Noch einmal Chicago. Hier hat vor acht Jahren alles begonnen, hier hört alles auf. Barack Obama betritt die Bühne. Es soll seine letzte Rede als 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sein. Doch die Amerikaner lassen ihn nicht: Jedes Mal, wenn er beginnen will, wird der Applaus noch lauter. Es wirkt fast so, als wollten sie ihn nicht gehen lassen. Als wollten sie nicht hören, was jetzt folgt.

"Leute, wir sind live im Fernsehen gerade. Ich muss Gas geben", sagt er schelmisch. Wie immer: Ein kurzer Witz als Einstieg, als Eisbrecher. Er startet in seine rund einstündige Rede. Und während der gesamten Zeit gibt es keine übertriebene Selbstbeweihräucherung. Auch keinen Alarmismus, nicht einen einzigen bissigen Kommentar zu seinem Nachfolger. Nur einmal nennt er ihn beim Namen, sagt, er wolle für eine friedliche Amtsübergabe an den nächsten Präsidenten sorgen. Das war's: Was Barack Obama zu sagen hat, ist wichtiger als Donald Trump.

Seine Rede vor den rund 18.000 Menschen ist nicht weniger als ein Manifest. Ein echtes Plädoyer für die Demokratie. Für Diversität, für andere Meinungen, für eine gesunde Diskussionskultur und vor allem die Macht der "ganz gewöhnlichen Leute".

"Ihr habt mich zu einem besseren Menschen gemacht"

Diese Demokratie befinde sich in einer schwierigen Phase, sagt er, er sorge sich um sie. Sie sei gefährdet durch zunehmende wirtschaftliche Ungleichheit, durch die Polarisierung in der Politik, die Spaltung der Gesellschaft. Und auch durch bewusstes Ignorieren von Fakten.

"Wir ziehen uns zurück in unser Viertel, auf unseren Uni-Campus, in unsere Gotteshäuser oder unsere sozialen Netzwerke. Wir umgeben uns mit Menschen, die aussehen wie wir selbst. Die unsere politische Meinung teilen und unsere Ansichten nie in Frage stellen." So sicher fühlten wir uns in dieser Blase, dass wir nur solche Informationen hören wollen, die unsere Meinung widerspiegeln – ob sie nun wahr sind oder falsch.

Obama wünscht sich, dass die Bürger*innen künftig mehr hinterfragen, mehr streiten, mehr eigene Erfahrungen machen, ihre Meinungen auf Fakten aufbauen. Als Beispiel nimmt er den Klimawandel. Dieser sei eine tatsächliche Bedrohung. Man könne zwar über Mittel dagegen debattieren – aber nicht das Problem abstreiten. Dies komme einem Verrat an kommenden Generationen gleich. Mehrere Minuten lang zählt Obama verschiedene "Gefahren für die Demokratie" auf. Und es klingt, als würde er gerade Trumps Wahlversprechen vorlesen. "Ohne eine Bereitschaft, neue Information zuzulassen, und zuzugestehen, dass unser Kontrahent einen berechtigten Punkt macht, und dass Wissenschaft und Vernunft von Bedeutung sind, werden wir weiter aneinander vorbeireden." Konsens und Kompromiss würden so unmöglich.

Das Schlimmste sei die Angst. "Sie zerfrisst die Demokratie. Die Angst vor Wandel. Sie kann die Werte aushöhlen, für die mein Land steht. Deshalb habe ich die Folter verboten. Und bin gegen jegliche Diskriminierung von muslimischen Amerikanern." Die Ungleichheit, vor allem zwischen Schwarzen und Weißen in den Vereinigten Staaten, müsse überwunden werden, sagt er, der erste schwarze Präsident der US-Geschichte. Die Gräben zwischen den Ethnien in den Vereinigten Staaten seien längst nicht überwunden. "Das Gerede vom postethnischen Amerika nach meinem Wahlsieg mag zwar gut gemeint gewesen sein, es war aber nie realistisch." Er lebe lange genug, um zu wissen, dass die Beziehungen zwischen den Ethnien zwar besser seien als vor 30 Jahren.

"Aber ich weiß auch, dass wir nicht da sind, wo wir sein müssten", sagt er. Er warnt auch davor, jedes wirtschaftliche Problem als einen Kampf zwischen "hart arbeitenden Weißen aus der Mittelschicht und unwürdigen Migranten" hinzustellen. Kinder von Einwanderern im Stich zu lassen, schmälere auch die Erfolgsaussichten amerikanischer Kinder, sagt der 55-Jährige. "Demokratie ist immer dann gefährdet, wenn man sich ihrer sicher glaubt." Das wichtigste Amt in einer Demokratie hätten sie alle gemein: das des Bürgers. Bei allen noch zu bewältigenden Problemen ist Obama aber auch voller Hoffnung: "Es kommt auf alle von uns an, um sicherzustellen, dass die Regierung jedem helfen kann, den zahlreichen Herausforderungen zu begegnen, mit denen wir konfrontiert sind."

Ich glaube noch immer an die Macht der Veränderung."

Mit dem Versprechen von "Change" wurde er 2008 gewählt. Zwar seien die Fortschritte im Land uneben verlaufen. Und manchmal wirke es auch so, als ob auf jeden Schritt vorwärts zwei zurück folgten. Doch befinde sich die USA in einer Vorwärtsbewegung, einer konstanten Ausweitung des Gründungscredos, jeden einzuschließen, nicht nur einige wenige. Am Ende seiner Rede dankt Obama dafür vor allem den Menschen der USA. Sie hätten das möglich gemacht, nicht er. Sie sorgten für "Change". Sie hätten ihn nicht nur konstant zu einem besseren Präsidenten gemacht, sondern auch zu einem besseren Menschen.

Am Ende richtet Obama sich an seine Frau Michelle. Sie sei seine beste Freundin. "Du hast diese Rolle angenommen, die du nie wolltest und sie mit Anmut zu deiner gemacht." Und an seine Töchter, Malia und Sasha, die trotz der schweren acht Jahre im Rampenlicht zu zwei wundervollen und starken Frauen herangewachsen seien. Er hat Tränen in den Augen, wischt sie sich mit einem Taschentuch ab. In diesem Moment wird es sehr still in der Halle: Als würden die Menschen realisieren, dass es jetzt wirklich vorbei ist.

Joe Biden sei die beste Wahl als Vize-Präsident gewesen, er sei zu einem "Bruder" geworden, sagt Obama noch. Seine letzte Worte jedoch gehen wieder an die Menschen der USA: Es sei die größte Ehre seines Lebens gewesen, ihnen ein Präsident sein zu dürfen. Seine letzte Bitte im Amt: Sie sollen den Glauben in den Wandel nie verlieren, angesichts dessen, was schon alles geschafft wurde. "Yes, we can", sagt er, "yes, we did." Immer wieder wird er während der Rede unterbrochen, die Menschen rufen im Chor: "Four more years."

"Ich kann nicht. Das geht nicht", antwortet er lächelnd. Sie müssen ihn gehen lassen. Die Zukunft der USA liegt jetzt nicht mehr in seiner Hand.