Über Dinge, die im Jurastudium gelehrt werden, wurde viel geschrieben. Über Dinge, die dringend gelehrt werden müssten, wenig. Der Umgang mit Menschen generell und konkret in psychischen Ausnahmesituationen gehört definitiv dazu. Nicht anders ist zu erklären, dass es immer noch Richter*innen gibt, die Betroffene von Straftaten fragen, wie sie es denn so weit haben kommen lassen können.

Auch ich habe in Strafprozessen als Nebenklagevertreterin schon solch erniedrigende Situationen erlebt. Einer Mandantin nach so einer Verhandlung zumindest ein wenig das Vertrauen in den Rechtsstaat zurückzugeben und ihr Mut zuzusprechen, ist eine enorme Aufgabe. In vielen Rechtsgebieten, aber besonders im Straf- und Familienrecht haben wir es mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen zu tun. Das Studium der Rechtswissenschaften bereit darauf nicht vor. Durch den enormen Erfolgsdruck, die relativ hohen Durchfallquoten und die gängigen Schauermärchen, man würde mit einem schlechten Abschluss sowieso nur Taxi fahren können, mag bei angehenden Jurist*innen vieles gefördert werden, aber nicht der empathische Umgang miteinander. Die erforderlichen Soft Skills nimmt man weder im noch neben dem Studium einfach so mit.

Mangelnde Reflexion und Aufarbeitung führen nicht nur zu qualitativ schlechterer Arbeit, sondern auch zu ernsthaften gesundheitlichen Komplikationen.

Dabei kann das Wissen um den Umgang mit Menschen in Extremsituationen nicht nur diesen, sondern auch einer*m selbst helfen. Viele meiner Fälle hängen mir lange nach und ich weiß, dass es den meisten Kolleg*innen auch so geht. Oft frage ich mich, was ich rein fachlich hätte besser machen können, also ob eine andere Strategie erfolgreicher gewesen wäre oder ob ich einen wichtigen Punkt oder ein neues Urteil übersehen habe. Ich mache mir aber auch Gedanken darüber, ob meine Mandant*innen mit meiner Hilfe mit dem Fall abschließen konnten oder ich vielleicht auch einen gewissen persönlichen Fortschritt anstoßen konnte, wenn ich auf der Seite der Angeklagten tätig bin.

Nicht vorhandene Fehlerkultur in juristischen Berufen als Bremsklotz des Fortschritts

Natürlich gibt es den Austausch unter Kolleg*innen, sei es auf Twitter, in extra dafür eingerichteten Facebookgruppen oder bei Netzwerktreffen. Dieser ist aber sehr unregelmäßig und bleibt oft oberflächlich. Auch von meinen Freund*innen bei Gericht und Staatsanwält*innenschaft höre ich, dass die Reflexion über die eigene Arbeit viel zu kurz kommt. Dies liegt meiner Meinung nach vor allem daran, dass es in juristischen Berufen so gut wie keine Fehlerkultur gibt. Offiziell werden keine Fehler gemacht und wenn sie sich nicht mehr vertuschen lassen, darf man sie keinesfalls aufarbeiten, sondern muss versuchen, die Schuld möglichst einer anderen Person in die Schuhe zu schieben. Im Hinblick auf die massiven Haftungsrisiken gerade im Anwält*innenberuf ist dieses Vorgehen vielleicht auf den ersten Blick verständlich, hindert aber eine ganze Branche am Fortschritt.

Doch mangelnde Reflexion und Aufarbeitung führen nicht nur zu qualitativ schlechterer Arbeit, sondern auch zu ernsthaften gesundheitlichen Komplikationen. Leider müssen Betroffene auch oft die Erfahrung machen, dass sie innerhalb ihrer Behörde oder im Kolleg*innenkreis nicht ernst genommen werden, wenn sie auf psychische Probleme im Zusammenhang mit ihrer oftmals belastenden Arbeit hinweisen. Psychische Leiden sind immer noch ein Tabuthema, auch das muss sich dringend ändern.

Abhilfe schaffen könnte die Supervision. Durch einen Vortrag einer Kollegin, die sich in diesem Bereich fortgebildet hat und durch diverse Presseartikel hörte ich im vergangenen Jahr zum ersten Mal davon und habe mir danach sehnlichst gewünscht, dass Supervision in juristischen Berufen schon längst Standard wäre.

Was ist Supervision?

Insbesondere in therapeutischen Berufen ist Supervision die Norm. Kein*e Psychotherapeut*in würde vermutlich darauf verzichten wollten, in der Ausbildung ist sie sogar zwingend vorgeschrieben. In vielen sozialen Berufen hat sich die Supervision schon bewährt, sie wird aber auch von Ehrenamtler*innen, zum Beispiel in der Straffälligenhilfe genutzt. Auch erste Versuche der Justiz Rheinland-Pfalz zeigen positive Auswirkungen. Alle Arten der Supervision haben gemein, dass man im Gespräch durch neue Impulse eine andere Sicht auf seine Arbeit bekommt und seine beruflichen Handlungen reflektieren kann. Ich halte eine Kombination aus zwei Supervisionsarten für juristische Berufe für höchst gewinnbringend. Sie könnte aus kollegialer Fallsupervision bestehen. Das ist eine Gesprächsrunde mit Kolleg*innen, die ähnliche Fälle im Berufsalltag bereits erlebt haben. Zusätzlich wäre eine Einzelsupervision sinnvoll. Hier handelt es sich um ein Gespräch mit ausgebildeten Therapeut*innen. So bekommt man von Kolleg*innen neuen fachlichen Input, kann von anderen Sichtweisen auf die eigenen Fälle profitieren und wird durch die psychologische Betreuung sicher im Umgang mit und der Nachbereitung von Extremsituationen.

Dass sich die Juristerei auch hier aber größtenteils erneut wenig innovationsfreudig und fortschrittlich zeigt, geht zu Lasten der psychischen Gesundheit aller Beteiligten und natürlich leidet auch die Qualität der Arbeit darunter. Den richtigen Umgang mit eigenen und fremden Emotionen kann und sollten wir aber lernen. Ein bekannter Strafverteidiger sagte mir nicht umsonst einmal, dass unsere Arbeit zu 80 bis 90 Prozent Psychologie ist und es nur beim verbleibenden Rest um juristische Finesse geht. Wahrscheinlich hat er damit auch oft Recht.

Natürlich ist die Supervision kein Allheilmittel, gute Fort- und Weiterbildungen, insbesondere für Richter*innen sind unerlässlich. Sie können aber durch die Supervision unterstützt werden. Davon würden nicht nur Jurist*innen profitieren, sondern am Ende ganz sicher auch die Mandant*innen.