Kurdische Kämpfer*innen wollen die Terrormilizen des Islamischen Staats, auch Daesh genannt, aus dem Norden des Iraks verdrängen. Gleichzeitig kämpfen sie für ihren eigenen Staat. Der 19-jährige Journalist Noah Sari hat Soldat*innen an der Front getroffen und mit Opfern des Krieges gesprochen.

Eine spärlich eingerichtete Krankenstation im kurdischen Erbil im Nordirak: Elf verletzte Soldaten liegen hier in der schwülen Hitze. Einige von ihnen mit melancholischem Blick, andere mit Hoffnung und Freude in ihren Augen – sie haben ihre Familie zu Besuch. Ich sehe die Folgen eines Krieges an Menschen, die kaum älter sind als ich: Die Körperhälfte eines 23-jährigen Kämpfers ist gezeichnet von schwersten Verbrennungen. "Ich gehöre zum Bombenentschärfungs-Team", erzählt der junge Mann leise mit nur halb geöffneten Augen. "Wir haben versucht, eine Mine zu entschärfen, aber diesmal war sie anders verdrahtet als sonst und ist hochgegangen."

Währenddessen laufen Ärzte hektisch durch die Station und versuchen mit den begrenzten Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, die Verwundeten zu behandeln. Es fehlt vor allem an Schmerzmitteln, wie die gequälten Gesichter einiger Soldaten erahnen lassen. Auf einem der Krankenbetten liegt kein Soldat, sondern ein Junge. Gerade einmal neun Jahre alt. Sein linkes Bein musste amputiert werden, weil er auf eine Tellermine trat. Er blickt mit glasigen Augen auf den Vorhang vor seinem Bett, gibt keinen Laut von sich. Er wirkt so emotionslos, als würde er gerade auf den Bus zur Schule warten.

Nur wenige Stunden zuvor starteten kurdische Peschmerga-Kämpfer*innen eine Offensive gegen Daesh, bei der sie zwölf Dörfer um Mossul einnehmen konnten. Die Millionenstadt wird seit über zwei Jahren von der Terrormiliz beherrscht und dient als eine Art irakische Hauptstadt ihres "Kalifats". 2014 nahmen gerade mal 700 Kämpfer der Terrormiliz Mossul innerhalb von sechs Tagen ein. Die Menschen in der Autonomen Region Kurdistan fürchteten sich davor, überrannt zu werden. Denn die Islamisten standen nur noch 80 Kilometer vor ihrer Hauptstadt Erbil und schworen, sie einzunehmen. Sie gelangten bis kurz vor die Stadt, ehe sie von der Peschmerga mithilfe von US-Luftschlägen abgewehrt wurden. Inzwischen erleidet Daesh immer größere Verluste und befindet sich auf dem Rückzug. Kurdische und irakische Truppen bereiten sich auf die Befreiung Mossuls vor.

Die Furcht vor der Flüchtlingskatastrophe

Nach einigen Tagen verlassen wir Erbil und fahren nach Süden, zur Kirkuk-Front. Dort werden wir vom kurdischen Kommandeur Hussein Yazdanpanah, der ein Bataillon von Peschmerga befehligt, empfangen und über die aktuelle militärische Lage informiert. Nur einen Kilometer vom Stützpunkt entfernt beginnt das Daesh-Territorium. In einem Dorf in der Ferne weht die berüchtigte schwarze Flagge der Terrormiliz.

Unter einem Pavillon, abgedeckt mit Wellblech und Stroh, sitzen wir auf Betonbänken und hören dem Kommandeur zu, der über die nächsten Militäroperationen spricht. Der 60-Jährige warnt vor einer humanitären Katastrophe, sobald die Mossul-Offensive beginnt. Denn infolge der Gefechte werden hunderttausende Stadtbewohner Schutz im sicheren Kurdengebiet suchen. "Wie sollen wir die ganzen Menschen denn versorgen?", fragt er. "Schon jetzt müssen wir manchmal unseren Proviant mit den Geflüchteten teilen, weil sie sonst niemand versorgt."

Während wir mit dem Kommandeur im Gespräch sind, beobachten die Soldat*innen mit Ferngläsern das Terrain. Bei 45 Grad im Schatten und in voller Kampfmontur rinnt ihnen der Schweiß über die Stirn. Doch nicht nur sie sind der Hitze ausgesetzt: Unter einem Container versucht der Truppenhund, eine Art Maskottchen der Soldat*innen, der Mittagssonne zu entkommen.

Rund 50 Kämpfer sind hier stationiert. Sowohl Männer als auch Frauen. Dass Frauen Seite an Seite mit den Männern kämpfen, ist bei den Kurden normal und unterstreicht den Gegensatz zu ihrem Feind. Unter der Herrschaft von Daesh müssen sich Frauen komplett verhüllen und dürfen nicht alleine aus dem Haus. In der Autonomen Region Kurdistan hingegen finden Burka und Nikab kaum Verbreitung. Durch den Kampf gegen Daesh und sein menschenverachtendes Frauenbild wurde die Emanzipation der Frau in der kurdischen Gesellschaft vorangetrieben: "Unsere Unterkünfte und unser Training sind zwar getrennt, aber auf dem Schlachtfeld sind wir alle gleich", berichtet eine 21-jährige Kämpferin.

Sie sterben für einen Traum

Tausende Peschmerga sind bereits im Kampf gegen Daesh gefallen und die Mossul-Offensive wird vermutlich ihr verlustreichster Einsatz. Von der Metropole hängt die Existenz des "Kalifats" im Irak ab und die Dschihadisten werden sie erbittert verteidigen. Auch auf dem Stützpunkt der Peschmerga werde ich mit den Opfern des Krieges konfrontiert. Ein Plakat, das an einer Containerwand hängt, gedenkt dreier Gefallener. Normalerweise präsentieren sich die Peschmerga ernst – doch die Männer auf den Fotos lachen. Ihre Kamerad*innen wollen sie als glückliche Menschen in Erinnerung behalten.

Über den Getöteten ist auf dem Plakat eine wehende kurdische Flagge abgebildet. Sie steht für den jahrhundertalten Traum der Kurd*innen: der eigene Staat.

"Wir kämpfen hier nicht nur für uns, sondern für die ganze Welt. Als in Paris die Anschläge waren, haben auch wir getrauert und uns mit den Franzosen solidarisiert", erzählt ein 23-jähriger Scharfschütze. "Nach den Opfern, die wir im Kampf gebracht haben, haben wir unseren eigenen Staat verdient. Nur so können wir endlich frei leben."

Transparenzhinweis: Noah Sari war gemeinsam mit dem FDP-Politiker Tobias Huch und dessen Verein "Liberale Flüchtlingshilfe" im Irak unterwegs.