Nach 13 Jahren scheint die Kanzlerschaft Angela Merkels am Tiefpunkt angelangt zu sein – zumindest, wenn man ihren Kritiker*innen glaubt. Die Kanzlerin müsse weg, sie habe versagt und sei gescheitert, heißt es längst nicht mehr nur bei Rechtspopulist*innen.

Man könnte meinen, dass es nicht nur die politische Opposition im Bundestag ist, die die Kanzlerin aus dem Weg räumen möchte. Ein Blick auf die deutsche Medienlandschaft verrät, dass auch einige Journalist*innen verstärkt gegen Merkel agitieren. Die Berliner Zeitung schrieb, dass es keinen ehrenhaften Abgang für die Kanzlerin mehr geben könne. Die Bild schreibt über mögliche Nachfolger*innen.

Dabei lohnt es sich, den Blick auch einmal auf die zu richten, die von einem Wechsel an der Spitze Deutschlands wohl am meisten persönlich betroffen wären: Die etwa 18 Millionen jungen Menschen, die mit Merkel als Kanzlerin groß geworden sind. Ich gehöre zu ihnen. Und ich bin der Meinung: Es bedeutet durchaus etwas, als Millenial in der Ära Merkel aufgewachsen zu sein.

Sie erinnerte mich daran, dass eine Frau Bundeskanzlerin werden kann

Ich habe früher nie näher über die Kanzlerschaft Merkels nachgedacht. Als Schülerin konnte ich nur wenig Interesse für Politik aufbringen. Als ich allerdings mit 14 an einer Führung durch den Reichstag teilgenommen habe, hat sich mein Bild von der Kanzlerin und der Politik geändert.

Es war am Ende unserer Führung durch das politische Berlin, auf der sonnigen Dachterrasse des Reichstagsgebäudes, als ein Abgeordneter sein Wort abschließend an mich richtete. Er sagte mir mit einem Blick auf das Bundeskanzleramt, dass dort mein zukünftiger Arbeitsplatz auf mich wartet. Es war witzig gemeint. Doch in diesem Moment wurde mir klar, dass eine Frau ja tatsächlich Bundeskanzlerin werden konnte. Mir wurde bewusst, dass in einer Welt, die immer noch voll von Benachteiligungen von Frauen ist, eine 51-jährige promovierte Physikerin das höchste politische Amt Deutschlands wahrnehmen konnte und somit die Weichen für Generationen von Frauen stellen sollte. Das war 2014.

Heute, im Jahr 2018, bin ich 19 und sehr interessiert an Politik. Ich bin sogar so interessiert, dass ich ein Praktikum im Deutschen Bundestag gemacht habe und Politik studiere. Und obwohl ich in den letzten Jahren feststellen konnte, dass meine Positionen zur Ehe für alle, Digitalisierung und der Energiewende von denen der Kanzlerin zunehmend abweichen, habe ich immer den größten Respekt für ihre Arbeit gehabt.

Durch Merkel möchte ich die Zukunft Deutschlands mitgestalten

So beunruhigend der Gedanke auch ist, dass nur so wenige Personen die gesamte unterrepräsentierte Gruppe der Frauen in der internationalen Politik vertreten sollen, hat Merkel in den letzten 13 Jahren genau das getan. Sie hat mit ihren innenpolitischen Erfolgen und diplomatischen Errungenschaften auch den hartnäckigsten Sexisten bewiesen, wie kompetent und sachlich Frauen Politik gestalten können.

Eine repräsentative Umfrage der Welt am Sonntag zeigt, dass Merkel die Person in Gegenwart und Geschichte Deutschlands ist, auf welche die meisten Menschen in Deutschland stolz sind. Das heißt nicht, dass alle mit ihrer Politik einverstanden oder zufrieden sind. Es beweist allerdings, dass Merkel schon zu Lebzeiten ein Vermächtnis geschaffen hat, auf das viele Bürger*innen stolz sind.

Mir geht es auch so. Angela Merkel macht auch mich stolz. Stolz darauf, in einer Zeit politischer Stabilität aufgewachsen zu sein. Stolz darauf, in einem Land aufzuwachsen, das mir eine fundierte Bildung gegeben hat und gute Startchancen für meine Zukunft. Stolz darauf, dass ich Hoffnung auf eine Zukunft von Gleichberechtigung haben kann, für welche die Bundeskanzlerin als erste Frau in diesem Amt zu großen Teilen verantwortlich ist.

Merkel hat mir die Welt der Politik eröffnet – und den Mut gegeben, sie in Zukunft aktiv mitzugestalten.