Jetzt mal ehrlich: Wer weiß, wo genau der G-Punkt liegt? Ähnlich unbekannt wie die legendäre erogene Zone ist für so manche auch Vilnius: Das ist die Hauptstadt Litauens, des größten der drei baltischen Staaten. Litauen liegt zwischen Polen, Lettland und Weißrussland, ist seit 2004 Mitglied der EU und beheimatet weniger als drei Millionen Menschen – von denen etwa eine halbe Millionen in Vilnius leben.

Niemand weiß, wo es ist, aber wenn man es findet, ist es großartig”

Damit die Stadt kein blinder Fleck mehr auf der Landkarte der Europäer*innen bleibt, betreibt das Stadtmarketing von Vilnius Aufklärungsarbeit, die polarisiert: "Niemand weiß, wo es ist, aber wenn man es findet, ist es großartig" und "Wir sind der G-Punkt Europas!" lauten die Slogans. In Videos bestaunen und bestöhnen Jugendliche Kirchen und andere Sehenswürdigkeiten der Stadt.

Kunst, Kirchen, Kultur und Kneipen

Vor der Entwicklung der Kampagne wurden Umfragen in Deutschland und Großbritannien durchgeführt und 1.000 Menschen befragt. Das Ergebnis: Weniger als fünf Prozent wussten, wer oder was Vilnius überhaupt ist und wo es liegt. Auf ihrer Seite kann die Wissenslücke jetzt geschlossen und eine ganz persönliche "Pleasure Map" erstellt werden. Als mögliche Höhepunkte schlägt das Stadtmarketing nicht nur einen Besuch in den jahrhundertealten Burgen und Kirchen vor, sondern verweist auch auf Outdoor-Kunstausstellungen oder die vielen kleinen Boutiquen, in denen jetzt schon die Mode der nächsten Saison hängen soll oder die grünen Parks, in denen im Sommer bis spät in die Nacht Festivals und Konzerte stattfinden. Erwähnung findet auch die ausgeprägte Ausgehkultur in Vilnius: Die vielen hippen Bars haben eine beeindruckende Vielfalt an regionalen Biersorten.

Sexismus oder cleveres Wortspiel?

Mit der Kampagne hat die Stadt in ganz Litauen heiße Diskussionen ausgelöst. Der ehemalige Bürgermeister findet zum Beispiel, dass nicht einmal eine Kondommarke eine derartig geschmacklose Werbung lancieren würde. Die Regierung Litauens wollte die Kampagne sogar um ein paar Wochen verschieben. Denn im September kommt der Papst nach Litauen. Und der soll nicht den selbsternannten G-Punkt Europas besuchen, sondern Vilnius: eine Stadt, in der vier von fünf Menschen katholisch sind.

So wie Birutė Valečkaitė. Die 27-Jährige arbeitet im Museum für das Kirchliche Kulturerbe in Vilnius und findet die neue Kampagne blöd: "Früher hat man uns 'Jerusalem des Nordens’ genannt, weil hier so viele wichtige Kirchen sind. Wenn die Stadt jetzt glaubt, dass der 'G-Punkt’ die beste Werbung für uns ist, dann ist das ganz schön traurig." Die Kampagne kommt ihr vor wie ein alberner Scherz pubertierender Jugendlicher. "Dieses ganze G-Punkt-Gekicher lenkt doch nur davon ab, was Vilnius wirklich zu bieten hat: nämlich verdammt viel Kunst und Kultur!"

Der Erzbischof von Vilnius, Gintaras Grusas, setzt noch einen drauf: Er hält die Werbung für eine "Ausbeutung der weiblichen Sexualität", durch die Frauen diskriminiert würden. Grusas hat Sorge, dass die Kampagne Sex-Tourist*innen anlocke.

"Die Macher wollen schockieren, mehr nicht. Man darf das alles nicht so ernst nehmen", sagt dagegen die Psychologin Dalia Mackelienė. Auch sie ist Katholikin, teilt die Kritik ihres Bischofs aber nicht: "Ich fühle mich nicht diskriminiert, nur weil mit dem weiblichen G-Punkt geworben wird. Es gibt auch Videos mit Männern. Beide Geschlechter kommen darin aber ein bisschen billig weg."

"Billig" findet in Vilnius längst nicht jede*r die Kampagne. Viele junge Litauer*innen haben sich die Werbung bei Facebook als Titelbild eingestellt - sie sind stolz auf den Clou des Stadtmarketings. Die Fotografin Neringa Rekasiute findet es sogar ziemlich klug, ihre Stadt mit dem G-Punkt zu vergleichen. Denn die Diskussion um die Kampagne sei dringend nötig: "Vor allem die weibliche Sexualität ist immer noch ein Tabu-Thema hier. Das ist jetzt eine Chance für unsere Gesellschaft!", sagt Neringa. So sieht das auch Inga Romanovskienė, die Leiterin des Stadtmarketings von Vilnius. Auf Facebook verhöhnt sie die Kritik an ihrer Kampagne: "Meine Lieben, wir haben nicht mal theoretisch die Chance, irgendein Image zu beschmutzen, denn wir haben überhaupt keins. Und das ist wirklich Grund zum Schämen!"

Wie lebt es sich in Europas selbst ernannten G-Punkt?

G-Punkt oder nicht: Vilnius muss sich nicht verstecken. Die Altstadt mit ihren schmalen mittelalterlichen Gassen und Gebäuden aus allen Zeiten und Stilen steht auf der UNESCO-Liste des Welterbes. Es gibt sogar ein kleines Stadtviertel, das seine Unabhängigkeit erklärt und eine eigene Verfassung aufgestellt hat.

Vytis Turonis lebt gern in Vilnius. Der 30-Jährige glaubt aber nicht, dass die Kampagne hält, was sie verspricht. "Du brauchst nur zehn Minuten vom Flughafen bis ins Stadtzentrum - so schnell kann man den G-Punkt gar nicht finden!", sagt er und lacht. Er wünscht sich, dass trotzdem mehr Menschen Vilnius besuchen kommen und die Stadt mit seinen Augen sehen: "Ein gemütlicher, grüner und historischer Ort, in dem die Menschen viel toleranter sind als in anderen Städten Europas."

Vielleicht sei es sogar ganz gut, dass Vilnius nicht wirklich der G-Punkt Europas ist, überlegt Vytis dann. Denn so ein Leben in ständiger Extase passe nicht zu seiner Heimatstadt. "Vilnius ist ein sehr ausgewogener und friedlicher Ort. Es lohnt sich, hier länger zu bleiben als jede Extase überhaupt dauern kann."