negative Auswirkungen. "Drohende Wohnungslosigkeit hilft uns bei der Vermittlung und auch sonst nicht weiter", sagte der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, der Süddeutschen Zeitung. Bearbeiter*innen beobachten immer wieder die lähmende Wirkung, die die Sanktionspolitik bei Betroffenen auslöst.

Sanktionen triggern keine positiven Anreize, im Gegenteil, häufig blockieren sie, flößen Ängste ein, die im schlimmsten Fall lähmen und dazu führen, dass sich Menschen ganz von den Jobcentern zurückziehen – und ins gesellschaftliche Abseits gleiten.

Andrea Nahles Vorschlag, Sanktionen für unter 25-Jährige Hartz-IV-Empfänger*innen abzuschaffen, ist der erste Schritt in Richtung einer Sozialpolitik, die die Existenzgrundlage aller Menschen sichert. Statt ein Leben in Menschenwürde an leistungsorientierte Bedingungen zu knüpfen, wie es CDU und CSU fordern, sollte darüber nachgedacht werden, wie es bedingungslos garantiert werden kann. Konzepte dazu gibt es. Eines heißt beispielsweise sanktionsfreies Hartz IV – oder auch: bedingungsloses Grundeinkommen.