Das erste Mal einen toten Menschen gesehen, hat Vanessa am ersten Tag ihres Praktikums im Sommer. "Es war ein Sprung ins kalte Wasser und erst mal etwas seltsam", erzählt sie heute. Doch mittlerweile ist es für sie zur Normalität geworden. Die 21-Jährige macht eine Ausbildung zur Bestattungsfachkraft.

Sie hat sich schon immer für das alte Ägypten interessiert, besonders für die Bestattungsriten. "Die Idee war für mich immer im Hinterkopf," sagt sie. Nachdem sie ihr Studium abgebrochen hat, geht sie dem Wunsch nach und beginnt die Ausbildung. Die Berührungsängste mit Toten sind bei Vanessa damit verschwunden.

"Man muss sich natürlich daran gewöhnen, wie kalt ein Verstorbener ist. Es klingt vielleicht offensichtlich, aber damit hätte ich nicht gerechnet", lacht Vanessa. Heute gehört das Waschen und Anziehen von Leichen zu ihrem Alltag. "Es gibt Situationen, die unangenehmer sind, zum Beispiel, wenn sich jemand wund gelegen hat oder stark blutet. Das riecht auch sehr unangenehm." Trotzdem findet Vanessa: "Man kann sich an alles gewöhnen!"

Wenn sie abends nach Hause geht, lässt sie den Tod hinter sich. "Natürlich ist Mitleid nicht auszuschließen, wir sind ja keine Maschinen. Aber ich kann zum Glück nach der Arbeit gut damit abschließen."

Immer mehr Frauen in der Branche

Die Ausbildung zur Bestattungsfachkraft gibt es in Deutschland erst seit 2014, insgesamt dauert sie drei Jahre. Seitdem es den Ausbildungsberuf gibt, können mehr Menschen auch ohne familiären Hintergrund in die Branche einsteigen. Der theoretische Teil ist in Blockunterricht gegliedert. Im aktuellen Ausbildungsjahr gibt es 200 Auszubildende zur Bestattungsfachkraft in Deutschland. Dabei liege der Frauenanteil mittlerweile bei fast 50 Prozent und die meisten Auszubildende seien erst etwas über 20, sagt Stephan Neuser vom Bundesverband Deutscher Bestatter.

Auch in Vanessas Klasse in der Berufsschule sitzen überwiegend Frauen. In der Ausbildung lernt Vanessa den Umgang mit den Angehörigen, die hygienische Versorgung der Leiche, aber auch viele organisatorische Inhalte. Das Leben eines Verstorbenen abzuwickeln, erfordert viel Koordination – Kommunikation mit den Behörden, Versicherungen kündigen, Trauerfeier organisieren und so weiter.

Viele haben Angst davor, sich mit dem eigenen Tod zu befassen.
Vanessa

"Viele haben Angst davor, sich mit dem eigenen Tod zu befassen", findet Vanessa. Aus ihrem persönlichen Umfeld hat sie fast nur positive Reaktionen auf ihre berufliche Entscheidung erfahren. Dass das aber nicht selbstverständlich ist, erfährt sie genauso: "Wenn man von Nachbarn oder fremden Menschen nach dem Beruf gefragt wird, sind die meisten zu Beginn ziemlich überrascht." Die Vorstellung, dass Vanessa Leichen anfasst, scheint für viele seltsam. Auf einem Straßenfest ist es einmal passiert, dass ältere Leute nicht mit ihr sprechen wollten. Der Beruf sei noch deutlich von Vorurteilen behaftet. Für Vanessa eine schockierende Erfahrung: "Einem Bestatter die Hand zu geben bringt kein Unglück!" beteuert sie.

Wer kann Bestatter*in werden?

Für den Beruf des*r Bestatter*in brauche es gewisse Voraussetzungen, findet Neuser vom Bestatterverband: "Man muss viel organisieren können, sorgsam sein, Extremsituationen aushalten können." Außerdem habe der Beruf einen hohen Dienstleistungsgrad. Vanessa findet wichtig: "Man muss sich trotz allem immer vor Augen halten, dass man mit Menschen zu tun hat. Egal, ob man mit den Verstorbenen oder mit den Angehörigen arbeitet, es sind Menschen."

Maja Nikov ist 46 und hat sich erst auf dem zweiten Bildungsweg für die Bestattungsbranche entschieden. Ihr Vater hatte immer panische Angst vor dem Tod. Nach dem Realschulabschluss hielt er sie davon ab, Bestatterin zu werden. Erst als er 2009 starb, wagte sie den Schritt. Damals arbeitete sie in der IT-Branche, verdiente viel Geld. Von einen auf den anderen Tag kündigte sie und entschloss sich für ein Praktikum in einem Bestattungsunternehmen. Leichen zu sehen, war für Maja nie ein Problem.

Ihr Lebensgefährte hatte sich einige Jahre zuvor das Leben genommen und sie hatte ihn gefunden. Damals war sie mit der Arbeit des Bestatters unzufrieden: "Man hatte ihm nicht einmal das Blut aus dem Mundwinkel gewischt oder die Augen vollständig geschlossen, er sah fürchterlich aus!" Sie beschloss, es selbst besser zu machen. Das war 2010. Als sie während ihres Praktikums zum ersten Mal eine Leiche abholen musste, wusste sie: "Das ist mein Job!"

"Das ist mein Job!"

