Die Schmetterlinge hatten sich schon Jahre zuvor verflogen. Wenn er mich küssen wollte, was immer seltener vorkam, wich ich aus. Und wenn ich nach Hause kam und sein Auto auf dem Parkplatz sah, sackte mein Herz vor Enttäuschung kurz in den Bauch. Trotzdem trennte ich mich lange nicht. Warum? Gute Frage.

Rückblickend würde ich sagen: Ich wollte die Sicherheit dieser langen Beziehung ungern aufgeben. Auch nicht die Gemütlichkeit, zusammen im Pyjama zu frühstücken. Die Geborgenheit, neben einem vertraut atmenden Wesen einzuschlafen und aufzuwachen. Aber vor allem wollte ich nicht, dass er alleine ist. Oder traurig. Auch wenn ich ihn nicht mehr liebte, hatte ich ihn unfassbar gern und wollte ihm auf keinen Fall wehtun.

Beziehung aus Rücksicht?

Genau dieses Gefühl ist verbreiteter, als wir vielleicht annehmen. Wissenschaftler*innen der Universität Utah haben in einer aktuellen Untersuchung herausgefunden, dass Menschen nicht selten aus Rücksicht oder Mitleid bei ihrem*r Partner*in bleiben. "Je mehr Leute glauben, dass ihr Partner an der Beziehung hängt, desto weniger wahrscheinlich ging eine Trennung von ihnen aus", sagt Samantha Joel, Psychologieprofessorin und Leiterin der Studie.

Dafür beobachteten die Forscher*innen in einer ersten Studie über 1.300 liierte Personen für einen Zeitraum von zehn Wochen und in einer zweiten Studie zwei Monate lang 500 Personen, die über eine Trennung nachdachten. Klares Ergebnis bei beiden: Je mehr die Proband*innen annahmen, dass ihre Partner*innen die Beziehung weiterführen wollten, desto weniger trennten sie sich.

Menschen sind nicht nur Monster

Logischerweise spielen auch andere Faktoren bei der Entscheidung für oder gegen eine Trennung eine Rolle: ob ein Paar verheiratet ist, ob es Kinder hat oder ein gemeinsames Haus, wie viel Zeit und emotionale Energie schon in die Beziehung investiert wurde, ebenso wie Angst vor dem Alleinsein und die (nicht) verfügbaren Alternativen.

Doch die neue Untersuchung zeigt, dass Menschen eben nicht immer egoistische, herzlose Biester sind und alles stehen und liegen lassen, weil es sie nicht mehr kickt, weil sie unzufrieden sind – oder wie Samantha Joel sagt: "Allgemein gesprochen, wollen wir unsere Partner nicht verletzen und es ist uns wichtig, was sie wollen." Das ist eigentlich sehr freundlich. Eigentlich.

Auf keinen Fall zu lange verbiegen!

Dieses Mitleid kann allerdings zum echten Problem werden. Und zwar dann, wenn wir zu lange an einer Beziehung festhalten, die uns richtig unglücklich macht. Manchmal würden laut Samantha Joel Menschen eine Trennung hinauszögern, weil sie hoffen, dass es sich wieder einrenkt und diese Phase vorübergeht. Und manchmal passiert das auch.

Doch spätestens, wenn Appetit- und Schlaflosigkeit eintreten, wenn ein emotionaler Sturm im Inneren brodelt, ist es Zeit, das Problem anzugehen. Eventuell muss nicht direkt die endgültige Trennung sein; ein Termin bei einer Beziehungsberatung kann möglicherweise helfen, dem grundlegenden Problem auf die Spur zu kommen – oder zumindest eine saubere, klar verständliche und vernünftig aufgearbeitete Trennung zu vollziehen, nach der wir uns noch in die Augen schauen können und uns nicht bis aufs Blut über die Schallplattensammlung streiten.

Mut zum Ende – auch für den*die andere*n

Manchmal braucht es ein bisschen Mut. Oder sogar sehr viel. Aber allein sein ist nicht schlimm. Schlimmer ist es, Jahre in einer unglücklichen Beziehung zu verbringen und Menschen, Erlebnisse, Chancen zu verpassen. Das gilt übrigens auch für den*die Partner*in, dem*r das gleiche entgeht. Und keine Angst: Der Schmerz über die Trennung, den auch der*die Verlassende berechtigterweise empfindet, geht irgendwann vorüber.

Wir haben uns schließlich irgendwann, viel zu spät, in gegenseitigem Einvernehmen getrennt. Und waren beide tieftraurig darüber. Aber letztlich ist es doch so: Dafür, Ewigkeiten unglücklich zu sein und krasse Kompromisse zu machen, die uns auf Dauer einfach nicht gut tun, ist unsere Lebenszeit viel zu kurz und viel zu kostbar. Wir sollten sie nicht in einer Beziehung verbringen, in der wir leiden, nur damit der*die andere es nicht tut.