Ein leichtes Kitzeln in der Nase. Tiefes Einatmen. Augen zu, Kopf zurück. So langsam die Aufladung, so explosionsartig erfolgt die Entladung. Wir stoßen Luft durch Nase und Mund, zucken zusammen und machen dabei teekesselähnliche Zischgeräusche. Diese Gesamtperformance nennen wir Niesen, es macht uns zu regelrechten Gesichtsakrobat*innen. Zu welchen Verzerrungen wir während des Niesens fähig sind, zeigt Fotograf Ulf Lundin aus Göteborg mit seiner Fotoserie Bless You.

Ich habe noch nie ein Kunstprojekt gemacht, das die Leute dermaßen genervt hat.
Ulf Lundin

"Obwohl Niesen eine äußerst gewöhnliche und triviale Körperreaktion ist, ist sie dennoch auf eine Weise sehr dramatisch", sagt der 53-Jährige. Mindestens ebenso dramatisch war das Feedback der Öffentlichkeit auf sein Projekt, nachdem ein schwedisches Magazin seine Fotos veröffentlichte: "Es verstörte die Leute so sehr, dass das Magazin mehrere Abonnenten verlor. Sie schrieben Beschwerdebriefe, in denen stand, dass sie nie wieder auch nur einen Blick in das Magazin werfen würden. Ich verstehe es bis heute nicht."

Niesen ist beeindruckend

Die abgestoßene Luft ist mit Schleim und Speichel versetzt, der zwar meistens zu klein für das bloße Auge ist, aber beachtliche Fähigkeiten hat. Die Geschwindigkeit, mit der wir die kleinen, zigtausenden Tröpfchen aus uns herausprusten, kann mehr als 160 Stundenkilometer erreichen. Meteorolog*innen würden einen derartigen Sturm als Orkan bezeichnen. Und einen Orkan braucht es, um all das Nasensekret, den Staub und andere reizende oder störende Fremdkörper loszuwerden. Dazu reicht das normale Atmen nicht aus. Niesen hat nämlich eine schützende Wirkung. Wer nicht niest, verpasst die Chance auf ein wenig innere Reinigung.

Die Kehrseite: Den Dreck, den wir selbst loswerden, sprühen wir in unsere Umgebung. Außerdem können Speichel und Nasenschleim mit Krankheitserregern kontaminiert sein, die wir durch das Niesen übertragen. Das können schlichte Erkältungen oder, im schlimmeren Fall, sogar Masern oder SARS sein. Kurz: Alle infektiösen Krankheitserreger, die im Rachenraum oder in den Atemwegen siedeln und durch die Tröpfcheninfektion verbreitet werden. Laut Lydia Bourouiba, Studienleiterin des Fluid Dynamics of Disease Transmission Laboratory des MIT, erreichen manche Nieströpfchen abhängig ihrer Größe eine Spitzen-Spritzdistanz von bis zu acht Metern. Das musste auch Fotograf Ulf Lundin erfahren. Er wurde nach jeder seiner beiden Fotosessions krank, obwohl er mehrere Meter von seinen Projektteilnehmer*innen entfernt stand.

Die Aufgabe klang anfangs einfach: Sie sollten alleine in einem Raum sitzen und direkt in eine Kamera niesen. Doch wie bringt man sich selbst zum Niesen? Die offensichtlichste Methode, Niespulver zu schnupfen, war erfolglos. "Am besten funktionierte, sich ein spitz zusammengedrehtes Stück Klopapier sehr tief in die Nase zu schieben und sich dort oben selbst zu kitzeln", sagt Lundin. Manche saßen anderthalb Stunden in diesem Raum, bis sie endlich niesen konnten, andere schafften es gar nicht.

Es war sehr rührend zu sehen, wie sie sich vorher zurechtmachten, sich kämmten, sich schminkten, nur um danach mit voller Kraft die Spucke durch den Raum zu sprühen.
Ulf Lundin

Niesen ohne Hand

Sich beim Niesen die Hand vor den Mund zu halten, bringt nur wenig. Vollgenieste Hände schütteln andere Hände zur Begrüßung oder zum Abschied, drücken Knöpfe im Lift, halten sich an Treppengeländern und Haltestangen fest, geben High-Fives und drücken Türklinken. Ihre Finger bereiten Essen zu, schminken Gesichter und bohren Nasen. Wir kauen unsere Fingernägel, pulen Essensreste aus den Zähnen und reiben uns die Müdigkeit aus den Augen. Krankheitserreger haben unendlich viele Möglichkeiten weiterzureisen und sich zu entfalten.

Um den eigenen Nieser nicht in die Öffentlichkeit zu sprühen, empfehlen Expert*innen, statt der Hand die Armbeuge zu verwenden. Armbeugen kommen seltener mit anderen Menschen in Kontakt. Zudem mögen es Grippeviren feucht. Der feinporige Stoff von Wintermänteln oder -pullis lässt den verkeimten Schleim schneller trocknen und die Viren verenden. Auf den glatten Oberflächen der Haltegriffe und Knöpfe überleben sie länger.

Niesen ist sexy

Wer niest, ist natürlich nicht automatisch krank, sondern kerchert bloß über die eigene Nasenschleimhaut, die aus den verschiedensten Gründen gereizt sein kann, seien es Allergene, Katzenhaare, Staub oder das Auszupfen von Nasenhaaren. Manche Menschen niesen sogar, wenn sie in helles Licht schauen (der sogenannte Photonische Niesreflex) oder sexuell erregt sind.

Nicht nur das. Niesen selbst kann auch sexuell erregen. Lundin produzierte mit seinen Fotos auch ein Video, in dem niesende Menschen zu sehen sind. Nach der Veröffentlichung erhielt er etliche Anfragen von Menschen, die das Video kaufen wollten. Die waren allerdings nicht der Kunst oder des Spaßes wegen interessiert. Sie alle kamen über ein Fetischforum und waren heiß auf niesende Fremde. Ohne es zu wissen, hatte Lundin ein Video für Nies-Fetischist*innen gedreht. Er verkaufte das Video nicht.

Aberglaube und Verletzungen

Lundin hörte bei der Umsetzung seines Projekts von den unterschiedlichsten Nies-Theorien. Wenn man mit offenen Augen niest, fallen die Augen aus dem Kopf. Beim Niesen verlassen böse Geister den Körper. Die Geschichte des 34 Jahre alten Mannes, der sein Niesen unterdrückte und daraufhin eine Woche künstlich ernährt und mit Antibiotika behandelt werden musste, ist leider wahr. Der aufgestaute Druck hatte seine Rachenmuskulatur eingerissen. Das ist aber ein extremer Einzelfall.

Niesen an sich ist weitestgehend ungefährlich und maximal ein wenig krankheitsfördernd. Wer das Niesen unterdrückt oder sich Nase und Mund dabei zuhält, kann potenzielle Krankheitserreger im Nasensekret in die Nebenhöhlen und bis zum Mittelohr pressen, das sich entzünden kann. Aus demselben Grund schließen wir unwillkürlich die Augen. Nicht, weil sie der hohe Druck sonst aus dem Kopf poppen würde, sondern weil dadurch verhindert wird, dass Krankheitserreger in die Augen gelangen. Übrigens können wir gar nicht die Augen offen halten, selbst wenn wir wollten. Also keine Angst haben, sondern einfach selbstbewusst und laut in die Armbeuge sprühen.