"Wir, die hier Unterzeichneten, handelnd in Vollmacht für und im Namen des Oberkommandos der Deutschen Wehrmacht, erklären hiermit die bedingungslose Kapitulation aller am gegenwärtigen Zeitpunkt unter deutschem Befehl stehenden oder von Deutschland beherrschten Streitkräfte auf dem Lande, auf der See und in der Luft gleichzeitig gegenüber dem Obersten Befehlshaber der Alliierten Expeditions-Streitkräfte und dem Oberkommando der Roten Armee. [...]" (Pdf)

In der Nacht zum 9. Mai unterschreibt Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht, die Kapitulationsurkunde im sowjetischen Hauptquartier in Berlin-Karlshorst. Nach fünf Jahren und acht Monaten ist der Zweite Weltkrieg für Deutschland zu Ende.

Heute erinnern uns Mahnmale, Museen und die Berichte von Zeitzeug*innen an die verheerenden Geschehnisse und Gräueltaten dieser Zeit. Sie erzählen von verwüsteten Städten, Kriegshandlungen und unvorstellbaren Verbrechen in den Arbeits- und Vernichtungslagern von Nazideutschland. Fotos von damals visualisieren diese Erzählungen. Sie verdeutlichen den Nachkriegsgenerationen über Erzählungen oder die Schilderungen in Geschichtsbüchern hinaus, was Faschismus, Völkermord und Krieg bedeuten. Wenn wir, die weder Augenzeug*innen noch direkt Betroffene sind, heute an den Zweiten Weltkrieg denken, haben wir derartige Fotografien vor Augen. Sie anzusehen, ist zwar kein Vergnügen – aber es ist notwendig. Denn sie sollen uns davor warnen, derartiges je wieder zuzulassen.

Fotografie zu Kriegszeiten

In der NS-Diktatur werden professionelle Fotografen mit an die Kriegsfront geschickt. Als Teil der sogenannten Propagandakompanien sollen sie ein Bild des Krieges konstruieren, um die deutsche Bevölkerung, Soldat*innen und Gegner*innen des Nationalsozialismus zu beeinflussen. Fotografen stehen demnach gemeinsam mit der Wehrmacht und der Waffen-SS an der Front und leisten propagandistische Kriegsberichterstattung für deutsche und internationale Medien.

Authentischere Bilder des Geschehens liefern die privaten Fotografien von Soldat*innen. Technische Neuerungen der 1920er Jahre hatte die Fotografie für die breite Bevölkerung zugänglich gemacht – und wie sich herausstellt, lassen sich Amateur*innen und Hobbyfotograf*innen auch in Ausnahmesituationen wie einem Krieg nicht davon abhalten, weiterhin zu fotografieren. Und so entstehen Aufnahmen mit den unterschiedlichsten Bezügen: vom Soldat*innenalltag über kriegstreiberische Sensationsfotografie bis hin zu touristischen Bildern wie sie Urlauber*innen heute ebenso schießen würden. "In keinem vorherigen Krieg spielte die private und professionelle Produktion von fotografischen Bildern eine so große und wirkmächtige Rolle", schreibt der Autor Armin Kille auf seinem Forschungsblog Kriegsfotografie im Zweiten Weltkrieg.

Valery Faminskys heimliche Fotografien aus Berlin

Ob privat fotografiert oder mit der offiziellen Kriegsberichterstattung beauftragt – Fotografien sind wichtige Quellen für historische Überlieferungen aus einer vergangenen Zeit. Vor allem aber den Privataufnahmen, die keiner Propagandainszinierung folgten, verdanken wir einen Blick in die damalige Realität vor Ort. Aus der Vielzahl an Quellen hervorzuheben sind die Erzeugnisse des sowjetischen Fotografen Valery Faminsky.

Von 1943 bis 1945 dient Faminsky an sieben Fronten des Zweiten Weltkriegs für das Militärmedizinische Museum der Roten Armee (WMM). Meistens wird er an den Abschnitten eingesetzt, in denen groß angelegte Militäroperationen geplant sind. Am 16. April 1945 startet die Rote Armee den Angriff auf Berlin, Faminsky gelangt direkt mit den ersten Soldat*innen in die umkämpfte Stadt. Seine Aufgabe ist es, für das Museum die medizinische Versorgung und Logistik von Transporten verwundeter Soldat*innen zu dokumentieren.

Die Zivilbevölkerung, deren Not und die Zerstörung der Stadt abzulichten, ist ihm eigentlich verboten. Doch er setzt sich über das Verbot hinweg. Er hat die Befugnis, sich überall in der Stadt frei zu bewegen, und er nutzt sie. Als leidenschaftlicher Fotograf und Fotojournalist interessieren ihn vor allem die Menschen, deren Alltag und Leid. Führende Wehrmachtsoffiziere sind auf seinen Bilder nicht zu sehen.

