Klassiker, Indie oder doch lieber Eigenregie? Im Horrorgenre kann die Wahl schwerfallen. Mal sind Dramen unter Familienmitgliedern angsteinflößender als verrückte Mörder*innen, mal versprühen übernatürliche Wesen mehr Böses als der seltsame Nachbar von nebenan. Manchmal ist das bloße Andeuten wirkungsvoller als das explizite Zeigen von Blut und Gewalt. Eines steht fest: Viele lieben es, sich auf unterschiedliche Arten zu gruseln. Netflix und Amazon haben einen soliden Horror-Mix vorzuweisen. Für euch haben wir beide Mediatheken nach den schaurigsten Film- und Serien-Formaten durchforstet. Voilà!

Netflix

American Horror Story, Staffel 1 bis 7 – Horrorserie, seit 2011

Obwohl American Horror Story nicht zu den Horror-Neulingen auf Netflix zählt, sollte die Serie wegen ihrer Originalität in keiner Watchlist fehlen. Karikierte die Premierenstaffel Murder House noch das klischeehafte Haunted-House-Setting (Familie zieht nach tragischem Vorfall in neues Haus, um ihr Leben zu resetten, wird dann in der ersten Nacht von Übernatürlichem belästigt und später von der Vergangenheit eingeholt), so übten die nachfolgenden Teile von AHS vermehrt Gesellschaftskritik. In einem Zusammenwurf aus Mystery und Splatter ging es seither Monstrositätenshows, Hexenjäger*innen und Donald Trump an den Kragen. Meistens sind die Figuren dabei an einen Ort gefesselt (Hotel, Zirkus, Spukhaus, Bunker, Irrenanstalt etc.). Über bislang sieben (auf Netflix) unabhängige Staffeln treten dieselben Schauspieler*innen in unterschiedlichen Rollen auf. Allein die Ansammlung bizarrer Figuren lädt dazu ein, AHS zu binge-watchen. Doch Obacht! Wie bei einem guten Theaterstück kann man sich so lange entspannt zurücklehnen, bis einen die Abrissbirne unsanft weckt.

Bates Motel, Staffel 1-5 – Horrorserie, 2013-2017

"Mutter! Mein Gott, Blut! Mutter wie kommt das Blut hierher?! Mutter!" Ihr habt Psycho bereits über 100 Mal gesehen und die absurden Phrasen von Norman Bates laufen euch aus den Ohren heraus? Dann könnte euch die Vorgeschichte rund um Alfred Hitchcocks Klassiker vielleicht noch mehr auf die Palme bringen. In der Serienauskopplung wird die Geschichte des jungen Norman erzählt, der nach dem Tod seines Vaters gemeinsam mit seiner Mutter Norma in ein neues Haus (Motel) zieht. Rasch entwickeln eine Menge Leute Interesse am Grundstück sowie dem Treiben der beiden. Norman ist es untersagt, mit Mädchen feiern zu gehen und das Leben eines 16-Jährigen zu genießen. Im passiv-aggressiven Ton bittet Norma ihren Sohn stets darum, bei ihr zu bleiben – es sei ja nur zu seinem Besten. In den Hauptrollen glänzen Vera Farmiga als seltsam besorgte Norma Bates und Freddie Highmore als tickende Zeitbombe. Highmores Peformance ist so gut, weil man hinter den buschigen Augenbrauen sowohl Charme als auch Gewaltfantasie vermuten kann.

Under the Shadow – Horrorfilm, 2016

Die Geschichte spielt 1988 während des Golfkrieges in Teheran. Während sich Iran und Irak bombardieren, muss die Mutter Shideh (Narges Rashidi) ihre Tochter Dorsa (Avin Manshadi) alleine aufziehen. Die Kämpfe eskalieren und Shidehs Wahnvorstellungen nehmen zu. Als dann auch noch ein Raketenkopf im Hausdach der Familie einschlägt, jedoch nicht explodiert, begeben sich Mutter und Tochter auf Geisterjagd. Under the Shadow sorgte schon bei seine Premiere im Frühjahr 2016 auf dem Sundance Film Festival für Begeisterung. Es gab überwiegend positive Kritiken, weil neben dem Spuk auch die Unterdrückung iranischer Frauen in diesem Film zum Thema wird.

