Mehr Gehalt? Hätten wir alle gerne. Wer ein symmetrisches Gesicht, glatte Haut und einen wohlgeformten Körper besitzt, hat gute Karten, denn schönere Menschen erhalten im Schnitt mehr Lohn als mittelmäßig aussehende und werden seltener gefeuert.

Der Grund: Wenn wir eine positive Eigenschaft an einer Person beobachten, nehmen wir an, dass sie weitere positive Eigenschaften haben muss. Wie wir diese falsche Logik durchbrechen können, erklärt der Soziologe Ulrich Rosar, der Aussehen und Leistung von Profi-Fußballern untersucht hat.
ze.tt: Herr Rosar, kann jemand zu schön sein?

Ulrich Rosar: Ja, tatsächlich. Extrem schönen Menschen werden negative Eigenschaften zugeschrieben. Zum Beispiel, dass sie narzisstisch und ich-bezogen seien. Und besonders schöne Menschen erfahren auch konkrete Nachteile, da sich ihr Umfeld in ihrer Gegenwart befangen fühlt. Solche Hyperattraktiven sind aber sehr, sehr selten. Das trifft wirklich nur auf einen ganz kleinen Kreis zu. Sehr schöne Frauen haben dabei allerdings die meisten Nachteile.
Warum gerade die Frauen?

Das liegt am Beauty-is-beastly-Effekt. Attraktivität hat viel mit dem Geschlecht zu tun. Je besser wir aussehen, desto stärker werden uns auch geschlechtsbezogene Stereotype zugeschrieben. Schönere Frauen werden im Unterschied zu durchschnittlich attraktiven Frauen beispielsweise als rücksichtsvoller und einfühlsamer eingeschätzt. Je schöner Männer sind, als desto kämpferischer, willensstärker und aggressiver gelten sie. Von Führungskräften wird Willensstärke und Autorität erwartet, deshalb haben gut aussehende Männer hier systematisch einen Vorteil. Das funktioniert in beide Richtungen.

In einem Kindergarten, also einem weiblich konnotierten Berufsumfeld, haben Erzieherinnen gegenüber Erziehern einen Vorteil. Da die meisten Berufe aber männlich konnotiert sind, haben insgesamt gesehen Frauen stärkere Nachteile.
Schönheit unterliegt Trends – wandelt sich auch Attraktivität?

Es gibt einzelne Kriterien, die sich verändern. Wer schlank ist, gilt heute als schön – das liegt an unserer Überflussgesellschaft. Sogenannte Rubensfrauen mit fülligen Körpern waren im 17. Jahrhundert in, als die Mehrheit der Menschen eher unterernährt war.

Faktoren, die sich wandeln, machen aber nur 15 bis 25 Prozent der Attraktivitätskritierien aus. 75 Prozent der Kriterien bleiben über Epochen und im Kulturvergleich gleichermaßen relevant: Körperliche Merkmale, die für Gesundheit, Jugendlichkeit und Fitness stehen, gelten immer als schön, das wird sich auch nicht ändern.
Manche würden sagen: Das Äußere nehmen wir als Erstes wahr, also beurteilen wir zuerst danach.

Natürlich spielt Schönheit zum Beispiel bei der Partnerwahl eine große Rolle, das ist evolutionsbiologisch bedingt. Viele Merkmale, nach denen wir Attraktivität bewerten, gehen auf die Fortpflanzungsvorteile zurück: Sie indizieren reproduktiven Erfolg.

Den meisten ist aber wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass sie über die Partnerwahl hinaus auch im Beruf nach Schönheit statt nach Eignung entscheiden."

Das Ganze passiert unterbewusst innerhalb von Millisekunden: Wir nehmen schöne Menschen stärker wahr, merken uns eher, was sie sagen und bevorzugen sie. Das heißt, statt der Besten kommen laufend die Schönsten zum Zug, was gar nichts mit der beruflichen Tätigkeit zu tun hat. Sensibilisierung ist da ganz wichtig – dass wir uns selbst dessen erst einmal bewusst werden. Diese Diskriminierung ist die am weitesten verbreitete. Wie einzelne Studien zeigen, kann sie noch stärker wirken als die Diskriminierung nach Ethnie oder Geschlecht – und gegen jede Form der Diskriminierung sollten wir etwas tun.
Was können wir gegen diese Denkfehler tun?

Wir sollten nicht spontan entscheiden, weil wir dann intuitiv unsere Wahl nach Schönheit treffen. Wir könnten anderen öfter mit geschlossenen Augen zuhören, um uns auf das Gesagte statt auf das Erscheinungsbild zu konzentrieren. Weil wir schöneren Menschen viel stärker zuhören, uns mehr merken, was sie sagen und das Ganze positiver abspeichern, müssen wir zu anderen Mitteln greifen, um den Kreislauf zu durchbrechen. Bei Besprechungen oder Diskussionsrunden sollten wir das Gesprochene schriftlich festhalten, damit wir uns danach in Erinnerung rufen, wer was gesagt hat und genau darauf achten können, nach dem Inhalt zu urteilen. Das ist eine Sisyphusarbeit, aber wir müssen uns immer wieder selbst hinterfragen.
Und was kann man tun, wenn man vermeintlich hässlich ist?

