Männer, die mit Hühnern reisen

"Fahr doch mal nach Polen!", rät mir eine polnische Freundin, als die Urlaubskasse leer und die Reiselust groß war. Der Fernbus von München nach Krakau kostet schlappe 40 Euro: Gebucht. Dass ich dafür 16 Stunden lang durch die Augusthitze schaukele, kommt mir fast gerecht vor. Ich nehme mir vor, mindestens zehn der 16 Stunden zu verschlafen. Vorsorglich packe ich für mich und meine Reisebegleitung aber noch ein kleines "Mensch ärgere dich nicht" ein.

Mein Plan geht fünf Stunden lang auf. Immerhin. Dann fährt der Bus irgendwo in Tschechien von der Autobahn ab, um mitten in der Pampa vier weitere Mitreisende einzusammeln: zwei Männer und zwei Hühner. Die Hühner werden samt Käfigen in der Gepäckablage verstaut. Die Männer, beide um die 50, setzen sich in die gegenüber liegende Sitzreihe und packen in der rollenden Sauna die Wodkaflaschen samt Gläsern aus. Nummer eins war innerhalb einer halben Stunde leer, bei Nummer zwei fallen ihre gierigen Blicke auf meinen "Mensch ärgere dich nicht"-Würfel.

Den Würfel werde ich nie wieder sehen. In einer scharfen Rechtskurve rutscht er samt Wodkagläsern vom Klapptisch und kullert ins Bus-Nirwana. Die Männer schlafen irgendwann ein. Als wir gegen Mitternacht ankommen und sie aufwachen, winkt der eine mich vor dem Bus noch einmal zu sich. Wortlos wühlt er in seinem Rucksack: Ich bekomme ein Leberwurstbrot mit Gürkchen. Dann klemmt er sich sein Huhn unter den Arm und verschwindet in der Krakauer Nacht.

Neun Stunden Dauerbeschallung

In mittelamerikanischen Bussen gibt es kein "voll", jedenfalls nicht nach deutschen Maßstäben. Wer mitfahren möchte, kann mitfahren oder reist auf dem Tritt oder zuweilen sogar auf dem Dach mit. Kinder werden bis ins Grundschulalter hinein selbstverständlich auf den Schoß genommen, das Gepäck wird kunstvoll auf dem Dach verschnürt. In den meisten Ländern gibt es keine Personenzüge und viele Menschen können sich kein eigenes Auto kaufen. Der Bus dient also als einziges Transportmittel.

Ich habe auf meiner Reise durch Mittelamerika viel zu viele Stunden in Bussen zugebracht, die von ihren Dimensionen her nicht für europäische Körpergrößen gemacht sind. Die längste Fahrt, an die ich mich erinnere, führte mich vom Corcovado Nationalpark im äußersten Süden Costa Ricas in die Hauptstadt San José. Neun Stunden dauerte der Trip. Bei über 30 Grad im voll besetzten Bus und ohne Möglichkeit, die Beine auszustrecken. Da wird die Fahrt zu einem ganz besonderen Erlebnis. Die Festhaltestange schlägt einem beim Stehen unangenehm gegen den Kopf und hat man einen Sitzplatz ergattert, ist dort meistens nicht genügend Platz für die Beine. Die Fahrer scheinen an Enge und Überfüllung gewöhnt zu sein, sie drücken munter aufs Gaspedal und bei jeder Bodenwelle fliege ich in die Höhe, wo die Haltestange nur auf den Kontakt mit meinem Kopf wartet.

Aus dem Boxen schallen mittelamerikanische Rhythmen, und die leidvollen dargebotenen Lieder geben sich alle Mühe, das Dröhnen des Motors zu übertönen.

Haltestellen gibt es nicht, die Leute stehen an der Straße und winken, wenn sie in den Bus wollen und rufen, wenn sie aussteigen wollen. In Deutschland wäre das undenkbar, hier funktioniert es ohne größere Probleme. Trotz Enge und Chaos nimmt man Rücksicht. Beim Einstieg gibt es selten Gedränge, schwangere Frauen und ältere Menschen bekommen einen Sitzplatz angeboten und alle rücken ganz selbstverständlich ein bisschen enger zusammen, damit sich noch jemand in den Bus quetschen kann.

Im Bus durch Bolivien

Busfahren in Bolivien, das war mein großes Abenteuer. Vor allem die Reise aus der Haupstadt La Paz nach Rurrenabaque im Amazonasgebiet. 240 Kilometer Luftlinie: das ist weniger als von Berlin nach Hamburg. Trotzdem dauerte die Fahrt 31 Stunden.

Als ich den Bus nach "Rurre" das erste Mal sehe, beginnt mein Herz zu rasen: Der vordere Teil des Busses ist völlig kaputt, die Stoßstange fehlt. Dafür ziert ihn das Bild einer Amazone. Wir fahren an einem anderen Bus vorbei, dessen Fenster völlig zerstört sind. Der Fahrer hat die Breite der Straße falsch eingeschätzt. Ich muss tief durchatmen und meine Sicherheitsbedenken abstellen. Die meisten bolivianischen Busfahrer haben einen Sonderführerschein für Extremsituationen.

Die Straßen führen in Kurven und Serpentinen durch Berge und Wälder. Meist sind es keine Autobahnen, sondern Sandwege. Kein Wunder, dass wir nach dem Regen stundenlang über Nacht im Sand steckenbleiben. Am Morgen können uns LKWs aus den Schlammmassen befreien.

Zwischendurch hält der Bus an kleinen Imbissen, Bauern und Verkäufer steigen auf der Strecke ein und bieten Obst und Snacks an. Für den Fall, dass wir feststecken, habe ich trotzdem Müsliriegel und ausreichend Wasser griffbereit. Ich reise wie die Einheimischen.

Niemand beschwert sich über die Fahrtdauer. Die Mitfahrenden reden, schlafen oder hören laut Musik. Auf der langen Fahrt habe ich das Schlafen in jeder noch so unbequemen Situation perfektioniert. Wollsocken an, Decke überwerfen, Knie anwinkeln – und schon bin ich weg. Das habe ich vorher nie geschafft.

Ich habe Zeit, über das Erlebte in Bolivien nachzudenken und meine Gedanken aufzuschreiben. Und vor allem kann ich mich auf das Bevorstehende vorbereiten. Glühwürmchen am Wegesrand und ferne Schreie von Affen und tropischen Vögeln versüßen mir die Wartezeit. Ich bekomme Vorfreude auf den Regenwald. Als ich endlich aus dem Bus steige, kann ich es kaum erwarten, im Madidi-Nationalpark all die Tiere zu sehen, die ich auf der Fahrt erahnen konnte. Auf dem Weg zurück nach La Paz hätte ich ein Flugzeug nehmen können, aber ich bin wieder mit dem Bus gefahren. Alles halb so wild. Es hat nur 20 Stunden gedauert.

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