The Eyes of my Mother – Schwarzweiß-Horrorfilm, 2016

Eine noch wildere Mutter-Tochter-Beziehung gibt es im Indie-Horror The Eyes of my Mother von Nicolas Pesce zu sehen. Hier wird eine Hausfrau und frühere Chirurgin (Diana Agostini) von einem Fremden in der eigenen Küche ermordet. Der Familienvater (Paul Nazak) gibt Tochter Francisca (Olivia Bond) nur eine Anweisung: "Du musst dich darum kümmern". Gesagt,  getan, fesselt das Mädchen den Fremden in der Scheune. Als sie zur Handsäge greift, beginnen die Grenzen zwischen Opfer und Täter zu verschwimmen. Pesce ertränkt seine Story in einem fast unerträglichen Schwarz-Weiß. Darin sieht man, dass man eigentlich nichts sieht. Und doch entstehen Bilder im Kopf, wenn Francisca Gebrauch vom chirurgischen Know-How ihrer Mama macht und die Grillen derweil zirpen. Durch die metaphorischen Vergleiche zwischen Mord an Menschen und Tierschlachtung bewegt sich das Landleben zunehmend weg von der Idylle. Auf der Suche nach einem Hoffnungsschimmer in Pesces Debütfilm, erkennt man rasch, nun Stille und Blindheit über 76 Minuten aushalten zu müssen.

Penny Dreadful, Staffel 1- 3 – Horrorserie, 2014-2016

London, 1980er Jahre. Groschenromane werden als sogenannte Penny Dreadfuls bezeichnet. Die fiktive Literatur wird zu Spottpreisen verkauft. Die gleichnamigen Netflix-Serie lässt die Wege von Figuren wie Dorian Gray, Frankenstein, Graf Dracula und Dr. Jekyll kreuzen. Sie alle tragen wie ihre Widersacher*innen schwere Sünden mit sich herum. So begibt sich auch das Held*innengespann Vanessa Ives (Eva Green) und Ethan Chandler (Josh Hartnett) auf die Suche nach Lust, Unsterblichkeit und Macht. Die britische Eleganz und Allüren in Penny Dreadful werden stets mit dem Abschlachten von Mensch und Höllenkreatur gebrochen. Einen dunkleren Look und stimmigere Kostüme findet man mit Ausnahme der Serie Hannibal auf Netflix und Amazon kaum.

Amazon Prime

Hannibal, Staffel 1-3 – Horrorserie, 2013-2015

Der wird doch wohl nicht Menschenreste an seine Gäste verfüttert haben. Oder doch? Die Serie Hannibal spielt mit der Erwartungshaltung der Zuschauer*innen, gerade einem hochintelligenten Menschenesser und Teilzeitpsychiater bei der Zubereitung seiner Snacks zu beobachten. Dass Dr. Hannibal Lector (Mads Mikkelsen) nicht unbedingt zu den Guten zählt, dämmert einem von Beginn an, und doch weiß man nie so recht, was im Kopf des Doc so vor sich geht. Auch als FBI-Direktor Jack Crawford (Laurence Fishburne) Hannibal darum bittet, eine Auge auf Will Graham (Hugh Dancy) zu werfen, da dieser als Profiler oft zu tief in die Gedankenwelt der Mörder*innen abtaucht, sind die Absichten Hannibals nicht klar. In kleinen Gesprächssitzungen kommen er und Will sich toxisch nahe. Vor allem Mads Mikkelsen macht diese Begegnung so faszinierend. Dessen knochige Wangen, die leicht hochgekrümmten Mundwinkel und der entlarvende Blick sorgen für Schauder. Hannibal ist von den Businessanzügen bis ins letzte Fleischstück durchgestylt. Durch die Zeitlupenaufnahmen und die verschnörkelte Sprache der Charaktere liegt dem Morden fast schon etwas Poetisches zugrunde.