Wirklich hässlich ist niemand. Operativ nachzuhelfen ist aber möglich: Segelohren operieren zu lassen oder die Zähne zu verschönern, das sind gängige und gesellschaftlich akzeptierte Mittel. Und solche Eingriffe sind auch besser, als dauerhaft unter einem Makel zu leiden. Frauen könnten durch Schminke zum Beispiel schlechte Haut kaschieren. Natürlich hilft es auch, sich gesund zu ernähren, Sport zu treiben und sich zu pflegen.
Brauchen wir vielleicht nicht eher mehr Mut zur Hässlichkeit?

Ich bewundere, wer sich gegen den Schönheitszwang auflehnt.

Aber ich befürchte, der Druck schön zu sein, ist zu groß, und dass es bei Einzelnen bleibt, die sich gegen Schönheitsideale aussprechen.

Kampagnen gegen eine negative Darstellung von Normal- und Übergewicht vermitteln aber zumindest, dass es nicht Standard und auch nicht gesund ist, hyperdünn zu sein.
Würde es nicht helfen, wenn es mehr Durchschnittsmodels gäbe?

Da bin ich geteilter Meinung. Auf der einen Seite stimmt es, dass das Schönheitsideal verzerrt wird. Medien suggerieren, dass der Durchschnitt ein anderer wäre, wenn wir überall schöne Models und Schauspieler sehen.

Auf der anderen Seite gibt es Situationen, in denen Attraktivität einen legitimen Vorteil darstellt. Wir sehen uns einfach lieber schönere Menschen an, deshalb hat es seine Berechtigung, wenn beispielsweise TV-Moderatorinnen oder Schauspieler schöner als der Bevölkerungsdurchschnitt sind. Wir würden den Wettbewerb verzerren, würden wir da eingreifen.
In einer Studie haben Sie herausgefunden, dass unattraktivere Fußballspieler tendenziell besser spielen als schöne.

Unsere Vermutung, dass unattraktive Menschen mehr leisten, hat sich bestätigt. Wir gehen davon aus, dass weniger attraktive Personen spüren, dass sie mehr leisten müssen, um die gleichen Ziele erreichen zu können wie schöne Mitmenschen. Dadurch erweitern sie natürlich ihre Kompetenz.

Wir gehen davon aus, dass das auch in anderen Kontexten zutrifft, suchen aber noch nach Möglichkeiten, wie wir das überprüfen können. Bei Fußballern ließ sich das gut analysieren, da ihre Leistung sich anhand eines anerkannten Punktesystems gut messen lässt. Dabei erhalten beispielsweise Stürmer, die Tore aus schwierigen Positionen erzielen, genauso viele Punkte wie Verteidiger, die einen wichtigen Zweikampf gewinnen. In anderen Bereichen ist das extrem schwierig zu untersuchen, da ja üblicherweise schon die Leistungsermittlung zu Gunsten der Attraktiven verzerrt ist.
Was muss sich gesellschaftlich ändern, um diese Art der Diskriminierung zu vermeiden?

Wir brauchen in der Arbeitswelt dringend andere Bewerbungsverfahren. Schon beim Bewerbungsbild wird nach Schönheit ausgewählt, das heißt, kompetente Bewerber werden womöglich noch nicht einmal zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Und bereits in der Schule greift der Mechanismus. Attraktivere bekommen bessere Schulnoten, wodurch das Aussehen bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt mit über die Lebenschancen eines Menschen entscheidet.

Auf jeden Fall bräuchten wir anonyme Bewerbungsverfahren, was in anderen Ländern bereits gängige Praxis ist."

Spätestens im Bewerbungsgespräch ist man allerdings nicht mehr anonym.

Bei Bewerbungsgesprächen sollten wir vorher schriftlich ganz genau festhalten, nach welchen Kriterien wir entscheiden und allen Bewerbern der Vergleichbarkeit wegen die gleichen Fragen stellen. Während des Gesprächs sollte protokolliert werden, damit wir uns nach dem Gespräch objektiv in Erinnerung rufen können, wer inhaltlich mehr gepunktet hat. Personalentscheidungen sollten auch nie von Einzelpersonen gefällt werden, sondern von mehreren Personen mit verschiedenen Ansichten. Das ist zwar alles sehr aufwändig, aber wichtig, damit wir so wenig wie möglich diskriminieren.
Sollte gesetzlich verankert sein, dass niemand aufgrund seines Aussehens diskriminiert werden darf?

Das schadet sicher nicht und könnte bei der Neugestaltung von Bewerbungsverfahren helfen. Das Problem ist nur, dass wohl kaum jemand von sich aus eingestehen möchte, wegen mangelnder Attraktivität diskriminiert worden zu sein. Wer steht schon gerne – quasi freiwillig – auf der Verlierer- statt auf der Siegerseite?

Die gesetzliche Etablierung könnte auf jeden Fall helfen, damit Arbeitgeber einsehen, dass sie sich selbst ihrer Chancen berauben, die besten Kandidatinnen und Kandidaten einzustellen.