Während in den Medien der UdSSR Bilder von Siegesfeiern propagiert werden, richtet Faminsky seine Kamera auf Fremdarbeiter*innen auf dem Weg in die Heimat, deutsche Geflüchtete, Zivilist*innen auf der Suche nach Angehörigen, Lebensmitteln und Wasser. Er zeigt die erschöpfte Bevölkerung, den Alltag russischer Truppen, eine völlig zerstörte Stadt. All das mit Fokus auf den individuellen Schicksalen der Menschen, ohne sich dabei auf eine Seite zu schlagen. Er zeigt, dass der Sieg über Berlin schwer und blutreich errungen und das Leid der Menschen noch nicht beendet war. Oder wie es Historiker Peter Steinbach ausdrückt: "Staaten vergehen, Armeen werden besiegt, Gesellschaften aber – und mit ihnen die Menschen – gehen nicht völlig unter, sie vegetieren weiter."

Valery Faminsky gehört zu den Fotograf*innen aus dieser Zeit, welche nach dem Ende des Kriegs die Diskrepanz zwischen Erleichterung und Leid auf beiden Seiten darstellen. Die Nachricht über das Kriegsende macht den Menschen trotz des erlebten Horrors Freude und Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Fotograf*innen war es sogar möglich, vereinzelt ein Lächeln einzufangen.

Das verlorene Archiv

Faminsky kehrt am 22. Mai 1945 nach Moskau zurück. Seine Fotos von der Einnahme der Berliner Vorstädte und der Innenstadt übergibt er den Beständen des WMM. Die verbotenen Aufnahmen, knapp 500 Negative, behält er bei sich, sauber in zwei Kartonboxen katalogisiert und beschriftet. Faminsky beschließt, diese Bilder nicht zu veröffentlichen.

Bis zu seinem Lebensende 1993, und sogar dreizehn Jahre länger bis zum Tod seiner Ehefrau, bleiben die Negative archiviert. Erst im Jahr 2016 entdecken seine Verwandten in Faminskys Wohnung die beiden Kartonboxen wieder. Doch keine*r von ihnen ist an Fotografie und schon gar nicht an den schrecklichen Erinnerungen des Krieges interessiert. Sie beschließen, die Bilder gesammelt zu verkaufen. Zum Glück des freien Fotografen Arthur Bondar. Er stößt 2016 zufällig auf eine Onlineanzeige, in der die Negative eines sowjetischen Fotografen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zum Verkauf angeboten werden.

Bondar kauft die Fotos. "Beim Scannen erkannte ich das Ausmaß und den Wert der historischen Dokumente", schreibt Bondar später. "Je mehr Negative ich scannte, umso tiefer tauchte ich ein in den Strom der Geschichte – unserer unbekannten Geschichte. Ich fühle mich geehrt, diese wiederentdeckt zu haben." 2018 veröffentlicht er einen Bildband mit Faminskys Fotos und macht dessen Arbeit das erste Mal der Öffentlichkeit zugänglich.

In der Nacht des 8. Mai 1945 war der Krieg zu Ende – zumindest auf dem Papier. Heute wird dieses Datum jedem europäischen Schulkind als Zäsur in der Geschichte beigebracht. Bewusst sollte uns allerdings bleiben, dass der Genozid und der Eroberungskrieg nicht mit Berlin enden. Menschen werden auch nach diesem Datum weiter in großem Maß getötet. August 1945, drei Monate später: Während Deutschland als frei gilt und die Staaten Europas mit dem Wiederaufbau beginnen, fällt am 6. und 9. August jeweils eine Atombombe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Innerhalb von Sekunden finden fast 200.000 Menschen den Tod.

Schätzungen zufolge fielen den Kriegsereignissen insgesamt etwa 60 Millionen Menschen zum Opfer, der Großteil davon Zivilist*innen. Mehrere Millionen weitere sollten in den Jahren und Jahrzehnten danach aufgrund der Kriegsfolgen hinzukommen. Bei derartigen Zahlen lässt sich leicht vergessen, dass das Leiden des Menschen immer individuell ist. Faminskys Fotos schaffen es, das zu vermitteln und den für uns abstrakten Begriff des Kriegs nachvollziehbar zu machen. Seine Bilder sind nicht politisiert und folgen keiner Ideologie, sondern helfen, die Überlieferungen von damals zu konkretisieren. Sie machen unseren heutigen Frieden kostbar.Berlin Mai 1945, Valery Faminsky, Buchkunst Berlin