Drei Jahre später beendet sie die Ausbildung zur Bestattungsfachkraft. Eine Zeit, die nicht immer einfach für sie als Quereinsteigerin: "Ich musste mir Sprüche anhören wie: ‚Noch nie was vom Hebelgesetz gehört? Ach ne, die Schule ist ja bei dir schon lange vorbei!’". Aber Maja konnte sich durchsetzen: "Nach einer Zeit wurde ich Terrier genannt." Sie schloss gleich noch eine Fortbildung zur Thanatopraktikerin an. Die Kosten, 10.000 Euro inklusive Auslandsaufenthalt, musste sie selbst tragen. Fast gleichzeitig kauft sie ein Bestattungsunternehmen in der Nähe von Frankfurt auf. Eine harte Zeit im Rückblick, aber Maja war sich sicher, dass sie ihre Berufung gefunden hatte. Bis heute arbeitet sie als Bestatterin und Thanatopraktierin.

Thanatopraxie: Konservieren, Nähen, Herrichten

Aber was bedeutet Thanatopraxie eigentlich? "Wenn’s eklig wird, kommen wir" – Maja konserviert Leichen, richtet sie für Aufbahrungen her oder präpariert sie für Überführungen ins Ausland. Gliedmaßen annähen, fehlende Körperteile kaschieren, Nähen, aufgeschwemmte Körper wieder ansehnlich machen, das gehört zum Beruf des*r Thanatopraktiker*in. Maja bringt es auf den Punkt. "Wenn der Leichnam eines Verstorbenen schon ritzegrün ist, die Ehefrau aber eine Aufbahrung wünscht, dann richten wir ihn wieder her."

Sie hat in ihrem Alltag viele unschöne Leichen gesehen, eine Situation ist ihr besonders in Erinnerung geblieben: Ein Frühchen war nach der Obduktion durch den Gerichtsmediziner nicht wieder vollständig zusammen genäht worden. Maja ist immer noch aufgeregt, wenn sie darüber spricht. "Ich bekam einen ausgeweideten kleinen Leichnam, aufgeklappt wie ein Hähnchen!" Sie war es, die den kleinen Körper anschließend mit Watte aufgefüllt und wieder verschlossen hat, damit sich die Mutter verabschieden konnte.

Leichen wieder lebendig aussehen lassen

Wenn sie zu einem Verstorbenen gerufen wird, geht sie verschiedene Arbeitsschritte ab. Erst einmal wird der Leichnam desinfiziert, mit Wasser und Duschgel gesäubert und noch einmal desinfiziert. Danach werden die Körperöffnungen auf Sauberkeit überprüft. Anschließend sucht sich Maja eine Arterie, in die sie die konservierende Flüssigkeit spritzen kann. Das macht sie mithilfe eines kleinen Kompressors, der die Einbalsamierungschemikalien mit Druck in den Körper pumpt. Je nach Kondition der Leiche werden unterschiedliche Lösungen zusammengemischt, auch Farb- und Duftstoffe gehören dazu. Insgesamt sind es fünf bis sechs Liter, der Großteil besteht aus Formalin. Wie lange der Leichnam konserviert werden kann, hängt vom Gehalt des Formalins ab.

"Wir wollen nur für eine gewisse Zeit konservieren, ich verabreiche so wenig wie möglich und so viel wie nötig", sagt Maja. Schließlich müsse man bedenken, dass die Chemikalien nach der Bestattung ins Grundwasser gelangen können. "Das Einbalsamieren macht Verstorbene ansehnlicher für offene Aufbahrungen – man sieht nicht mehr so tot aus" – Maja muss ein bisschen lachen. Sie findet ihren Beruf unglaublich interessant, kommt aber manchmal selbst an ihre Grenzen: "Wenn die Fäulnis so weit fortgeschritten ist, dass das Gewebe anfängt, sich aufzulösen. Der Körper verflüssigt sich durch die eigenen Bakterien." Ja, Ekel spielt in ihrem Beruf eine Rolle: "Ausscheidungen stinken, ob lebendig oder tot. Manchmal muss ich noch würgen, wenn ich jemanden abhole, der wochenlang in seiner Wohnung gelegen hat" Aber Maja ist pragmatisch: "Ich atme dann einfach durch den Mund".

Verstorbene bedeuten mir manchmal mehr als Lebendige
Maja

"Verstorbene bedeuten mir manchmal mehr als Lebendige", gesteht Maja. Sie redet gerne mit "ihren" Leichen. Manchmal erzähle sie ihnen Geschichten, spielt Musik ab, die den Verstorbenen gefallen haben könnte. Das größte Kompliment, das Maja für ihre Arbeit bekommen kann, ist, wenn die Angehörigen nicht mehr erkennen können, wie der*die Verstorbene ums Leben gekommen ist. Maja hat zwar heute deutlich weniger Geld zur Verfügung als in ihrem früheren Job, fühlt sich aber heute erfüllt: "Ich weiß ich tue etwas Sinnvolles, es gibt einen Grund, dass ich auf der Welt bin!" Ihre eigene Beerdigung hat Maja schon genau durchgeplant: Ganz wichtig ist ihr, in ihrer schwarzen Lieblingsbomberjacke bestattet zu werden.

In Deutschland gibt es nur wenige Thanatopraktiker*innen, Aufbahrungen sind hier nicht sehr üblich. Auch Vanessa will nach ihrer Ausbildung noch eine Fortbildung in der Thanatopraxie dranhängen. Beide Frauen haben eins gemeinsam: Der Beruf mit dem Tod hat für sie viel mehr mit dem Leben zu tun.