Hast du je ein großartiges Stück Musik gehört und dir ist dabei ein wohliger Schauer über den Rücken gelaufen? Oder eine Gänsehaut bekommen?

Mit diesen Fragen leitet Mitchell Colver, Doktorand für Psychologie mit Schwerpunkt Musik an der Utah State University in seine Arbeit ein.

Er erforschte, warum manche Menschen beim Musik hören offenbar ganze Wellen der Euphorie spüren können und andere nicht. Seine Arbeit Getting aesthetic chills from music: The connection between openness to experience and frisson veröffentlichte er in der Mai-Ausgabe des Journals "Psychology of Music". Wer die einleitenden Fragen mit "Ja" beantwortet, kann sich glücklich schätzen: Nur bei etwa zwei drittel aller Menschen kann Musik überhaupt eine derartige Reaktion auslösen – und zwar nur bei denen, die den Charakterzug Offenheit für Erfahrungen mitbringen.

Gänsehaut als evolutionärer Überbleibsel

Verschiedenste Wissenschaftler erforschen dieses Phänomen schon seit Jahrzehnten. Fest steht, was an der Musik unsere Gänsehaut auslöst. Der Musikwissenschaftler Eckart Altenmüller von der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover schrieb 2014 : "Der wohlige Schauer beim Musikhören stellt sich dann ein, wenn uns ein Stück nicht nur emotional fesselt, sondern auch überrascht: Das kann etwa durch eine originelle Wendung in der Melodie passieren, die wir nicht erwarten."

"Solche Dinge verletzen die Erwartungen des Zuhörers in einer positiven Art und Weise", sagt auch Colvert. Als Beispiel liefert er in seiner Arbeit den ersten Auftritt von Susan Boyle bei Britains Got Talent 2009:

Warum es gerade eine körperliche Reaktion darauf folgt, also die Gänsehaut, darüber ist sich die Wissenschaft nicht einig. Einige vermuteten, sie sei ein Überbleibsel unserer haarigeren Vorfahren, um sich vor Kälte zu schützen. Bei einem plötzlichen Temperaturwechsel stellen sich die Haare auf und legen sich wieder hin, um Wärme zu halten – wie etwa nach einer unerwartet kühlen Brise an einem heißen Sommertag.

Seit wir Kleidung haben, brauchen wir Menschen diese Funktion unseres Körpers seltener. "Aber die physiologische Struktur dahinter gab es noch und sie könnte neu verdrahtet worden sein: Gänsehaut als Reaktion zu emotional bewegenden Stimulatoren, wie Schönheit in Kunst oder der Natur", sagt Colvert.

Offenheit sticht Emotion

Colverts Theorie: Wenn eine Person sich komplett auf die Musik einlässt – also offen der Erfahrung gegenüber ist –, dann ist es wahrscheinlicher, dass sie Gänsehaut als Reaktion ihrer Aufmerksamkeit bekommt. Vor allem aber können nur die Gänsehaut bekommen, die sich unbewusst auf die Musik einlassen – die Persönlichkeit spielt also eine große Rolle.

Um diese These zu prüfen, ließ Colvert seine Versuchsteilnehmer*innen an ein Instrument anschließen, dass Hautreaktionen misst. Er spielte ihnen verschiedene Abschnitte von Stücken Johann Sebastian Bachs oder Hans Zimmers vor. Diese Stücke sind besonders gut geeignet, weil es darin viele überraschende und ergreifende Passagen gibt.

Während die Teilnehmer*innen zuhörten, meldeten sie ihre Gänsehaut-Erfahrungen, indem sie einen Knopf drückten; so wurde ein Logbuch jeder Session erstellt. "Nach einem Vergleich dieser Daten mit den Ergebnissen eines Persönlichkeitstests, waren wir zum ersten Mal in der Lage, einzigartige Schlussfolgerungen darüber abzuliefern, warum einige Zuhörer öfter Gänsehaut bekommen haben als andere."

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Menschen, die intellektuell in Musik eintauchen (statt sie nur an sich vorbeifließen zu lassen), die sind, die den wohligen Schauer öfter und intensiver erfahren als andere.

Wer testen möchte, ob er zu diesen Menschen gehört, kann sich in dieser Reddit-Gruppe umschauen – die User sammeln hier nämlich Musikstücke, die besonders gut dafür geeignet sind, Gänsehaut zu bekommen.