Mandy – Fantasy-Horrorfilm, 2018

"Unter dem roten Ur-Himmel griff der zügellose Hexenmeister in die dunkle Umarmung. Seine Faust schloss sich um das Auge der Schlange. Eigenartig und ewig." Man nehme einen stinkwütenden Nicolas Cage, eine verrückte Hinterwäldler-Sekte und gebe ein paar dreckige Gitarrenriffs sowie beißendes Neonlicht hinzu. Fertig ist das Blackmetal-Märchen Mandy, in dem ein Holzfeller seine getötete Frau rächen will. Wild!

Split – Psychothriller, 2016

Die Teenagerin Casey (Anya Taylor-Joy) und ihre Freundinnen Claire (Haley Lu Richardson) und Marcia (Jessica Sula) werden eines Tages von einem Fremden gekidnappt. Der Mann stellt sich als Mensch mit multipler Persönlichkeit heraus. So wandert sein Bewusstseinszustand stets zwischen 23 verschiedenen Identitäten hin und her. Mal erscheint er den Mädchen als naiver Schuljunge, mal als wortgewandte ältere Dame. Während die Mädchen versuchen zu fliehen, wächst die 24. Persönlichkeit heran. Die Bestie, ein Individuum, das seine Körperchemie verändern kann, ist die brutalste aller Identitäten. Mit klinischer Präzision schafft es James McAvoy in Split, all seinen Figuren eine eigene Stimme, Körperhaltung und Gesinnung zu verleihen. Split ist der zweite Teil einer Filmtrilogie von The Sixth Sense-Regisseur M. Night Shyamalan – funktioniert aber auch bestens als eigenständiger Film.

Funny Games U.S. – Horrorthriller, 2007

Zwei nett ausschauende College-Jungs haben sich vorgenommen, ein Familienidyll zu zerstören. Warum? Das weiß man nicht so richtig. Peter (Brady Corbet) und Paul (Michael Pitt) scheinen ohne tiefere Intention foltern und morden zu wollen, als sie an der Tür der neuen Nachbar*innen klingeln. In unschuldigem Weiß gekleidet, betreten sie das Ferienhaus, in welchem die dreiköpfige Famile ihren Urlaub verbringen wollte. Nachdem Peter und Paul sich zunächst nur ein paar Eier borgen möchten, geraten sie in einem Streit mit Familienvater George (Tim Roth) aneinander. Nachdem sie George mit einem Golfschläger das Bein brechen, tyrannisieren sie auch dessen Frau Ann (Naomi Watts) und Sohn Georgie (Devon Gearhart). Plötzlich steht eine Wette im Raum, die prophezeit, dass die Familie bis zum Morgengrauen nicht überleben wird. Weil die beiden Peiniger bei ihren Spielchen immerzu in die Kamera gucken, machen sie die Zuschauer*innen quasi zu Mittäter*innen. Das ist auch das, was Autor Michael Haneke bezwecken möchte. So wird hinterfragt, wie wir Bilder der Gewalt konsumieren und als selbstverständlich hinnehmen – teilweise sogar Gefallen an ihnen finden.

It Comes at night – Horrorfilm, 2018

In einer postapokalyptischen Zeit hat eine Krankheit fast die gesamte Erde ausradiert. Paul (Joel Edgerton) und seine Frau Sarah (Carmen Ejogo) leben gemeinsam mit ihrem Sohn Travis (Kelvin Harrison Jr.) in einem abgelegenen Waldhaus. Eines Tages treffen sie auf das junge Pärchen Will (Christopher Abbott) und Kim (Riley Keough), die für sich und ihren Sohn Andrew (Griffin Robert Faulkner) Schutz suchen. Fortan versuchen die beiden Familien Seite an Seite zu überleben. Obwohl sie sich an strikte Regeln, wie das Abschließen der einzigen Haustür und das gemeinsame Jagen im Wald, halten, machen sich Panik und Aggression unter den Hausbewohner*innen breit. Aus der Dunkelheit kommen in der Regel Axtmörder*innen, Horrorclowns oder Monsterspinnen. Konventionelle Horrorfilme zeigen uns, dass das Grauen irgendwann Gestalt annehmen muss. It Comes at night schlägt an dieser Stelle einen anderen Weg ein und lehrt uns, dass wir selbst unsere ärgsten Feind*innen sind.