Großbritannien setzt sich für einsame Menschen ein

"Einsamkeit ist die traurige Realität des modernen Lebens", sagte Premierministerin Theresa May. Neun Millionen Menschen in Großbritannien fühlen sich immer oder oft allein. Das ergab ein Untersuchungsbericht zum Thema Einsamkeit der Jo Cox Commission on Loneliness. Um dagegen anzukämpfen, soll das Land nun eine eigene Ministerin für Einsamkeit bekommen. Die für Sport und Zivilgesellschaft zuständige Staatssekretärin Tracey Crouch wird dieses Amt nun übernehmen und soll parteiübergreifende Projekte zwischen Politik, Unternehmen und NGOs leiten.

Klar könnte man an dieser Stelle polemisch einwerfen, dass die Brit*innen dieses Ministerium nach dem Brexit auch bitter nötig haben, um auf ihren Inseln nicht zu vereinsamen. In Wahrheit ist die Situation in Deutschland aber nicht viel besser.

Auch in Deutschland hausiert die Einsamkeit

Knapp zwei Millionen Menschen über 80 Jahre leben in Deutschland ganz allein. Laut des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA) hat jeder vierte alte Mensch nur noch einmal im Monat Besuch von Freund*innen und Bekannten. Dazu kommt eine Dunkelziffer von Senior*innen, die gar keinen Kontakt mehr zur Umwelt haben. Ein Problem, das sich in den nächsten Jahren noch zusätzlich verschärfen wird, da die Gruppe der 80- bis 85-Jährigen weiter anwächst, wie der NDR berichtet. Das Gefühl allein zu sein und niemanden zu haben, stresst nicht nur, sondern ist auch schlecht für die Gesundheit. Es reduziert die Lebenserwartung und ist genauso schädlich wie 15 Zigaretten am Tag.

Wer aber denkt, dass Einsamkeit nur ein Problem unter alten Menschen sei, liegt falsch. Wir leben in einer Zeit, in der wir durch das Internet alle ständig verbunden sind – aber eben nur theoretisch. Denn heute fühlen sich so viele Menschen allein, wie noch nie zuvor: Laut einer Studie des Marktforschungsinstitut Splendid Research plagt vier von fünf Deutschen zumindest manchmal die Einsamkeit. Die Studie zeigt auch, dass wer häufig soziale Netzwerke nutzt, sich tatsächlich einsamer fühlt. Am stärksten betrifft die Einsamkeit nach der Studie junge Erwachsene: 17 Prozent der Personen von 18 bis 29 Jahren fühlen sich ständig oder häufig einsam, nur jede*r Zehnte nie.

Auch die pensionierte Krankenschwester aus dem Südwesten Englands sieht bei den jungen Menschen die Gefahr zu vereinsamen, wie sie der New York Times erklärt: "Es gibt so viele Studierende an den Universitäten, die sich tagelang in ihren Zimmern einschließen, weil sie sich abgelehnt fühlen oder das Gefühl haben, dass sie nicht hineinpassen [...] Es ist nur eine Frage der Zeit, bis aus der Einsamkeit eine Depression wird. Und dort wird es gefährlich." Jonathan Lindenmaier berichtete in seinem Artikel für ze.tt bereits über Studierende, die sich aus der Einsamkeit und Anonymität ihres Studiums mit Alkohol zu retten versuchen.

Einsamkeit ist also ein generationenübergreifendes Problem, vor dem niemand sicher ist. Darum sollte sich auch die deutsche Politik vermehrt darum kümmern und ein Ministerium wie Großbritannien oder zumindest verstärkte Projekte gegen Einsamkeit andenken.

Gleichzeitig ist die Einsamkeit ein Problem, gegen das wir alle etwas tun können. Darum lasst uns wieder mehr miteinander reden. So wirklich von Angesicht zu Angesicht. An der Tür der Nachbarin klopfen und sich erkundigen, wie es ihr geht, mit dem Bäcker ein paar nette Worte wechseln und sich selbst fragen, ob jemand im eigenen Umfeld an Einsamkeit leidet. Auch sich selbst sollte man an der Nase nehmen und anstatt sich zu schämen, klar aussprechen: "Ich fühle mich einsam!"