Während einer Fußball-WM hat jedes Land Millionen von Nationaltrainer*innen – und genauso selbstverständlich können wir alle den Job vom Boss deutlich besser. Er*sie betreibt Micromanagement, ist aufbrausend, wortkarg, zu hart, zu weich, unorganisiert, mischt sich zu viel oder zu wenig ein, helikoptert ums Team herum, kann nix, ist ein*e Fachidiot*in … Anders gesagt: Wie er*sie es macht, ist es falsch.

Ein internationaler Think Tank, der sich mit moderner Arbeitswelt beschäftigt, hat sich dieses Thema mal genauer angeschaut und festgestellt, dass derartige Gedanken tatsächlich verbreitet sind. Und zwar weltweit.

Ein Team des The Workforce Institute at Kronos (einem US-Personalmanagementunternehmen) hat dafür knapp 3.000 Angestellte aus acht Ländern und in verschiedenen Altersgruppen befragt. Sie sollten ihre Vorgesetzten anhand von fünf Fähigkeiten und Eigenschaften bewerten: Kommunikation, Kompetenz, Empowerment, professionelle Entwicklung und Unterstützung.

Das Ergebnis: Obwohl 71 Prozent der Befragten ihren Vorgesetzten die Note zwei oder besser geben würden, sind auch 69 Prozent fest davon überzeugt, sie könnten den Job eigentlich souveräner erledigen. Vor allem Millennials finden zu 73 Prozent, sie könnten’s besser als der Boss. Da drängt sich doch die Frage auf: Woran liegt das und ist das wirklich berechtigt?

Wir sind die Held*innen unseres eigenen Romans

Einerseits ist schlicht die menschliche Natur dafür verantwortlich, dass wir glauben, wir könnten den Job besser als der Boss. "Tatsächlich neigen wir grundsätzlich dazu, uns zu überschätzen. Gerade dann, wenn wir von den Dingen wenig Ahnung haben. Dieser Denkfehler fällt in den Bereich der kognitiven Verzerrung. Im Prinzip ein Konstruktionsfehler unseres Denkapparates", erklärt Führungskräftecoachin und Buchautorin Anja Niekerken.

Das bedeutet in etwa: Wir neigen dazu, ein Weltbild zu entwickeln, in dem wir selbst möglichst vorteilhaft dastehen – wie die Held*innen unseres eigenen Romans. Das erstreckt sich auf alle Lebensbereiche, auch auf den Beruf.

Und dieses positive Selbstbild wollen wir unbewusst unbedingt erhalten, sagt Anja Niekerken: "Wenn dann das Verhalten eines Vorgesetzten dieses Bild im negativen Sinne in Frage stellt, ist die erste Reaktion fast immer, den anderen abzuwerten." Es sei eben einfacher, woanders eine Erklärung zu suchen, als sich selbst kritisch zu hinterfragen.

Boss-Bashing verschafft zudem oft kurzzeitige Frusterleichterung, Entstressung und dient bekanntermaßen als sozialer Schmierstoff unter Kolleg*innen.

Führung und Fachliches – zwei Paar Schuhe

Das, was wir so mitbekommen, das Tagesgeschäft im Maschinenraum, ist außerdem nur ein Teil des Jobs als Führungskraft. "Dass Vorgesetzte noch ganz andere Aufgaben zu erfüllen haben, sehen wir als Mitarbeiter oft nicht und können es in der Regel auch gar nicht beurteilen – obwohl wir glauben, wir könnten es", sagt Anja Niekerken.

Und vor allem dann, wenn Vorgesetzte klug ausgewählt und Führungspositionen weitsichtig besetzt werden, sind Angestellte auf ihrem jeweiligen Fachgebiet tatsächlich oft besser als ihr Boss. Denn Personalführung und spezifische Fachkompetenz sind zwei unterschiedliche Dinge. Nicht jede*r, der*die hochgradig fit in einer Sache oder begnadet talentiert ist, kann deshalb auch automatisch Teams leiten und Führungsverantwortung übernehmen; nicht jede*r göttliche Kicker*in ist auch ein*e Spitzentrainer*in und umgekehrt.

"Grundsätzlich sollte jemand auf dem Fachgebiet immer besser sein als die Vorgesetzten", so Anja Niekerken. "Steve Jobs hat mal gesagt, dass er Menschen nicht einstellt, um ihnen zu sagen, was sie tun sollen – sie sollen ihm sagen, was er tun soll. Das ist meiner Ansicht nach genau das, was Firmen und Vorgesetzte anstreben sollten."

Anders ausgedrückt: Ein*e Vorgesetzte*r muss längst nicht so viel wissen wie ein*e Spezialist*in oder ein Nerd – aber er*sie muss zuhören, ihn*sie verstehen, ideal einsetzen, anleiten und fördern können. In einem guten Unternehmen findet eine sorgfältige Orchestrierung verschiedener Fähigkeiten statt; Führung ist eine davon.

Bist du besser als der Boss?

Wenn du wissen willst, ob du wirklich besser bist als dein Boss, solltest du unter anderem folgende Fähigkeiten an dir überprüfen: Geduld, Empathie und Einfühlungsvermögen, strategisches Denken, Integrität und Aufrichtigkeit, Selbst- und Impulskontrolle, Zeitmanagement und Organisationsvermögen, Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit, Kommunikation – um nur einige zu nennen. Überall fünf Sternchen? Dann herzlichen Glückwunsch!

"Für mich ist eine gute Führungspersönlichkeit jemand, der mit gutem Beispiel vorangeht und vor allem den Mitarbeitern vertraut, sich die Ideen anhört und sich selbst nicht so wichtig nimmt. Bei guter Führung geht es nicht, wie viele meinen, um einen selbst und die eigenen Ideen. Es geht darum, für die Angestellten ein Umfeld zu schaffen, in dem sie maximal leistungsfähig und zufrieden sind", fasst Anja Niekerken zusammen.

Sie sind auch nur Menschen

Vorgesetzte sind nicht perfekt, können und müssen sie auch gar nicht sein. Sie sind letztlich auch nur Menschen. Und häufig gar nicht so inkompetent, wie unser instinktiv poliertes Selbstbild es gern hätte. Ein großer Teil ihres Jobs entzieht sich außerdem der Kenntnis der Angestellten. Daran solltest du denken, wenn dir das nächste Mal "Pah, kann ich schon lange!" in den Kopf kommt.

Wenn du jetzt noch immer und aufrichtig der Überzeugung bist, du könntest den Job besser als der Boss – dann solltest du mal langsam ein*e Chef*in werden. "Wir brauchen dringend gute Führungskräfte", sagt auch Anja Niekerken. Kneifen gelte nicht und sei laut Expertin ein Zeichen für mangelndes Führungsvermögen: "Gute Führungskräfte haben nämlich immer den Willen, die Dinge zum Besseren zu ändern."