Ich brauche dringend einen Job. Meine Familie, meine Freund*innen, mein ganzes, verdammtes Umfeld – alle erwarten das von mir.

Wieso lassen sich die Personaler*innen nur so viel Zeit mit der Antwort auf meine Bewerbung? Wenn ich nach dem befristeten Vertrag plötzlich ohne Arbeit dastehe – wie sieht das denn aus? Und wie soll es mit mir weitergehen?

Ich selbst habe mir alle diese Fragen schon gestellt – und fand mich in dieser Zeit in einem Vakuum aus Sorgen wieder, nicht gut genug zu sein.

Von der Angst, nicht zu genügen

Wenn wir unter Druck stehen, scheint es, als bewegte sich unser Leben in Zeitlupe, während die Welt sich weiterdreht.

Nach einem befristeten Vertrag oder nach Schule oder Studium kein oder zumindest kein akzeptables Anschlussangebot; trotz dutzender Bewerbungen keine positive Antwort oder Einladung zum Gespräch – das ist in Deutschland leider die Regel.

Eine Studie des Staufenbiel Instituts, das sich mit Karriere und Bewerbungen beschäftigt, zeigt: Im Jahr 2016 führten nur 12 Prozent der Bewerbungen der befragten Personen überhaupt zu Vorstellungsgesprächen. Im Schnitt werden wir also nach zehn Bewerbungen nur einmal zum Gespräch eingeladen.

Ein erster Reflex ist häufig, die Problematik dahinter kleiner zu machen, als sie ist. Zumindest würden nun einige Menschen in unserem Umfeld argumentieren, dass das ja gar nicht so viel sei. Aber das ist Blödsinn: Sie sitzen quasi der Logik unserer Leistungsgesellschaft auf. Denn es bleibt ja nicht nur bei Absagen oder der Folterspanne beim Warten. Diese neun von zehn Absagen auf Stellen, die wir uns wünschten und viel Zeit in die Bewerbung investierten, können uns ziemlich schlauchen.

Daraus entwickelt sich häufig nämlich mehr: Wer viel Ablehnung erfährt, entwickelt Existenzangst, hinterfragt konstant seinen eigenen Wert, fürchtet sich vor der Zukunft und verliert oft jegliche Motivation, weiterzumachen. Zusätzlich werden alle Menschen um uns herum, die eine Arbeitsstelle haben, subjektiv erfolgreicher für uns. Wir vergleichen uns mit anderen, den vermeintlich "Besseren".

Das Phänomen der "Bewerbungsphasen-Angst" ist meist eine Kombination verschiedener Ängste, erklärt der Psychologe Werner Gross. Er schrieb mehrere Sachbücher zum Thema Karriere und Arbeit. Die meisten Ängste hängen damit zusammen, wie wichtig eine angestrebte Stelle für einen selbst ist, ob es "the-one-and-only"-Position ist – oder ob es Alternativen gibt.

In der Psychologie nennt man das "emotionale Besetzung". Je höher diese ist, desto mehr steigt auch die Angst, wenn mal etwas nicht klappt.

Wir müssen uns distanzieren

Es ist ein emotionaler Teufelskreis. "Die Angst vor dem Versagen kann die psychische Verfassung ziemlich ins Trudeln bringen und unfähig machen, einen Zugang zu den eigenen Stärken zu finden", sagt Gross. Gelassenheit und Entspannung gehen verloren. "Angst hat in seiner Wortherkunft etwas mit 'eng' zu tun. Sie kann also dazu führen, dass wir einen engen Scheuklappenblick entwickeln, der direkt zum Misserfolg führen kann."

Wenn wir ein selbst gesetztes Ziel, in dem Fall die angestrebte Stelle, nicht erreichen und in der Folge innerlich abstürzen, kann das laut Gross ein heftiger Schlag ins Selbstwertkonto sein.

Grundsätzlich ist eine Niederlage nichts Schlechtes. Doch häufig terrorisieren wir uns mit hohen Ansprüchen selbst, sagt Gross: "Wir quälen uns, indem wir nach Unerreichbarem greifen." Dafür gibt es leider keinen äußeren, objektiven Maßstab, sondern ein allmähliches, subjektives Austesten. Nur so finden wir heraus, was zu uns passt und wo wir über unsere Grenzen gehen. Für einen erfolgreichen Lernprozess ist es wichtig, Niederlagen angemessen zu verarbeiten, sagt der Psychologe.

Eine falsche Reaktion ist es aber, vorschnelle Entscheidungen zu treffen, wenn eine Bewerbungsphase etwa sehr lange dauert und wir dann Jobs annehmen, die wir eigentlich nicht annehmen wollten. "Es gibt sinnvolle Kompromisse, die wir im Leben alle mal eingehen sollten. Und neurotische Kompromisse. Das sind die, die wir später bedauern: Wir lassen uns durch äußere Bedingungen nicht nur biegen, sondern brechen", sagt Gross.

Besser ist es, dann in Distanz zu gehen und uns klar zu machen, dass es eigentlich nur eine Durchgangsphase sein sollte und wir wo anders hinwollten. "Und dann natürlich auch den Hintern hochzunehmen und los zu marschieren."

Unsere Einstellung zum Job muss sich ändern

Um aus der Angstspirale zu kommen, sind vor allem wir selbst gefragt, sagt Gross:

  • "Die innere Einstellung ist der zentrale Punkt." Wenn wir uns innerlich sagen können (und auch selbst daran glauben), dass es zwar schön wäre, eine Stelle zu bekommen, es hier aber nicht um Leben und Tod geht, ist der erste Schritt schon geschafft.
  • "Es ist gut, zu planen. Allerdings: Je genauer wir planen, desto härter trifft uns der Zufall." Es ist gut, sich schon im Vorfeld bewusst zu machen, dass wir während der Bewerbungsphase in jedem Fall auch mal scheitern werden.
  • "Es ist gut, sich Ziele zu setzen. Aber wir sollten dabei nicht zu verbissen sein." Eine Wunschstelle oder generell der Wunsch nach einer Stelle rechtfertigt nicht, dass man sich selbst dafür aufgibt und nur noch Gedanken an diese verschwendet.

Erst wenn wir uns klar machen, dass wir selbst einen Job nicht so stark in unsere Emotionswelt eingreifen lassen sollten, schaffen wir es auch, gelassener zur Sache zu gehen.

Dazu gehört auch, sich immun gegen Einfluss von außen zu machen: Wenn in Gesprächen Fragen zur Jobsuche kommen, könnten wir dem auch einfach mal mit den Worten "Jep, bin dran; gestern habe ich übrigens ein super Buch gelesen, es ging um einen ..." den Riegel vorschieben.

Denn: "Nice to have" ist eine bessere Einstellung als "ohne diesen Job ist mein Leben nichts wert", sagt Gross. So zu denken, kann man sich in antrainieren. Und sich so Stück für Stück von dem Druck lösen, der da auf uns lastet.

Sind wir entspannter und ist die Jobsuche und Bewerbungsphase nicht andauernd Thema in unserem Kopf, gelingt es uns auch, wieder selbstbewusst durch den Tag zu gehen – und uns auf unsere Stärken zu fokussieren.